Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 08.12.2016) |
LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 20.05.2016) |
Tenor
1. Der Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 20. Mai 2016, mit dem die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 8. Dezember 2015 als unzulässig verworfen worden ist, wird aufgehoben.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 8. Dezember 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Sein Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
I.
Rz. 2
Auf den Antrag des Beschwerdeführers auf Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 346 Abs. 2 StPO ist der Beschluss des Landgerichts, durch den die Revision des Angeklagten – weil nicht fristgerecht begründet – gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen worden ist, aufzuheben. Der Verteidiger hat anwaltlich versichert, den Revisionsbegründungsschriftsatz vor Fristablauf persönlich in den Fristkasten der gemeinsamen Briefannahmestelle der Frankfurter Justizbehörden eingelegt zu haben. Warum dieser nicht zu den Akten gelangt ist, ist nicht aufklärbar.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 3
1. Nach den Feststellungen schlug der Angeklagte den Geschädigten aus nichtigem Anlass zu Boden und trat vielfach mit dem beschuhten Fuß – teils seitlich, teils mit stampfenden Bewegungen von oben – auf dessen Kopf ein, wobei er äußerte, diesen umbringen zu wollen. Als der Angeklagte bemerkte, dass seine Hose infolge der Tritte mit dem Blut des Geschädigten beschmutzt war, geriet er in noch größere Wut, schlug nunmehr wieder mit den Fäusten auf sein Opfer ein, wobei er erfolglos einen Betrag von 200 Euro als Schadensersatz verlangte. Aus Verärgerung zerriss er zudem die Hose des Geschädigten. Der Angeklagte ließ erst dann von seinem Opfer ab, als ihn seine beiden Begleiter, die sich während der Auseinandersetzung passiv verhalten hatten, auf das Herannahen der Polizei hinwiesen.
Rz. 4
2. Im Anschluss an eine Verständigung im Sinne von § 257c StPO hat das Landgericht die Verfolgung gemäß § 154a Abs. 2 StPO auf den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung – angeklagt war ein versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, versuchtem besonders schweren Raub und Sachbeschädigung – beschränkt und den Angeklagten wegen eines Vergehens gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
III.
Rz. 5
Die Revision rügt zu Recht, dass der Vorsitzende nicht nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO über außerhalb der Hauptverhandlung geführte Verständigungsgespräche ausreichend berichtet und den Angeklagten nicht nach § 257c Abs. 5 StPO belehrt habe.
Rz. 6
1. Dem liegt folgendes Prozessgeschehen zugrunde:
Rz. 7
Am ersten von zwei Hauptverhandlungstagen räumte der Angeklagte eine – von dem Geschädigten begonnene – körperliche Auseinandersetzung ebenso ein wie sein späteres Verlangen nach 200 Euro als Entschädigung für seine mit Blut verschmutzte Hose. Tritte gegen sein am Boden gelegenes Opfer bestritt er hingegen. Vor Beginn der Hauptverhandlung am zweiten Tag – der Geschädigte hatte zuvor am ersten Verhandlungstag die Tat entsprechend den Feststellungen geschildert – kam es auf Initiative des Verteidigers zu einem 45-minütigen Verständigungsgespräch im Beratungszimmer, an dem das Gericht in vollständiger Besetzung, der Verteidiger und die Vertreterin der Staatsanwaltschaft teilnahmen. Daran anschließend unterrichtete der Vorsitzende ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls den Angeklagten und die Öffentlichkeit wie folgt:
„Der Vorsitzende teilte mit, dass Gespräche nach § 257 c StPO stattgefunden haben.
Die Kammer kann sich vorstellen, dass ohne weitere Zeugenvernehmungen für die Taten des Angeklagten eine Freiheitsstrafe zwischen 2 Jahren 6 Monaten und 3 Jahren in Betracht kommt, sofern das Geständnis auf Tritte durch den Angeklagten erweitert wird. Die Verfahrensbeteiligten stimmten dem zu. Die Kammer regte an, die Anklage auf den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung zu beschränken, da ein mögliches versuchtes Tötungsdelikt jedenfalls an einem Rücktritt des Angeklagten scheitern dürfte.
Die OStAin, der Verteidiger und der Angeklagte stimmten dem zu.
Die OStAin beantragte, die Verfolgung gem. § 154 a StPO auf den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung zu beschränken.
Der Verteidiger gab keine Erklärung dazu ab.
Nach Beratung am Tisch:
b. u. v.
Die Verfolgung wird gem. § 154 a StPO auf den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung beschränkt …”
Rz. 8
In der Folge legte der Angeklagte, ohne zuvor von dem Vorsitzenden gemäß § 257c Abs. 5 StPO belehrt worden zu sein, ein erweitertes Geständnis ab, mit dem er einräumte, „er habe in der Schlussphase der Auseinandersetzung mit dem Geschädigten auch gegen dessen Kopf getreten.”
Rz. 9
Dieses Geständnis hielt die Strafkammer zwar möglicherweise für falsch. Gleichwohl hat das Landgericht die im Rahmen der Verständigung in Aussicht gestellte Mindestfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verhängt.
Rz. 10
Dazu führt das Landgericht aus:
„Der Angeklagte selbst hat nach der Verständigung im Sinne von § 257c StPO Tritte gegen den Geschädigten in der Schlussphase der Auseinandersetzung eingeräumt. Eine Anzahl nannte er allerdings nicht. Die Kammer stützt ihre Feststellungen zu den erfolgten Tritten jedoch allein auf die Aussage des Geschädigten. Die Einlassung des Angeklagten ist insofern widerlegt, dass es in der Schlussphase nicht zur Ausführung von Tritten gegen den Geschädigten kam. Vielmehr erfolgten nach übereinstimmenden Aussagen der Zeugin C. und des Geschädigten in der Schlussphase der Auseinandersetzung Schläge und keine Tritte.”
Rz. 11
2. Die Information über das während unterbrochener Hauptverhandlung zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung geführte Verständigungsgespräch genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Denn mitzuteilen ist bei einem solchen auf eine Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung abzielenden Gespräch, wer an diesem beteiligt war, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BVR 2628/10, 2 BvR 2883/10 und 2 BvR 2155/11, BVerfGE 133, 168 Rn. 85; BGH, Beschluss vom 12. Juli 2016 – 1 StR 136/16, StRR 2016, Nr. 11, 8-9 mwN).
Rz. 12
Dem entspricht die im vorliegenden Fall erfolgte Mitteilung über die mit dem Ziel einer Verständigung geführte 45-minütige Unterredung nicht, weil der Vorsitzende lediglich das Ergebnis, nicht aber Verlauf und Inhalte des Gesprächs mitgeteilt hat.
Rz. 13
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem Fehlen der nach § 257c Abs. 5 StPO erforderlichen Rechtsmittelbelehrung und auf der unzulänglichen Mitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO beruht. Bei solchen erheblichen Rechtsverstößen ist regelmäßig davon auszugehen, dass ein Verständigungsurteil darauf beruht (BVerfG, Beschluss vom 15. Januar 2015 – 2 BvR 878/14, NStZ 2015, 170, 171 ff.). Dies gilt insbesondere auch mit Blick auf die besondere Bedeutung der verletzten Vorschriften für die Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung (BVerfG, aaO; Senat, Urteil vom 23. März 2016 – 2 StR 121/15, NStZ 2016, 688). Ein Fall, in dem ausnahmsweise das Beruhen ausgeschlossen werden kann, liegt nicht vor. Zwar ist das bemakelte Geständnis nach den Ausführungen der Urteilsgründe nicht in das Urteil eingeflossen. Die Strafkammer hat der Einlassung des Angeklagten ausweislich der Urteilsgründe nicht einmal indizielle Bedeutung beigemessen, sondern sie ganz außer Acht gelassen. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte bei ordnungsgemäßer Information über den Inhalt der Verständigungsgespräche etwa noch weitergehende Beweisanträge – z. B. die zeugenschaftliche Vernehmung seiner beiden bei der körperlichen Auseinandersetzung zugegen gewesenen Begleiter – gestellt hätte, die dazu hätten führen können, dass das Gericht die Voraussetzungen des § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB verneint hätte.
Rz. 14
Darauf, dass der Angeklagte – wie die Revision selbst vorträgt – von seinem Verteidiger über den Inhalt des Verständigungsgesprächs unterrichtet wurde, kommt es nicht an, weil eine solche von Verständnis und Wahrnehmung des Verteidigers beeinflusste Information die Unterrichtung durch das Gericht grundsätzlich nicht ersetzen kann (Senatsurteil vom 10. Juli 2013 – 2 StR 195/12, BGHSt 58, 310, 314; vom 5. Juni 2014 – 2 StR 381/13, BGHSt 59, 252, 259).
Rz. 15
4. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass es unzulässig ist, Absprachen über den Schuldspruch, etwa durch die Zusage des Einstellens wesentlicher Tatteile nach § 154a StPO, zum Gegenstand einer Verständigung zu machen.
Unterschriften
Fischer, Appl, Franke, Zeng, Bartel
Fundstellen
Haufe-Index 9977706 |
NStZ 2017, 244 |
NStZ 2017, 6 |
NStZ-RR 2017, 51 |
AO-StB 2017, 149 |