Verfahrensgang
LG Kiel (Urteil vom 29.03.2012) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 29. März 2012 nach § 349 Abs. 4 StPO im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Übrigen wird die Revision nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen und schweren Raubes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat im Umfang der Beschlussformel Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Rz. 2
Während der Schuldspruch frei von Rechtsfehlern ist, hat der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand.
Rz. 3
1. Die Begründung, mit der die sachverständig beratene Strafkammer von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat, ist rechtsfehlerhaft.
Rz. 4
a) Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte „Ende des Jahres 2010” begonnen, Marihuana zu rauchen und in größeren Mengen Alkohol zu trinken. „Dies wurde zur Gewohnheit, der Angeklagte betrieb seither regelmäßig Substanzmittelmissbrauch, der eine entsprechende Abhängigkeit zur Folge hatte” (UA S. 4). In den Wochen vor den Taten konsumierte er gemeinsam mit seinen Mitbewohnern regelmäßig Alkohol und Drogen und lebte „in den Tag hinein” (UA S. 4). Während der ersten Tage der Untersuchungshaft litt der Angeklagte unter Entzugserscheinungen. Bei den Taten stand er unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen, war jedoch „aufgrund seiner Alkohol- und Drogengewöhnung bei voller Einsichtsfähigkeit zwar leicht enthemmt, ohne indes in seiner Steuerungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigt zu sein” (UA S. 5 f.). Das bei den Taten erbeutete Geld verwendete er teilweise zum Erwerb von Alkohol und Drogen.
Rz. 5
b) Die Strafkammer hat die Unterbringung des im Zeitpunkt der ersten Taten gerade 21 Jahre alten Angeklagten in einer Entziehungsanstalt mangels hinreichender Erfolgsaussicht abgelehnt. Zur Begründung hat sie dargelegt, dass „ausgehend von dem noch kindlichen Reifegrad des Angeklagten und dessen pathologischem Mangel an Selbstwert und Ich-Erfahrung” dieser „in absehbarer Zeit im Hinblick auf seine Substanzmittelsucht nicht erfolgreich therapierbar ist, er vielmehr zunächst zur Nachreifung eines geschützten Rahmens mit fester Tagesstruktur und umfassender Betreuung bedarf, bevor therapeutische Bemühungen einsetzen können” (UA S. 16, 20).
Rz. 6
Diese Begründung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Schluss vom Reiferückstand des Angeklagten auf seine fehlende Therapierbarkeit ist für sich genommen ohne weitere Erklärungen schon nicht nachvollziehbar, zumal ein Mangel an Selbstwertgefühl bei rauschmittelsüchtigen Straftätern keine Ausnahme darstellen dürfte. Jedenfalls fehlen Darlegungen, inwiefern keine Therapieform in Betracht kommen soll, die eine adäquate Behandlung des Angeklagten gewährleistet und hinreichend konkrete Erfolgsaussichten bietet. Wie sich insbesondere aus § 93a JGG ergibt, geht das Gesetz davon aus, dass selbst ein Entwicklungsstand, der dem eines Jugendlichen entspricht, der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht entgegenstehen darf, sondern die Maßregel in Einrichtungen zu vollziehen ist, in der die für die Behandlung suchtkranker Jugendlicher erforderlichen besonderen therapeutischen Mittel und sozialen Hilfen zur Verfügung stehen. Im Übrigen dürfen Schwierigkeiten bei der Ausgestaltung und praktischen Durchführung der Maßregel grundsätzlich nicht die Entscheidung über deren Anordnung beeinflussen, solange die übrigen Voraussetzungen vorliegen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Februar 2007 – 5 StR 13/07, NStZ 2007, 326 f.; BGH, Beschluss vom 26. November 1996 – 4 StR 538/96, BGHR StGB § 64 Abs. 2 Aussichtslosigkeit 6).
Rz. 7
2. Der Senat hebt auch den Strafausspruch auf, weil er nicht ausschließen kann, dass der Fehler bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 64 StGB sich auch auf die Strafen ausgewirkt hat. Dies gibt dem neuen Tatgericht die Möglichkeit, die Voraussetzungen des § 21 StGB umfassend zu prüfen. Insoweit weist er auf Folgendes hin:
Rz. 8
Sollte das neue Tatgericht wiederum eine Persönlichkeitsstörung bei dem Angeklagten feststellen, so wird es diese diagnostisch einzuordnen und hinsichtlich ihrer Schwere und ihrer Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit des Angeklagten näher zu beurteilen haben. Auch eine Rauschmittelabhängigkeit des Angeklagten ist hinsichtlich ihrer Schwere und ihres Gegenstandes näher darzulegen. Der Ausschluss von Wechselwirkungen zwischen Berauschung und „Persönlichkeitsproblematik” (UA S. 15) des Angeklagten mit Blick auf seine Steuerungsfähigkeit ist zu begründen.
Unterschriften
Raum, Schaal, Schneider, König, Bellay
Fundstellen