Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerhinterziehung
Leitsatz (redaktionell)
„Informelle Verständigungen” widersprechen der Strafprozessordnung. Zwar ist es zulässig, auch schon vor Eröffnung des Hauptverfahrens (hier wegen Steuerhinterziehung) Erörterungen zur Vorbereitung einer Verständigung zu führen. Solche Gespräche können – bei gründlicher Vorbereitung auf der Basis der Anklageschrift und des gesamten Akteninhalts – im Einzelfall sinnvoll sein, lösen aber weder eine Bindung des Gerichts an dabei in Aussicht gestellte Strafober- oder -untergrenzen aus, noch kann durch sie ein durch den fair-trial-Grundsatz geschützter Vertrauenstatbestand entstehen. Die Annahme einer solchen Bindung ist rechtsfehlerhaft und könnte u.U. sogar den Bestand eines Urteils gefährden.
Normenkette
StPO §§ 257c, 202a; AO § 370
Verfahrensgang
LG Hildesheim (Urteil vom 15.02.2011) |
Tenor
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 15. Februar 2011 wird als unbegründet verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen die Angeklagte beschwerenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Die Schriftsätze der Revision vom 5. und vom 8. Juli 2011 lagen vor.
Gründe
Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
1. Die Urteilsfeststellungen und der Schuldspruch werden von der auf dem Geständnis der Angeklagten beruhenden Beweiswürdigung des Landgerichts getragen. Zwar hat das Landgericht nicht die Feststellung getroffen, dass es sich bei den dem Betriebsausgabenabzug und der Geltendmachung von Vorsteuer zugrunde gelegten Aufträgen um Scheingeschäfte i.S.d. § 41 Abs. 2 AO gehandelt hat. Solches lag freilich nach den im Urteil mitgeteilten Umständen nahe; auch ist das Tatgericht nicht gehalten, Behauptungen eines Angeklagten (etwa im Rahmen eines auf der Grundlage einer Verständigung abgegebenen Geständnisses) als unwiderlegbar hinzunehmen, wenn hinreichende Anhaltspunkte für die Richtigkeit dieser Angaben fehlen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. November 2010 – 1 StR 502/10 Rn. 12). Der Senat kann hier jedoch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen, dass im Jahr 2002 – wie die Angeklagte wusste – aus Gutachtenaufträgen weder eine Leistung bezogen wurde, noch eine Zahlung hierfür erfolgte, was die Geltendmachung der Betriebsausgaben oder der Vorsteuer hätte rechtfertigen können. Die Angeklagte hat ausdrücklich eingeräumt, dass ihr im Jahr 2002 „keines der Gutachten” übergeben worden sei.
2. Der Strafausspruch hat ebenfalls Bestand.
Entgegen der Auffassung der Revision enthalten die Urteilsgründe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Angeklagte lediglich eine „Steuerverkürzung auf Zeit” beabsichtigt haben könnte. Dies hat die Angeklagte als ausgebildete Steuerfachgehilfin und damit in steuerlichen Angelegenheiten hinreichend sachkundige Angeklagte (UA S. 9) auch nicht behauptet, obwohl sie die gewinnmindernde Berücksichtigung der Gutachtenkosten eingeräumt hat (UA S. 8) und zum Zeitpunkt der Einreichung der unrichtigen Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuererklärungen im Jahr 2006 die steuerlichen Verhältnisse der von ihr geleiteten Firmen seit dem Jahr 2002 gekannt hatte. Bereits die Annahme des Landgerichts, „faktisch” habe eine „Steuerverkürzung auf Zeit” vorgelegen, wird von den Feststellungen nicht getragen. Denn aus den Urteilsgründen ergibt sich nicht, dass in den Folgejahren überhaupt Gewinne erzielt worden sind, die durch einen dann möglichen Betriebsausgabenabzug hätten vermindert werden können. Solches liegt, worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat, angesichts der festgestellten persönlichen Verhältnisse der Angeklagten (UA S. 2 ff.) auch fern. Eine Aufklärungsrüge hat die Revision nicht erhoben.
3. Die Feststellung in den Urteilsgründen, das Urteil beruhe „auf einer in einer Vorbesprechung nach § 202a StPO informell getroffenen, verfahrensverkürzenden Verständigung” (UA S. 9), gibt dem Senat Anlass zu folgendem Hinweis:
„Informelle Verständigungen” widersprechen der Strafprozessordnung. Zwar ist es zulässig, auch schon vor Eröffnung des Hauptverfahrens Erörterungen zur Vorbereitung einer Verständigung zu führen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl. § 202a Rn. 2). Solche Gespräche können – bei gründlicher Vorbereitung auf der Basis der Anklageschrift und des gesamten Akteninhalts – im Einzelfall sinnvoll sein. Sie lösen aber weder eine Bindung des Gerichts an dabei in Aussicht gestellte Strafober- oder -untergrenzen aus, noch kann durch sie ein durch den fair-trial-Grundsatz geschützter Vertrauenstatbestand entstehen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2011 – 1 StR 458/10; BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2010 – 2 StR 354/10; BGH, Beschluss vom 4. August 2010 – 2 StR 205/10). Die Annahme einer solchen Bindung ist rechtfehlerhaft und könnte u.U. sogar den Bestand eines Urteils gefährden. Die Staatsanwaltschaft, der neben dem Gericht die Wahrung eines rechtsstaatlichen Verfahrens obliegt, hat hier indes kein Rechtsmittel eingelegt; eine von der Strafkammer angenommene Bindung an den Inhalt geführter Vorgespräche könnte hier die Angeklagte, die dies auch nicht mit einer Verfahrensrüge (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2010 – 3 StR 528/09) geltend macht, nicht beschweren.
Unterschriften
Nack, Wahl, Hebenstreit, Graf, Jäger
Fundstellen
Haufe-Index 2731279 |
BFH/NV 2011, 1999 |
ZAP 2011, 1193 |
NStZ-RR 2014, 131 |
StRR 2011, 326 |
StV 2011, 645 |
ZWH 2012, 120 |