Leitsatz (amtlich)
Zur Strafbarkeit sexualbezogener Äußerungen gegenüber Kindern.
Normenkette
StGB 1975 § 176 Abs. 5 Nr. 3
Verfahrensgang
Tenor
I.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 13. September 1990 unter Aufrechterhaltung der Feststellungen aufgehoben,
- soweit der Angeklagte im Fall II 3 der Urteilsgründe wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern verurteilt worden ist,
- im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
II.
1. Der Angeklagte wird im Fall II 3 der Urteilsgründe freigesprochen. Soweit er freigesprochen ist, fallen die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung über die Gesamtfreiheitsstrafe, die aus den Strafen für die Fälle II 1 und 2 der Urteilsgründe zu bilden ist, sowie über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
III.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt.
Mit seiner Revision rügt er die Verletzung sachlichen Rechts.
Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg. Soweit der Beschwerdeführer seine Verurteilung in den Fällen II 1 und 2 der Urteilsgründe angreift, ist seine Revision sowohl zum Schuldspruch als auch zu den Einzelstrafaussprüchen im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet. Dagegen kann die Verurteilung wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern im Falle II 3 der Urteilsgründe nicht bestehen bleiben. Der Angeklagte ist insoweit freizusprechen.
Das Landgericht hat hierzu folgende Feststellungen getroffen:
Am 23. April 1990 geriet der Angeklagte, der sich auf der Straße aufhielt, beim Anblick zweier Mädchen, die zehn und elf Jahre alt waren, in sexuelle Erregung. Er ging an ihnen vorbei, blieb stehen und kniete sich so nieder, als wolle er einen Schuh zubinden. Als die beiden Mädchen nun ihrerseits an ihm vorbeigingen, sprach er sie, um seine sexuelle Erregung zu steigern, mit den Worten an „Wollt ihr mal einen dicken Pimmel sehen?”. Die beiden Mädchen erschraken und liefen davon. Der Angeklagte flüchtete, ohne sich vor ihnen entblößt zu haben.
Zu Unrecht nimmt das Landgericht an, der Angeklagte habe damit den Tatbestand des § 176 Abs. 5 Nr. 3 StGB verwirklicht. Diese Vorschrift betrifft allerdings nicht nur das Vorzeigen pornographischer Abbildungen oder Darstellungen und das Abspielen von Tonträgern pornographischen Inhalts; vielmehr macht sich danach auch strafbar, wer durch „entsprechende Reden” auf ein Kind „einwirkt”, um sich hierdurch sexuell zu erregen. Mit dem Merkmal der „entsprechenden Reden” sind Äußerungen gemeint, die nach Art und Intensität dem pornographischen Material (insbesondere den pornographischen Darstellungen) entsprechen (BGHST 29, 29 f; BGH, Urt. v. 25. März 1975 – 1 StR 73/75 und Beschl. v. 7. April 1981 1 StR 137/81; Lackner, StGB 18. Aufl. § 176 Anm. 3 c aa; Dreher/Tröndle, StGB 45. Aufl. § 176 Rdn. 11). „Einwirken” bedeutet dabei eine Einflußnahme tiefergehender Art (BGHST 29, 29 f; BGH bei Dallinger MDR 1974, 546; BGH NJW 1976, 1984; BGH, Urt. v. 25. März 1975 – 1 StR 73/75; Laufhütte in LK 10. Aufl. § 176 Rdn. 13). Angesichts dieser Erfordernisse ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, daß bloß sexualbezogene oder auch grob sexuelle Äußerungen ebensowenig genügen wie kurze, oberflächliche Reden (BGH bei Dallinger MDR 1974, 546; BGH StV 1981, 338 – Leitsatz; BGH, Urt. v. 25. März 1975 – 1 StR 73/75).
Bei Anlegung dieser Maßstäbe ergibt sich, daß die Äußerung des Angeklagten gegenüber den beiden Mädchen den Tatbestand des § 176 Abs. 5 Nr. 3 StGB nicht erfüllt. Sie war zwar sexualbezogen und enthielt eine ungehörige, das Schamgefühl grob verletzende Zumutung. Doch lag darin keine verbale Einwirkung, die nach Art und Intensität der Demonstration pornographischen Materials vergleichbar gewesen wäre. Der Angeklagte beschränkte sich auf eine kurze Frage. Die dabei für das männliche Geschlechtsorgan gewählte Bezeichnung („Pimmel”) war nicht obszön; sie entspricht einer Benennung, die unter Kindern und auch gegenüber Kindern weithin gebräuchlich ist, ohne als anstößig empfunden zu werden.
Demgemäß ist die Verurteilung in diesem Falle aufzuheben und der Angeklagte insoweit freizusprechen.
Damit entfällt die Gesamtfreiheitsstafe. Die Feststellungen bleiben aufrechterhalten. Das neu entscheidende Tatgericht hat aus den Einzelstrafen, die für die Fälle II 1 und 2 der Urteilsgründe verhängt worden sind, eine neue Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden. Vorsorglich wird bemerkt, daß in diese Gesamtfreiheitsstrafe die Einzelstrafen aus dem Urteil des Landgerichts Aachen vom 3. August 1990 nicht einzubeziehen sind. Ein Härteausgleich wegen entgangener Gesamtstrafenbildung kommt nicht in Betracht; denn hätte das Landgericht Aachen an dem genannten Tage auch die hier in Rede stehenden Taten abgeurteilt, so wären zwei Gesamtfreiheitsstrafen zu bilden gewesen.
Über die Strafaussetzung zur Bewährung, die dem Angeklagten im angefochtenen Urteil ohne Rechtsfehler versagt worden ist, wird neu zu entscheiden sein.
Fundstellen
Haufe-Index 609922 |
NJW 1991, 3162 |