Leitsatz (amtlich)
Im Sinne des § 92 a Abs. 4 AuslG ist „Vertragsstaat” des Schengener Übereinkommens vom 19. Juni 1990 jeder Mitgliedstaat, in dem das Übereinkommen in Kraft getreten ist. Die Anwendbarkeit der Vorschrift setzt nicht voraus, daß das Übereinkommen zwischen dem betreffenden Staat und den übrigen Mitgliedstaaten auch bereits in Kraft gesetzt worden ist.
Normenkette
AuslG § 92a Abs. 4
Verfahrensgang
LG Arnsberg (Urteil vom 15.01.2002) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 15. Januar 2002
- in den Fällen II. 1 und 2 sowie 4 bis 6 der Urteilsgründe
- im Gesamtstrafenausspruch und im Maßregelausspruch
mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Schleusens von Ausländern in sechs Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb” zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt; ferner hat es Maßregeln nach §§ 69, 69 a StGB angeordnet. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er allgemein die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlußformel ersichtlichen weit gehenden Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen bekam der Angeklagte, der bereits Anfang der 90iger Jahre Kontakt zur „Schleuserszene” hatte, im Jahr 1999 erneut in Berührung mit diesen Kreisen. Um sich eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang zu verschaffen und dadurch seine Schuldenlast zu verringern, übernahm es der Angeklagte, „Schleusungsfahrten nach Dänemark und über die Benelux-Staaten oder Frankreich nach England zu organisieren”. Dabei wußte der Angeklagte, daß die schleusungswilligen Personen, bei denen es sich ausnahmslos um indische Staatsbürger handelte, „regelmäßig kein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland hatten, da sie entweder vollständig illegal in der BRD waren oder der gestellte Asylantrag nicht ernst gemeint war” (UA 9). Ebenso wußte er, „daß diesen schleusungswilligen Personen auch in den Benelux-Staaten und in Frankreich kein Aufenthaltsrecht zustand” (UA 9).
Soweit das Landgericht den Angeklagten hiernach im Fall II. 3 der Urteilsgründe wegen des „Schleusens” von sechs Indern von Deutschland über die Benelux-Staaten nach Frankreich und von dort nach Großbritannien wegen – gewerbsmäßigen – Einschleusens gemäß § 92 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 i.V.m. § 92 Abs. 1 Nrn. 1 und 6 AuslG zu der Einzelstrafe von zehn Monaten verurteilt hat, weist das Urteil keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Dagegen hält die Verurteilung in den übrigen Fällen der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
2. Dazu im einzelnen:
a) Zu Fällen II. 1 und 2 der Urteilsgründe
aa) Nach den Feststellungen übernahm der Angeklagte zu nicht näher bestimmten Zeitpunkten im Jahr 1999 von Ekam S. den Auftrag, jeweils zwei Inder von Deutschland nach Dänemark auszuschleusen. Der Angeklagte gewann daraufhin Kai H. dafür, die Fahrten durchzuführen. Vor der dänischen Grenze mußten die indischen Personen jeweils in den Kofferraum des von H. gemieteten Pkw steigen. H. ließ die Inder in beiden Fällen in der nächsten Stadt in Dänemark heraus.
Das Landgericht hat in beiden Fällen eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 92 a Abs. 1, 2 Nr. 1 i.V.m. § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG angenommen, obwohl „der genaue ausländerrechtliche Status der geschleusten Personen nicht mehr festgestellt” werden konnte. Das Landgericht meint, darauf komme es jedoch nicht an, denn „aus deren Verhalten (Verstecken im Kofferraum eines Fahrzeugs)” ergebe sich, „daß sie ein mögliches Asylverfahren nicht mehr weiter verfolgen und konkludent zurückgenommen haben, da sich aus den Umständen ergibt, daß allein eine Schleusung nach Dänemark begehrt worden ist” (UA 18). Dem kann nicht gefolgt werden.
bb) Allerdings erfaßt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Strafvorschrift des § 92 a Abs. 1 i.V.m. § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG über das Einschleusen von Ausländern auch das Durchschleusen von Ausländern, die sich auf dem Wege in ein Drittland vorübergehend in Deutschland illegal – im Fall des § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG ohne Aufenthaltserlaubnis oder Duldung – aufhalten (BGHSt 45, 103; BGH, Urteil vom 9. Juni 1999 – 3 StR 88/99). Erschöpft sich dagegen die Tathandlung darin, einem Ausländer in dem Bemühen Hilfe zu leisten, Deutschland zu verlassen, erfüllt dies – sofern nicht die Voraussetzungen des die sog. Schengen-Staaten betreffenden § 92 a Abs. 4 AuslG erfüllt sind – keinen Straftatbestand (BGHR AuslG § 92 a Einschleusen 4; in diesem Sinne auch Klesczewski StV 2000, 364, 365 f.), ohne daß es auf den „ausländerrechtlichen Status” der zu schleusenden Personen im Inland ankäme.
Eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 92 a Abs. 4 AuslG scheidet aus. Diese – vom Landgericht nicht erörterte – Vorschrift, die das entgeltliche und das gewerbsmäßige Schleusen von Drittausländern in die sog. Schengen-Staaten unter Strafe stellt, fand in Bezug auf das Königreich Dänemark im Tatzeitraum noch keine Anwendung. Allerdings ist das Königreich Dänemark durch Übereinkommen vom 19. Dezember 1996 (BGBl 2000 II 1108) dem in § 92 a Abs. 4 genannten Schengener Übereinkommen vom 19. Juni 1990 (SDÜ; BGBl 1993 II 1010; 1994 II 631; 1996 II 242) beigetreten. Doch ist das Beitrittsübereinkommen erst am 1. Mai 1999 in Kraft getreten (Bekanntmachung vom 27. Februar 2002 über das Inkrafttreten des Übereinkommens, BGBl 2002 II 627). Zu Gunsten des Angeklagten ist davon auszugehen, daß die Taten in den Fällen II. 1 und 2 der Urteilsgründe vor diesem Zeitpunkt vollendet worden sind.
cc) Der Senat kann aber nicht in der Sache selbst entscheiden und den Angeklagten insoweit freisprechen. Denn das Landgericht hat den Sachverhalt nicht erschöpfend geprüft. Ergibt sich nämlich, daß der Angeklagte über die bislang getroffenen Feststellungen hinaus an dem gesamten Schleusungsvorgang der Inder aus dem Ausland durch das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beteiligt war, könnten ihm im Rahmen der zur Täterschaft verselbständigten Beihilfehandlung nach § 92 a Abs. 1 und 2 AuslG (vgl. BGHSt 45, 103, 107) auch eine illegale Einschleusung der Inder in die Bundesrepublik Deutschland und deren – zumindest zunächst – illegaler Aufenthalt im Inland zugerechnet werden. Daß der Angeklagte möglicherweise an dem Einschleusungsvorgang selbst nicht unmittelbar beteiligt war, würde dem nicht entgegenstehen, so wie auch eine feste Einbindung des Angeklagten in die Schleuserorganisation nicht vorausgesetzt wird. Vielmehr genügt, daß der Täter die Schleusungsaktion in ihren wesentlichen Merkmalen erkennt und er seinen Beitrag als Teil der Durchschleusungsaktion zur selbständigen Erledigung übernimmt (vgl. BGHSt aaO).
Dabei käme es für eine Strafbarkeit der Hilfestellung durch den Angeklagten nach § 92 a AuslG nicht darauf an, ob den unerlaubt eingereisten Indern der persönliche Strafaufhebungsgrund gemäß Art. 31 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) zur Seite gestanden hat (BGH StV 1999, 382; Westphal/Stoppa Ausländerrecht für die Polizei, 2. Aufl. S. 538 ff., 542, 554 f. m.w.N.). Unerheblich wäre auch, ob eine Aufenthaltsberechtigung der Schleusungswilligen in der Bundesrepublik Deutschland – wie das Landgericht meint – selbst für den Fall zu verneinen sei, daß Asylgesuche mit der Folge des § 55 Asylverfahrensgesetz gestellt worden seien, weil die Inder ein Asylgesuch „letztlich nur zum Schein” (UA 9) gestellt oder jedenfalls durch die konspirativen Umstände ihrer Ausschleusung einen Asylantrag konkludent zurückgenommen hätten (UA 18 a.E.; vgl. dazu die Erwägung des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs NJW 1999, 2827, 2828, in BGHSt 45, 103 nicht mit abgedruckt). Denn die Strafbarkeit nach § 92 a AuslG ist unabhängig davon, ob die Eingeschleusten Asylanträge stellen und ob diese als mißbräuchlich zu gelten haben oder nicht (vgl. Kloesel/Christ/Häußer Deutsches Ausländerrecht 45. Lfg. AuslG § 92 a Rdn. 8).
b) Zu Fall II. 4 der Urteilsgründe
aa) Insoweit hat das Landgericht festgestellt, daß der Angeklagte am 14. Dezember 2000 einen Klein-Lkw mietete, mit dem er in Absprache mit Tarsem S. 21 indische Sikhs von Duisburg zu einem britischen Lkw nach Mülheim/Ruhr brachte, von wo aus die Inder durch die Benelux-Staaten und Frankreich nach Großbritanninen geschleust werden sollten. Kurz nach Antritt der Fahrt des britischen Lkw griff die Polizei zu, so daß schon die Ausschleusung aus der Bundesrepublik Deutschland scheiterte. Sieben der indischen Personen hielten sich im Bundesgebiet „ohne jegliche Aufenthaltsgestattung” auf, die übrigen verfügten über eine „vorläufige Aufenthaltsgestattung nach Asylverfahrensgesetz” (UA 11).
Das Landgericht hat hier eine vollendete Tat nach § 92 a Abs. 1, 2 Nr. 1 und Abs. 4 i.V.m. § 92 Abs. 1 Nrn. 1 und 6 AuslG angenommen, weil, obwohl es zu einer Ausreise der Inder aus der Bundesrepublik nicht gekommen sei, der „Tatbeitrag des Angeklagten, nämlich seine Hilfeleistung, … beendet” gewesen sei (UA 19).
bb) Die Anwendung von § 92 a Abs. 4 AuslG auf den hier festgestellten Fall des (beabsichtigten Schleusens) der Inder über die gemeinsamen Binnengrenzen der sog. Schengen-Staaten hinweg ist zutreffend (BGHR AuslG § 92 a Einschleusen 3). Dagegen trifft die Auffassung, die Tat sei vollendet, nicht zu. Zwar erfaßt die Vorschrift des § 92 a AuslG besondere Formen der zur Täterschaft verselbständigten Anstiftung und Beihilfe zu den darin genannten Vergehen nach § 92 AuslG (vgl. BGHSt 45, 103, 107; Senge in Erbs/Kohlhaas 138. ErgLfg. AuslG § 92 a Rdn. 3). Doch setzt die Strafbarkeit wegen vollendeter Schleusungstätigkeit die Vollendung der „Haupttat” nach § 92 AuslG voraus. Dies folgt schon daraus, daß in § 92 a Abs. 1 nur § 92 Abs. 1 und Abs. 2 AuslG, nicht aber die Versuchsvorschrift des § 92 Abs. 2 a AuslG in Bezug genommen ist. Schleusertätigkeit, die nicht zu dem in § 92 AuslG vorausgesetzten Erfolg führt, ist deshalb nur als Versuch nach § 92 a Abs. 3 AuslG erfaßt (vgl. BGH StV 1999, 382; BGH NStZ 2002, 33, 34; Stoppa in Huber, Handbuch des Ausländer- und Asylrechts, Bd. II, Stand 1. Februar 2002, AuslG § 92 a Rdn. 100).
cc) Der Senat sieht aber davon ab, in diesem Fall den Schuldspruch von sich aus zu ändern. Denn er schließt nicht aus, daß sich ergänzende Feststellungen treffen lassen, die nach dem oben zu den Fällen II. 1 und 2 der Urteilsgründe Gesagtem (s.o. 2. a cc) eine Verurteilung wegen vollendeter Schleusung tragen.
c) Zu Fällen II. 5 und 6 der Urteilsgründe
aa) Hierzu hat das Landgericht festgestellt, daß der Angeklagte am 28. Oktober 2000 den „illegal im Bundesgebiet aufhältigen Hardip S. gemeinsam mit zwei Indern, die über ein gültiges Schengen-Visum verfügten, von Hamburg aus per Pkw nach Dänemark zu schleusen” beabsichtigte (UA 12). Zwar traf sich der Angeklagte am Hamburger Hauptbahnhof mit den schleusungswilligen Personen. Die Schleusungsfahrt „scheiterte jedoch”, da die Ausländer beim Verlassen des Hauptbahnhofs kontrolliert wurden (Fall II. 5).
Noch am selben Abend bat Ekam S. den Angeklagten, zwei Personen nach Dänemark zu schleusen, „wobei es sich möglicherweise um die Personen vom gescheiterten Unternehmen am Hamburger Hauptbahnhof handelte” (UA 12). Der Angeklagte gewann daraufhin Thomas N. für die Durchführung der Fahrt. N. nahm die beiden Inder am 3. November 2000 in Hamburg auf. Bei der Kontrolle am Grenzübergang Ellund wurden die beiden im Kofferraum des Pkw versteckten Inder entdeckt (Fall II. 6).
Das Landgericht hat beide Fälle als selbständige Handlungen des Durchschleusens von Ausländern nach § 92 a i.V.m. § 92 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AuslG, einen Versuch jedoch nur im Fall II. 5 angenommen.
bb) Die rechtliche Wertung des Landgerichts begegnet durchgreifenden Bedenken. Soweit der Angeklagte nach den bisher getroffenen Feststellungen seine Tätigkeit überhaupt erst entfaltete, als sich die Inder bereits in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten, wären seine auf die Ausschleusung, und damit auf die Beendigung des (illegalen?) Aufenthalts in der Bundesrepublik gerichteten Bemühungen nach dem oben zu den Fällen II. 1 und 2 der Urteilsgründe Gesagten (s.o. 2. a bb) – vorbehaltlich der vom Landgericht nicht in den Blick genommenen Strafbarkeit nach § 92 a Abs. 4 AuslG (dazu nachfolgend dd) – straflos. Für eine Einbindung des Angeklagten in die Schleuserorganisation dergestalt, daß sich sein Tatbeitrag als Förderung des (illegalen) Aufenthalts der schleusungswilligen Personen in der Bundesrepublik Deutschland darstellt und er sich deshalb nach den dazu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen (BGHSt 45, 103) wegen vollendeten „Durchschleusens” strafbar gemacht hat, fehlt es bislang an den erforderlichen Feststellungen.
cc) Davon abgesehen könnte die Verurteilung in diesen Fällen auch aus weiteren Gründen nicht bestehen bleiben:
Zum einen sind die Feststellungen, was den „ausländerrechtlichen Status” der Inder anlangt, widersprüchlich bzw. unklar. Denn einerseits stellt das Landgericht zu Fall II. 6 der Urteilsgründe fest, daß die beiden schleusungswilligen Personen „ohne Aufenthaltsgenehmigung für die Bundesrepublik Deutschland” waren (UA 15); andererseits handelte es sich – wie bereits erwähnt – „möglicherweise um die Personen vom gescheiterten Unternehmen am Hamburger Hauptbahnhof”, von denen aber zwei Inder „über ein gültiges Schengen-Visum verfügten” (UA 12 zu Fall II. 5 der Urteilsgründe). Welcher Art die Schengen-Visa waren und welche Berechtigung sich daraus für die betreffenden Inder ergab (vgl. dazu Westphal ZAR 1998, 175 ff.), teilt das Urteil nicht mit.
Des weiteren hat das Landgericht im Fall II. 5 die sich aufdrängende Abgrenzung zwischen unbeendetem Versuch, von dem der Angeklagte gemäß § 24 Abs. 1 StGB durch bloßes Aufgeben der weiteren Tatausführung strafbefreiend zurückgetreten sein könnte, und fehlgeschlagenem Versuch nicht vorgenommen. Dieser Frage nachzugehen, bestand schon deshalb Anlaß, weil der Angeklagte wegen der Kontrolle am Hauptbahnhof lediglich „für diesen Tag” das Unternehmen für gescheitert ansah (UA 12). Dies läßt zugleich die Annahme zu, daß sich der Fall II. 6 lediglich als Fortsetzung des vorangehenden abgebrochenen Versuchs darstellt. Dies gilt umso mehr, als das Landgericht nicht ausschließt, daß es sich – wovon zu Gunsten des Angeklagten auszugehen ist – „möglicherweise um die Personen vom gescheiterten Unternehmen am Hamburger Hauptbahnhof handelte”, womit naheliegend nur die zwei der im Fall II. 5 bezeichneten schleusungswilligen Inder gemeint sein können. Dann stellt sich aber das Vorgehen des Angeklagten im Fall II. 5 als nicht selbständiger Teil des Schleusungsvorgangs dar, der nach den in der Rechtsprechung zur tatbestandlichen Handlungseinheit (vgl. Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. vor § 52 Rdn. 2 d m.N.) entwickelten Grundsätzen die Fälle II. 5 und 6 zu einer Tat im Rechtssinne verbindet.
dd) Zudem hat das Landgericht es unterlassen, die Strafbarkeit des Angeklagten in den Fällen II. 5 und 6 der Urteilsgründe nach § 92 a Abs. 4 AuslG zu prüfen. Das Landgericht hat diese Vorschrift außer Betracht gelassen, obwohl – wie ausgeführt (s.o. 2 a bb) – das Übereinkommen über den Beitritt des Königreichs Dänemark zum Schengener Durchführungsübereinkommen seit dem 1. Mai 1999 in Kraft ist (Bekanntmachung BGBl 2002 II 627). Mit dem Inkrafttreten des Beittrittsabkommens ist nach Art. 2 Abs. 1 Unterabsatz 1 Satz 1 des „Protokolls zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union” (BGBl 1998 II 429) der Schengen-Besitzstand für Dänemark für sofort anwendbar erklärt worden. Deshalb war Dänemark im Tatzeitraum bereits Vertragsstaat im Sinne der genannten Strafvorschrift. Dies entspricht nach einer vom Senat eingeholten Auskunft auch der Auffassung der Bundesregierung. Daß das Inkrafttreten erst nachträglich bekannt gemacht wurde (BGBl 2002 II 627, ausgegeben am 14. März 2002), steht der Anwendbarkeit von § 92 a Abs. 4 AuslG nicht entgegen (vgl. BayObLGSt 1999, 113, 117 f.; Senge in Erbs/Kohlhaas aaO Rdn. 19).
Der Anwendung der Strafbestimmung des § 92 a Abs. 4 AuslG steht auch nicht entgegen, daß der sog. Schengen-Besitzstand nach der in der Schlußakte zu den zum Beitrittsübereinkommen aufgenommenen Erklärung (BGBl 2000 II 1110) durch Beschluß des Rates der Europäischen Union vom 1. Dezember 2000 – 2000/777/EG (Abl EG L 309/24 vom 9. Dezember 2000) für Dänemark erst zum 25. März 2001 (und damit nach der Tatbegehung) in Kraft gesetzt worden ist (Bekanntmachung vom 27. Februar 2002, BGBl 2002 II 627, 628). Der Zeitpunkt der Inkraftsetzung des Vertrages ist für die Geltung der (nationalen) Strafbestimmung des § 92 a Abs. 4 AuslG ohne Bedeutung (Stoppa aaO Rdn. 92; ebenso Westphal/Stoppa aaO S. 566; a.A. noch, aber ohne nähere Begründung, Westphal in Huber Handbuch des Ausländer- und Asylrechts, Band II, Vorbem. Schengen II B 651 Rdn. 8).
Für diese Auslegung spricht schon der Wortlaut des Art. 8 des Gesetzes zu dem Schengener Übereinkommen vom 19. Juni 1990 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 15. Juli 1993 (BGBl II 1010). Denn nach Art. 8 Abs. 1 des Gesetzes trat (auch) die Strafvorschrift des § 92 Abs. 4 a.F. AuslG an dem Tage in Kraft, „an dem das Übereinkommen nach seinem Artikel 139 sowie die Schlußakte und das Protokoll in Kraft tr(a)ten”. Der Gesetzgeber hat in Bezug auf das Übereinkommen den Begriff des Inkrafttretens auch nicht etwa „untechnisch” verwendet und ihn inhaltlich mit der Inkraftsetzung gleichgesetzt. Denn für die Bekanntgabe der maßgeblichen Zeitpunkte ist in Art. 8 Abs. 2 des Gesetzes ausdrücklich zwischen dem Tag des Inkrafttretens und dem „Zeitpunkt der Inkraftsetzung” des Übereinkommens unterschieden. Auch die Einzelbegründung zu Art. 4 Nr. 3 des Gesetzentwurfs knüpfte für die Anwendung der Strafvorschrift des § 92 Abs. 4 a.F. AuslG an die „gewerbliche Mitwirkung bei der illegalen Einreise in das Gebiet der Staaten” an, „in denen das Übereinkommen in Kraft getreten” ist (BTDrucks. 12/2453 S. 9, Hervorheb. durch den Senat; in diesem Sinne auch BayObLGSt 1999, 113, 116).
Mag auch mit dem Auseinanderfallen von Inkrafttreten und Inkraftsetzen im Verhältnis der Vertragsstaaten untereinander eine „unerfreuliche Rechtsunsicherheit” eingetreten sein (Grotz in Grützner/Pötz Internationale Rechtshilfe in Strafsachen 2. Aufl. Bd. 4 SDÜ Art. 139, dort Fußnote 97), hat der bundesdeutsche Gesetzgeber jedenfalls in europa- und verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise die Strafbarkeit nach § 92 Abs. 4 a.F. AuslG (jetzt § 92 a Abs. 4 AuslG) in Erfüllung der Verpflichtung aus Art. 27 SDÜ an den Zeitpunkt des Inkrafttretens des (Beitrittsübereinkommens zum) SDÜ geknüpft (so auch der Wortlaut der Begründung des Gesetzentwurfs, BTDrucks. 12/2453 S. 9). Daß nach der Gemeinsamen Erklärung zu Art. 139 SDÜ zum Inkrafttreten des Übereinkommens dessen Inkraftsetzen hinzukommen muß (Schomburg in Schomburg/Lagodny Internationale Rechtshilfe in Strafsachen 3. Aufl. SDÜ Art. 139 Rdn. 1), steht in Zusammenhang mit der durch Exekutivakt der Europäischen Union zu treffenden bzw. getroffenen Feststellung, daß „die Voraussetzungen der Anwendung des Übereinkommens bei den Unterzeichnerstaaten gegeben sind und die Kontrollen an den Außengrenzen tatsächlich durchgeführt werden” (BTDrucks 12/2453 S. 84) bzw. – bezogen auf den Beitritt Dänemarks – „die als notwendig erachteten Regeln für die wirksamen Kontrollen an den Außengrenzen … Anwendung finden und wirksam sind” (Gemeinsame Erklärung zu Art. 7 des Übereinkommens über den Beitritt des Königreichs Dänemark zum Schengen-Übereinkommen, BGBl II 2000 1110). Dies berührt indes nicht die Befugnis des einzelnen Mitgliedstaates, in eigener Zuständigkeit schon vor der Inkraftsetzung Sanktionen einzuführen, die der wirksamen Durchsetzung der Vertragsbestimmungen dienen (vgl. Erwägungen 4 und 5 zum Beschluß des Rates der Europäischen Union vom 20. Mai 1999, 1999/436/EG, Abl EG L 176/17). Dazu fehlt es auch nicht an einem legitimierenden Anknüpfungspunkt für die damit begründete Ausdehnung der (bundesdeutschen) Strafgewalt (vgl. hierzu Franke in GK-AuslR – Stand Januar 2000 – AuslG § 92a Rdn. 19 m.N.), wenn – wie hier – die Tat durch einen Deutschen im Inland begangen wird.
Auch die weitere Voraussetzung des § 92 a Abs. 4 AuslG, daß die Tat gegen Rechtsvorschriften des betreffenden Vertragsstaates über die Einreise und den Aufenthalt von Drittausländern verstoßen hat, die den in § 92 Abs. 1 Nr. 1 oder 6 oder Abs. 2 Nr. 1 AuslG bezeichneten Handlungen entsprechen, kommt naheliegend in Betracht. Nach einer über die Bundesregierung eingeholten Mitteilung der Botschaft der Bundesrepublik in Kopenhagen sind die illegale Einreise in das Königreich Dänemark und der ungenehmigte Aufenthalt dort sowie die vorsätzliche Hilfeleistung dazu in § 59 des Dänischen Ausländergesetzes (udlændingeloven) grundsätzlich unter Strafe gestellt. Die Vorschrift lautet danach (in nicht-amtlicher Übersetzung) in ihrer seit dem 1. Juni 2000 – und damit auch im Tatzeitpunkt geltenden – Fassung, soweit hier von Interesse, wie folgt:
Abs. 1
Mit Geldstrafe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten wird der Ausländer bestraft, der
(1) unter Umgehung der Passkontrollen oder außerhalb der Öffnungszeiten der Grenzübergangsstellen in das Land … einreist. … Satz 1 gilt nicht bei der Einreise aus … einem Land des Schengenabkommens, wenn nicht ausnahmsweise eine Kontrolle an einer solchen Grenze stattfindet gemäß Art. 2 Abs. 2 der Schengenkonvention, ….
(2) in das Land entgegen einem Einreiseverbot oder ein im Zusammenhang mit früheren ausländerrechtlichen Bestimmungen ergangenes Verbot in das Land einreist.
(3) sich im Land ohne erforderliche Genehmigung aufhält oder hier arbeitet.
(4). …
Abs. 5
Wer einem Ausländer vorsätzlich dazu Hilfe leistet, unerlaubt einzureisen oder sich unerlaubt im Land aufzuhalten, wird mit Geldstrafe oder Gefängnis bis zu zwei Jahren verurteilt ….
Der Senat kann die Frage, ob die Tathandlung des Angeklagten in den Fällen II. 5 und 6 der Urteilsgründe hiernach im Tatzeitpunkt Zuwiderhandlungen gegen die genannten dänischen Vorschriften im Sinne des § 92 a Abs. 4 Nr. 1 AuslG „entsprochen” hat, aber nicht abschließend beantworten, weil es dazu an den erforderlichen Feststellungen zur rechtlichen und tatsächlichen Situation der Kontrolle an der dänischen Grenze zur Tatzeit unter Beachtung der Bestimmungen des SDÜ fehlt. Im übrigen kommt nach dem oben zu Fall II. 4 der Urteilsgründe Gesagten (s.o. 2. b) eine Strafbarkeit des Angeklagten ohnedies nur wegen versuchter Einschleusung nach § 92 a Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 AuslG in Betracht, wenn – wozu sich das angefochtene Urteil nicht verhält – die schleusungswilligen Personen dänisches Hoheitsgebiet nicht erreicht haben, sondern die Ausschleusung schon auf deutscher Seite der Grenze gescheitert war (vgl. zur entsprechenden Fragestellung bei der Einfuhr von Betäubungsmitteln BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Einfuhr 25, 30, 38). Auch in diesem Fall würde es nicht schon an einer § 92 a Abs. 3 AuslG entsprechenden, nämlich auch die versuchte Tat erfassenden Rechtsvorschrift in Dänemark fehlen; denn § 21 des dänischen Strafgesetzes (straffeloven) in der zur Tatzeit geltenden Fassung bestimmte, soweit hier von Interesse (Cornils/Greve Das dänische Strafgesetz, 1997, S. 21):
Abs.1
Handlungen, die darauf abzielen, die Ausführung einer Straftat zu fördern oder zu bewirken, werden, wenn die Straftat nicht zur Ausführung gelangt, als Versuch bestraft.
Abs. 3
Sofern nichts anderes bestimmt ist, wird der Versuch nur bestraft, wenn für die Straftat eine höhere Strafe als Haft vorgesehen ist.
[In der seit dem 1. Juli 2001 geltenden Fassung lautet der 2. Halbsatz: „…, wenn für die Straftat eine Strafe verhängt werden kann, die 4 Monate Gefängnis übersteigt”. (Cornils/Greve Das dänische Strafgesetz 2. Aufl., 2001, S. 29).]
Die Sache bedarf deshalb aber auch insoweit weiterer Aufklärung durch den neuen Tatrichter.
3. Die Aufhebung des Urteils in den Fällen II. 1 und 2 sowie 4 bis 6 der Urteilsgründe entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage. Auch der Maßregelausspruch nach §§ 69, 69 a StGB kann nicht bestehen bleiben; denn das Landgericht hat die Entziehung der Fahrerlaubnis auch auf die von der Aufhebung betroffene Tat im Fall II 4 gestützt.
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Kuckein, Solin-Stojanović, Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 2559896 |
NJW 2002, 3642 |
BGHR |
NVwZ 2003, 125 |
Nachschlagewerk BGH |
wistra 2003, 23 |
StV 2003, 81 |