Verfahrensgang
LG Paderborn (Urteil vom 20.10.2015) |
Tenor
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 20. Oktober 2015 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitführung eines sonstigen Gegenstandes, der seiner Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt ist, in Tateinheit mit unerlaubtem Anbau von Betäubungsmitteln und in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln” zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug von einem Jahr und drei Monaten der Freiheitsstrafe angeordnet sowie einen Geldbetrag für verfallen erklärt.
Rz. 2
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Sein Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 3
1. Dem Angeklagten war aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 16. Februar 2016 Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision zu gewähren.
Rz. 4
2. Das Urteil hat keinen Bestand, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden ist.
Rz. 5
a) Die Annahme des Landgerichts, beim Angeklagten bestehe ein Hang, Cannabis im Übermaß zu sich zu nehmen (UA Bl. 20), findet in den tatsächlichen Feststellungen des Urteils keine Grundlage. Zum Umfang des Betäubungsmittelkonsums des Angeklagten enthält das Urteil nur vage Angaben. In den Urteilsgründen heißt es hierzu lediglich, dass der Angeklagte in Kellerräumen eine professionelle Indoor-Plantage für Cannabispflanzen errichtet hat, „um eine geringe Menge des zu erzielenden Ertrages gelegentlich selbst zu konsumieren und weitüberwiegend gewinnbringend zum Zwecke der Erzielung einer langfristigen erheblichen Einnahmequelle zu verkaufen. Zu diesem Zweck bezog er weiter aus unbekannter Quelle auch Amphetamin, XTC-Tabletten und MDMA. Jedenfalls von dem Amphetamin konsumierte er auch selbst” (UA Bl. 4). An anderer Stelle des Urteils hat das Landgericht gestützt auf die Ausführungen eines Sachverständigen eine schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB und damit eine verminderte Schuldfähigkeit ausgeschlossen, weil der – hinsichtlich seines Umfangs nicht näher beschriebene – Konsum von Betäubungsmitteln nicht zu einer Einschränkung der sozialen und beruflichen Leistungsfähigkeit geführt hat (UA Bl. 16). Auch dies stellt die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 StGB in Frage.
Rz. 6
Darüber hinaus lässt sich den Urteilsgründen auch nicht entnehmen, dass der Angeklagte aufgrund einer Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Die Kammer sieht diese Voraussetzungen deshalb als erfüllt an, weil der Angeklagte in der Vergangenheit aufgrund seiner Cannabisabhängigkeit verurteilt worden ist und weil er seinen Lebensunterhalt durch den Verkauf der von ihm angebauten und angeschafften Betäubungsmittel gesichert hat. Feststellungen dazu, dass die Vorverurteilungen des Angeklagten – u.a. eine geringe Geldstrafe wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln – auf übermäßigen Cannabiskonsum zurückzuführen sind, fehlen jedoch. Die verfahrensgegenständlichen Taten hat der Angeklagte gerade nicht begangen, um den eigenen Rauschgiftgenuss zu ermöglichen, sondern für seinen Lebensunterhalt. Dies lässt auch den erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen den Taten und einem möglichen Hang im Sinne von § 64 StGB fraglich erscheinen (vgl. Senatsbeschluss vom 3. März 2016 – 4 StR 586/15).
Rz. 7
b) Auch in Zusammenschau mit den – geringfügigen – Vorstrafen ist zudem nicht ausreichend dargetan, dass vom Angeklagten aufgrund eines Hanges zum Cannabiskonsum erneute Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz zu erwarten sind. Dass der Angeklagte in Zukunft entsprechende erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, hat die Strafkammer dem Sachverständigen folgend lediglich aufgrund einer statistischen Untersuchung angenommen, wonach die Basisrate für Rückfälligkeit der Drogendelinquenz bei über 50 % liege. Dies genügt den Anforderungen an die Gefahrenprognose schon deshalb nicht, weil sich die Ausführungen des Sachverständigen in dieser allgemeinen Erwägung erschöpfen, ohne die Umstände des vorliegenden Falls in den Blick zu nehmen (BGH, Beschlüsse vom 25. März 2009 – 5 StR 7/09, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Gefährlichkeit 2, Rn. 4; vom 30. März 2010 – 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203, 204; vom 22. Juli 2010 – 3 StR 169/10, StV 2011, 271; vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13, NStZ-RR 2014, 42, jeweils mwN).
Rz. 8
3. Mit der Aufhebung der Anordnung nach § 64 StGB entfällt auch die Bestimmung des Vorwegvollzugs eines Teils der Freiheitsstrafe.
Rz. 9
4. Die Teilaufhebung lässt den Strafausspruch unberührt. Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht ohne die Anordnung der Maßregel eine niedrigere Freiheitsstrafe verhängt hätte.
Unterschriften
Sost-Scheible, Roggenbuck, Franke, Mutzbauer, Quentin
Fundstellen
Haufe-Index 9369867 |
NStZ-RR 2016, 242 |
RPsych 2016, 511 |