Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 07.04.2021; Aktenzeichen (535 Ks) 278 Js 209/20 (1/21)) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. April 2021 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Ergänzend bemerkt der Senat:
Die Revision zeigt keinen Rechtsfehler auf, soweit sie die Ablehnung einer affektbedingten Bewusstseinsstörung angreift. Das Landgericht war sich ausweislich der Urteilsgründe bewusst, dass ein affektiver Durchbruch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht nur in Intimbeziehungen, sondern auch in anderen Konstellationen vorkommen kann, etwa zwischen Personen, die über einen langen Zeitraum beruflich oder persönlich im engen Kontakt ohne Ausweichmöglichkeit im Fall von Konflikten stehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2008 – 2 StR 175/08 Rn. 4; vom 9. September 2020 – 2 StR 116/20, NStZ 2021, 162, 163; Urteil vom 28. Febuar 2013 – 4 StR 357/12, NStZ 2013, 538, 540 mwN). Es hat gleichwohl – sachverständig beraten – die Auffassung vertreten, trotz des „verdichteten Kontakts” durch das gemeinsame Wohnen habe der Angeklagte dem Konflikt, der erst drei Wochen vor der Tat begonnen hatte, weitgehend – wenn auch nicht völlig – aus dem Weg gehen können und eine realistische Perspektive auf anderen Wohnraum gehabt. Deshalb hat es der zwischen dem Angeklagten und dem Tatopfer bestehenden Beziehung, die sich nicht durch eine persönliche Nähe ausgezeichnet habe, keine für die Annahme eines Affekts entscheidende Bedeutung beigemessen, ohne damit zum Ausdruck zu bringen, dass das Fehlen eines solchen Näheverhältnisses stets zur Ablehnung einer Affekttat führen müsse. Gegen diese Würdigung ist, wie auch der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat, von Rechts wegen nichts zu erinnern.
Gleiches gilt für die Würdigung der Strafkammer zu den vom Angeklagten behaupteten eng begrenzten Erinnerungslücken und seinen inselhaft gebliebenen Erinnerungsresten: Da die Unterscheidung eines solchen Erinnerungsverlusts von Schutzbehauptungen oder den Ergebnissen von psychischer Verdrängung schwierig ist (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2002 – 2 StR 125/02, NStZ-RR 2003, 8, 9 mwN), hat sich das Landgericht auch zu dieser Frage sachverständige Beratung eingeholt. Aufgrund dieser ist es zu der Annahme gelangt, dass die behaupteten Erinnerungslücken angesichts der – mit rechtsfehlerfreier Begründung angenommenen – Unwahrheit der Erinnerungsreste (insgesamt) kein zuverlässiges Indiz für einen Affekt darstellen. Dabei hat die Strafkammer entgegen der Auffassung der Revision und des Generalbundesanwalts nicht ausgeschlossen, dass es Erinnerungslücken gegeben habe, sie hat ihnen bloß nicht die gleiche Bedeutung beigemessen wie die Revision. Soweit deren Vorbringen dahin zu verstehen sein sollte, aus den geltend gemachten Erinnerungslücken müsse stets auf eine affektbedingte Bewusstseinsstörung geschlossen werden, liefe dies auf eine isolierte Anwendung des Zweifelssatzes hinaus, die rechtsfehlerhaft wäre: Der Grundsatz „in dubio pro reo” ist keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann zu befolgen hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung vom Vorliegen einer für den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch unmittelbar entscheidungserheblichen Tatsache zu gewinnen vermag. Es ist daher verfehlt, ihn isoliert auf einzelne Indizien anzuwenden; er kann erst bei der abschließenden Gesamtwürdigung zum Tragen kommen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 9. Mai 2006 – 1 StR 37/06, NStZ 2006, 650, 651; vom 1. Juni 2016 – 1 StR 597/15 Rn. 30 jeweils mwN).
Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht schließlich in die von ihm vorgenommene Gesamtwürdigung aller für und gegen eine affektbedingte Bewusstseinsstörung sprechenden Umstände eingestellt, dass es an einem charakteristischen Affektabbau gefehlt und der Angeklagte vielmehr Sicherungstendenzen gezeigt habe, indem er die Tatwaffe in der Hand des Opfers platzierte und den Tatort – zunächst – verließ.
Unterschriften
Gericke, Mosbacher, Köhler, Resch, von Häfen
Fundstellen
Haufe-Index 14889983 |
StV 2022, 83 |