Verfahrensgang
LG Offenburg (Urteil vom 31.05.2019; Aktenzeichen 302 Js 9431/15 2 KLs) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Offenburg vom 31. Mai 2019 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit er verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt, von der zur Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung sechs Monate als vollstreckt gelten. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 76.000 Euro angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
I.
Rz. 2
1. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts kam der Angeklagte mit den Zeugen Y. und M. im Sommer 2012 überein, zukünftig gemeinsam Marihuana zum gewinnbringenden Verkauf in einer Indoorplantage anzubauen. Der Zeuge Y. sollte hierfür die Räumlichkeiten, der Angeklagte die Geldmittel zum Erwerb von Gerätschaften wie Lampen und Klimageräten zur Verfügung stellen. Die notwendigen Aufbauten wollten alle drei gemeinsam verrichten. Die Aufzucht und Pflege der Pflanzen sollten die Zeugen übernehmen, wobei sie der Angeklagte unterstützen und ihnen das für den Anbau nötige Wissen vermitteln würde. Ferner oblag dem Angeklagten der Verkauf der produzierten Betäubungsmittel. Der erzielte Gewinn stand den Bandenmitgliedern zu gleichen Teilen zu. In Umsetzung dieser Abrede kam es zu vier Anbauzyklen:
Rz. 3
In dem angemieteten Bürocontainer des Zeugen Y. in N. ernteten die Zeugen im Oktober oder November 2012 mindestens drei Kilogramm dort gemeinsam mit dem Angeklagten angebautes Marihuana, das dieser zum Preis von 4.500 Euro pro Kilogramm veräußerte. Zum selben Preis verkaufte er zudem mindestens acht Kilogramm Marihuana, das nach einer Erweiterung der Anbaufläche in dem Bürocontainer im Januar 2013 geerntet wurde. Sodann mietete der Zeuge Y. eine größere Lagerhalle in O. an. Hier produzierten die Täter mindestens neun Kilogramm Marihuana, von dem der Angeklagte nach der Ernte im April/Mai 2013 mindestens 6,7 Kilogramm an unbekannte Abnehmer zu unverändertem Preis veräußerte. Im Rahmen des nächsten Anbauzyklus durchsuchten die Ermittlungsbehörden am 26. Juni 2013 die Lagerhalle. Aus den sichergestellten Cannabispflanzen wären ca. 12,5 Kilogramm Marihuana gewonnen worden. Für die Errichtung bzw. Erweiterung der Plantagen hatte der Angeklagte insgesamt mindestens 30.000 Euro investiert.
Rz. 4
b) Ferner traf sich der Angeklagte am 16. April 2015 mit dem Zeugen Y. und mit dem Zeugen M. in dessen Gartenhütte in F., um dort Amphetamin zum gewinnbringenden Verkauf herzustellen. Hierfür brachte der Angeklagte die notwendigen Zutaten mit, wobei er bereits zuvor im März oder April 2015 drei Fässer mit Methanol in die Gartenhütte verbracht hatte. Er rührte knapp 28 Kilogramm Amphetaminpaste an, die in gemeinsam abgepackten Beuteln zu je einem Kilogramm in einem Kühlschrank vor Ort gelagert wurde. Zu deren Verkauf kam es nicht. Das Amphetamin konnte sichergestellt werden.
Rz. 5
2. Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten und der Art seiner Mitwirkung maßgeblich auf die für glaubhaft befundene Aussage des Zeugen Y. gestützt. Der Zeuge ist u.a. für den Cannabisanbau in O. und für die das Amphetamin betreffende Tat bestraft worden. Hierbei kam ihm § 31 BtMG zugute; denn nach anfänglich anderer Einlassung hatte er den Angeklagten und den Zeugen M. – auch was die Plantage in N. angeht – belastet. In der hiesigen Hauptverhandlung hat der Zeuge Y. zu den Vorgängen um diese Plantage über die Schilderung der Vorgeschichte und der Bandenabrede hinaus die Auskunft verweigert (vgl. UA S. 54 f.; s. auch UA S. 57 zur Herkunft der Setzlinge für den O. er Anbau). Zu allen früheren Angaben des Zeugen Y. hat die Strafkammer Vernehmungspersonen als Zeugen vom Hörensagen vernommen.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 6
Die Verurteilung des Angeklagten hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die dem Schuldspruch zugrundeliegende Beweiswürdigung begegnet – in mehrfacher Hinsicht – durchgreifenden sachlich-rechtlichen Bedenken.
Rz. 7
1. Soll ein nicht geständiger Angeklagter – wie hier – überwiegend durch die Angaben eines selbst tatbeteiligten Zeugen überführt werden, muss das Tatgericht die für die Richtigkeit der Aussage sprechenden Gesichtspunkte umfassend prüfen, sie ohne Verstoß gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze würdigen und dies im Urteil deutlich machen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Januar 2020 – 2 StR 352/18 Rn. 23 und vom 9. Januar 2020 – 2 StR 355/19 Rn. 8, 11 mwN). Dafür ist es in einem Fall wie dem vorliegenden mit unterschiedlichen Angaben tatbeteiligter Personen erforderlich, die Umstände der Entstehung und den näheren Inhalt der den Angeklagten belastenden Aussage sowie deren Entwicklung darzustellen und zu bewerten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. März 2009 – 4 StR 662/08 Rn. 7 und vom 14. Mai 2008 – 2 StR 147/08 Rn. 7). Erhöhte Anforderungen an die Sorgfalt und Vollständigkeit der vorzunehmenden Gesamtwürdigung sind dabei zu stellen, wenn die belastenden Angaben – wie hier teilweise – nur mittelbar über Vernehmungspersonen in die Hauptverhandlung eingeführt werden können (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Januar 2020 – 2 StR 352/18 Rn. 24 und vom 9. Januar 2020 – 2 StR 355/19 Rn. 11).
Rz. 8
2. Diesen Maßgaben wird die Beweiswürdigung nicht gerecht.
Rz. 9
a) Die Strafkammer hat sich von der Glaubhaftigkeit der Aussage des Belastungszeugen Y. grundlegend anhand von Realitätskriterien überzeugt, denen sie ohne weitere Differenzierung besondere Bedeutung für die Würdigung der gesamten Aussage beigemessen hat (UA S. 74 ff.). Damit erweist sich die Bewertung der Zeugenaussage durch das Landgericht als unzulänglich. Denn es hat nicht bedacht, dass eine in Betäubungsmittelgeschäfte eingebundene Auskunftsperson fraglos weitestgehend Selbsterlebtes bekunden kann. Daher vermag sie ein schlüssiges Gesamtbild auch dann zu erzeugen, wenn sie im Rahmen der Schilderung eines im Übrigen selbst erlebten Geschehens die einem Beteiligten zukommende Rolle falsch beschreibt, um etwa eine größere eigene Tatbeteiligung oder die Beteiligung eines Dritten zu vertuschen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juni 2016 – 2 StR 539/15 Rn. 24).
Rz. 10
Eine Vielzahl der originellen Details, die das Landgericht der Aussage des Zeugen Y. entnimmt (UA S. 80 ff.; z.B. Situation seines Transportunternehmens, enttäuschende Ernten, Abschluss des neuen Mietvertrages, Umbau der Lagerhalle in Nachtschichten), können demnach zwar Tathandlungen des Zeugen stützen. Sie sind aber entgegen den Wertungen der Strafkammer für die Tatbeteiligung des Angeklagten und die Art seiner Mitwirkung keine wesentlich glaubhaftigkeitssteigernden Aspekte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Juni 2016 – 2 StR 539/15 Rn. 24; vom 21. Juli 2011 – 5 StR 32/11 Rn. 7 und vom 1. Februar 2007 – 5 StR 494/06 Rn. 13). Dies gilt auch und gerade für die vom Landgericht zusätzlich herausgestellte zeitliche Einordnung der Anbauzyklen, wie sie dem Zeugen konstant gelungen sei (UA S. 86 ff.).
Rz. 11
b) Den gesamten Urteilsgründen ist ferner keine kritische Auseinandersetzung der Strafkammer mit dem Umstand zu entnehmen, dass der Zeuge Y. insbesondere zur Cannabisplantage in N. teilweise die Auskunft verweigert hat (§ 55 StPO). Diese in dem angefochtenen Urteil geschilderte Prozesssituation steht in einem Spannungsfeld zwischen dem Schutz des Zeugen vor erzwungener Selbstbelastung auf der einen und dem Fragerecht von Angeklagtem und Verteidigung auf der anderen Seite. Die Angaben des Zeugen bleiben zwar verwertbar, das Tatgericht ist aber verpflichtet, ein solches Aussageverhalten im Rahmen der Beweiswürdigung kritisch zu bewerten (vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 2002 – 5 StR 130/01, BGHSt 47, 220, 223 f.; s. auch BGH, Beschluss vom 7. Februar 2001 – 3 StR 570/00).
Rz. 12
Die Strafkammer hätte daher – als Teil der Aussageentwicklung – hier erörtern und bewerten müssen, ob das nunmehrige Geltendmachen des § 55 StPO durch den Zeugen Y. Anlass gibt, an der Glaubhaftigkeit von dessen (aktuellen wie früheren) Angaben insbesondere zur Plantage in N. – und in der Folge zu den weiteren Tatkomplexen – zu zweifeln. In einer ersten, dann ausgesetzten Hauptverhandlung in dieser Sache hatte der Zeuge noch vollumfänglich ausgesagt, obgleich sein Verfahren rechtskräftig abgeschlossen war. Zudem wäre in den Blick zu nehmen gewesen, dass der den Angeklagten aus „Wut” (UA S. 67 ff.) belastende Zeuge Y. laut dem Zeugen B. in dessen Strafprozess wahrheitswidrig den Erhalt von 26.000 Euro bestritten haben soll (vgl. UA S. 117), was für die Herkunft des investierten Kapitals bedeutsam sein könnte.
Rz. 13
3. Auf diesen Rechtsfehlern beruht – ungeachtet der teilgeständigen Einlassung des Angeklagten im Rahmen der ausgesetzten Hauptverhandlung – das Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich die Strafkammer bei einem rechtsfehlerfreien Vorgehen zumindest nur von einer weniger weitreichenden Beteiligung des Angeklagten an den abgeurteilten Taten überzeugt hätte. Die Feststellungen sind von den Rechtsfehlern betroffen und daher ebenfalls aufzuheben (§ 353 Abs. 2 StPO). Dies entzieht zugleich den angeordneten Maßnahmen die Grundlage.
Rz. 14
4. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es demnach nicht mehr an. Gleichwohl bemerkt der Senat:
Rz. 15
Die Ablehnung von Beweisanträgen der Verteidigung mit der Begründung, eine abschließende Bewertung der – in Frage gestellten – Glaubhaftigkeit früherer Angaben des Zeugen Y. in Bezug auf die hiermit unvereinbare Beweisbehauptung etwa zur Ausstattung der Plantage sei nicht möglich, weil er sich insoweit auf § 55 StPO berufen habe, ist rechtlich bedenklich. Eine Beweistatsache ist nicht allein deshalb aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos (§ 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO); denn für den Fall, dass sie erwiesen wäre, kann bereits diese Tatsache darauf schließen lassen, dass frühere Angaben des Zeugen (wie sie sich nach dem Inbegriff der Hauptverhandlung darstellen) objektiv falsch waren oder gewesen sein könnten. Die genannte Begründung lässt daher nicht erkennen, weshalb das Tatgericht aus der Beweistatsache keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen ziehen will (vgl. näher zu den Anforderungen BGH, Beschluss vom 10. November 2015 – 3 StR 322/15 Rn. 7 f. mwN), der Beweiswert der Zeugenaussage also nicht erschüttert würde. Sie läuft zudem Gefahr, im Rahmen von § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO die Beweisbedeutung von Auslandszeugen zu unterschätzen.
Unterschriften
Raum, Jäger, Fischer, Hohoff, Leplow
Fundstellen
Haufe-Index 13932053 |
NStZ 2020, 8 |
NStZ 2021, 183 |
StV 2021, 452 |