Entscheidungsstichwort (Thema)
Verdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung
Tenor
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.
Gründe
Der Beschuldigte wurde am 4. April 2001 festgenommen und befindet sich wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung seit dem 5. April 2001 in Untersuchungshaft aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom selben Tag (2 BGs 93/2001). Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Der Beschuldigte ist dringend verdächtig, sich als Mitglied an einer Vereinigung beteiligt zu haben, deren Zwecke oder Tätigkeit darauf gerichtet sind, gemeingefährliche Straftaten in den Fällen des § 308 StGB zu begehen (§ 129 a Abs. 1 Nr. 3 StGB).
a) Unter einer Vereinigung im Sinne der §§ 129, 129 a StGB ist ein auf gewisse Dauer berechneter organisatorischer Zusammenschluß von mindestens drei Personen zu verstehen, die bei Unterordnung des Willens des einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, daß sie sich als einheitlicher Verband fühlen (st.Rspr.; s. etwa BGHSt 28, 147 ff.; 31, 239, 240). Die organisierte Willensbildung, hinter der einzelne abweichende individuelle Meinungen zurückstehen, kann dabei auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam aufgebaut sein, aber auch dem Demokratieprinzip entsprechen (BGHSt 31, 239, 240). Handelt es sich bei der Vereinigung um eine ausländische oder international tätige, sind die §§ 129, 129 a StGB jedoch nur dann anwendbar, wenn die Vereinigung zumindest in Form einer Teilorganisation auch auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland besteht (BGHSt 30, 328 m.w.Nachw.). In einem derartigen Fall ist es nicht erforderlich, daß die organisierte Willensbildung sich innerhalb der inländischen Teilorganisation vollzieht. Es genügt vielmehr, daß deren Mitglieder in die Willensbildung der ausländischen oder internationalen Organisation integriert sind und sich den auf dieser Ebene getroffenen Entschlüssen gegebenenfalls unter Zurückstellung ihrer individuellen Meinungen unterwerfen. Zweck oder Tätigkeit der inländischen Teilorganisation müssen nicht notwendig darauf gerichtet sein, Straftaten der in § 129 a Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StGB genannten Art im Inland zu begehen. Vielmehr genügen auch Auslandstaten, wenn auf diese das deutsche Strafrecht Anwendung fände (BGH NJW 1966, 310, 312).
b) Nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen besteht der dringende Verdacht im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO, daß sich der Beschuldigte K. jedenfalls ab Herbst 2000 im Raum F. zumindest mit den Mitbeschuldigten B. und S. zu einer nach außen abgeschotteten, konspirativ arbeitenden Organisationseinheit zusammengeschlossen hat und unter Einbindung in diese Organisation in einer international tätigen terroristischen Vereinigung gewaltbereiter islamistischer Fundamentalisten (sog. „non-aligned Mudjahedin”) tätig geworden ist, die in Umsetzung des von ihr propagierten „heiligen Krieges (Djihad)” in Ländern des westlichen Kulturkreises Terrorakte, insbesondere Sprengstoffanschläge verüben (§ 129 a Abs. 1 Nr. 3, § 308 Abs. 1, § 6 Nr. 2 StGB). Ob dieser Verdacht sich zu einer die Verurteilung des Angeklagten tragenden Überzeugung verdichten läßt, muß der Beurteilung des Tatgerichts nach Durchführung der Beweisaufnahme vorbehalten bleiben.
Der Tatverdacht gegen den Beschuldigten gründet sich auf folgende Umstände, die dem Senat teilweise auch aus früheren Haftprüfungsverfahren betreffend die Mitbeschuldigten B., S., M. und E. bekannt sind:
aa) Der organisatorische Zusammenschluß der Beschuldigten K., B. und S.:
Die bisherigen Ermittlungen belegen zunächst mit hinreichender Sicherheit, daß die Beschuldigten B. und S. im Zusammenwirken mit den Beschuldigten M. und E., die im Dezember 2000 von L. kommend in F. eingetroffen waren, einen Sprengstoffanschlag auf den Weihnachtsmarkt oder einen Wochenmarkt in St. vorbereiteten. Hierzu hatten sie sich mit mehreren Schußwaffen versorgt sowie erhebliche Mengen Kaliumpermanganat erworben und hieraus bereits Triacetonperoxid hergestellt. Außerdem hatten E. und S. für den Zeitraum Ende Dezember 2000 bis Anfang Januar 2001 unter Falschnamen Wohnungen in Ba. angemietet und eine – per Videoaufzeichnung dokumentierte – Fahrt von dort nach St. und zurück Richtung Deutschland unternommen, um die ins Auge gefaßten Tatorte sowie Anfahrts- und Abfahrtsrouten auszukundschaften. Der Beschuldigte B. bestätigte im übrigen in seiner Vernehmung vom 12. Februar 2001, daß die Beschuldigten M., E. und S. vorgehabt hätten, Menschen zu töten.
Das gewonnene Beweismaterial legt darüber hinaus den Schluß nahe, daß sich der Beschuldigte K. jedenfalls mit den Beschuldigten B. und S. zu einer Organisation verbunden hatte, deren Zwecke oder Tätigkeit allgemein darauf gerichtet waren, Straftaten wie den geplanten Anschlag in St. zu begehen. Diese drei Beschuldigten hielten sich zumindest seit Herbst 2000 im Raum F. auf und standen untereinander in Kontakt. Dabei verhielten sie sich in konspirativer Weise. Sie verwendeten verschiedene Decknamen, nutzten teilweise Wohnungen, die von Dritten – auch unter Falschnamen – angemietet worden waren, und telefonierten ausschließlich aus öffentlichen Telefonzellen oder mit Handys, die für andere Personen freigeschaltet worden waren. All dies wird vom Beschuldigten K. zum Teil eingeräumt und im übrigen durch mehrere sichergestellte Beweismittel sowie den Inhalt abgehörter Telefonate bestätigt. Schon diese Besonderheiten legen es nahe, daß es sich bei der Beziehung der Beschuldigten K., B. und S. nicht um ein reines Freundschaftsverhältnis handelte, gegründet etwa allein auf die gemeinsame Herkunft oder Religion.
Hinzu kommt eine Vielzahl von Verdachtsmomenten, die dafür sprechen, daß sich diese Beschuldigten zusammengeschlossen hatten, um im Rahmen des internationalen Netzwerks der „non-aligned Mudjahedin” an der Verwirklichung deren terroristischer Ziele mitzuwirken. Diese ergeben sich zunächst aus zahlreichen schriftlichen Unterlagen und sonstigen Beweismitteln, die sowohl bei den Beschuldigten dieses Verfahrens als auch bei anderen Personen sichergestellt werden konnten, die im Verdacht stehen, dem Netz gewaltbereiter islamischer Fundamentalisten anzugehören. Sie folgen außerdem aus dem Inhalt zahlreicher abgehörter Telefonate, die seit Dezember 2000 insbesondere im Zusammenhang mit den Verhaftungen der Beschuldigten in Deutschland, im europäischen Ausland oder auch per Satellitentelefon in den Raum Afghanistan/Pakistan geführt wurden. Besonders aufschlußreich sind darüber hinaus vor allem die Äußerungen des Beschuldigten B. in der Untersuchungshaft gegenüber dem Mitgefangenen Sa., den er von den Zielen des islamischen Fundamentalismus überzeugen wollte und für eine Ausbildung in Afghanistan zu gewinnen suchte. Laut B. habe die Gruppe über mehr als 200 kg Sprengstoff verfügt, es sei ein Anschlag auf eine jüdische Einrichtung in Li. vorgesehen gewesen und weitere Operationen hätten sich in der Planung befunden. Zu diesen hätten die Inhaftierten aber noch keine näheren Informationen besessen, da die entsprechenden Anweisungen von Führungspersonen von außerhalb kämen.
bb) Einbindung der Organisation der Beschuldigten K., B. und S. in die internationale terroristische Vereinigung der „non-aligned Mudjahedin”:
Zur Existenz des internationalen Netzes der „non-aligned Mudjahedin”, den Beziehungen der ihm angehörenden Mitglieder oder lokalen Gruppen untereinander sowie den aus dieser Vereinigung heraus bereits begangenen oder geplanten terroristischen Anschlägen sind eine Vielzahl von Erkenntnissen deutscher, französischer, italienischer und britischer Ermittlungsbehörden und Geheimdienste aktenkundig. Sie werden beispielhaft auch belegt durch den Inhalt eines am 13. Januar 2001 geführten Telefonats zwischen einem Es. in Italien und einem Ma. in Belgien, die beide der Zugehörigkeit zu den „non-aligned Mudjahedin” verdächtig sind. In diesem Telefonat bringt Es. seine Hoffnung zum Ausdruck, daß in Frankreich nicht das Gleiche wie in F. passiere und auch das dortige Versteck entdeckt werde, und rät dem Ma., eine neue Identität anzunehmen.
Die Einbindung der zumindest von den Beschuldigten K., B. und S. gebildeten Untergruppierung in die internationale Vereinigung folgt zunächst aus ihrem Kontakt zu bzw. ihrem Zusammenwirken mit den Beschuldigten M. und E., die augenscheinlich zur Vorbereitung des Anschlags in St. aus L. angereist waren, wo sie nach den Erkenntnissen der britischen Ermittlungsbehörden einer vergleichbaren Untergruppierung des Netzes gewaltbereiter islamistischer Fundamentalisten angehörten. Darüber hinaus bestand zu weiteren Personen Kontakt, die im Verdacht stehen, diesem internationalen Netz anzugehören, was erneut durch den Inhalt einer Vielzahl abgehörter Telefonate bestätigt wird. Ebenso liegen in Form sichergestellter Briefe und Internetausdrucke hinreichende Beweise dafür vor, daß sich der Beschuldigte K. mit der islamistisch-fundamentalistischen Ideologie der Mudjahedin und dem von diesen propagierten „heiligen Krieg” identifiziert. Auch ist ein aussagekräftiger Beleg dafür vorhanden, daß sich die Mitglieder der F. Untergruppierung der Willensbildung im internationalen Netz der „non-aligned Mudjahedin” unterwarfen, nämlich die Bemerkung des Beschuldigten B. gegenüber dem Zeugen Sa., es hätten sich weitere Operationen in der Planung befunden, zu denen die Inhaftierten aber noch keine näheren Informationen besessen hätten, da die entsprechenden Anweisungen von Führungspersonen von außerhalb kämen.
2. Bei dem Beschuldigten besteht aus den im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 5. April 2001 genannten Gründen der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Der Zweck der Untersuchungshaft kann nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug (§ 116 Abs. 1 StPO) erreicht werden.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der außergewöhnliche Umfang der Ermittlungen haben bisher ein Urteil nicht zugelassen. Die Ermittlungen erstrecken sich gegen eine Vielzahl von Beschuldigten, deren Verbindungen innerhalb der Bundesrepublik, in das europäische Ausland, aber auch in den Mittleren Osten in Zusammenarbeit mit ausländischen Ermittlungsbehörden aufzuklären sind. Sie werden durch das konspirative Verhalten der Beschuldigten und ihres Umfeldes erschwert. Es sind mehrere Rechtshilfeersuchen an Ermittlungsbehörden in Frankreich, Großbritannien und Italien notwendig geworden. Durch Wohnungsdurchsuchungen, Telefonabhörmaßnahmen und sonstige Ermittlungen, aber auch durch die Überlassung von Beweisstücken ausländischer Ermittlungsbehörden hat sich eine umfangreiche Sammlung von Beweismaterial ergeben, deren Auswertung mit einem erheblichen Aufwand verbunden ist. Sie wird noch dadurch erschwert, daß eine Vielzahl von Schriftstücken, Abhörprotokollen und auf Datenträgern gespeicherter Dokumente zunächst ins Deutsche zu übersetzen war, um eine Auswertung erst zu ermöglichen. Nach Mitteilung des Generalbundesanwaltes ist mit dem Abschluß der Ermittlungen und der Anklageerhebung noch im November 2001 zu rechnen. Es ist danach kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, daß die Ermittlungen bisher nicht mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung betrieben worden wären.
Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht auch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der für den Beschuldigten zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Unterschriften
Tolksdorf, Winkler, Becker
Fundstellen