Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergewaltigung
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 12. Juni 1998 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten "wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung" zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachbeschwerde Erfolg, so daß es eines Eingehens auf die Verfahrensrüge nicht bedarf.
Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Der verheiratete Angeklagte hat eingeräumt, am 15. Januar 1998 in seiner Wohnung mit der Zeugin Olga S. Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, jedoch bestritten, diesen erzwungen zu haben. Das Landgericht stützt die Verurteilung im wesentlichen auf die Aussage der Zeugin.
In einem solchen Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, daß der Tatrichter alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1, 13; StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 15) und auch in einer "Gesamtschau" gewürdigt hat (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 14 m. N.).
Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht. Die Würdigung der Hauptbelastungszeugin weist vielmehr in wesentlichen Punkten Lücken und Erörterungsmängel auf:
1. Das Landgericht hat zwar gesehen, daß die Zeugin in einem wesentlichen Punkt bei der Polizei anders als in der Hauptverhandlung ausgesagt hat: Bei der polizeilichen Vernehmung hatte sie angegeben, der Angeklagte habe, um sie zur Duldung sexueller Handlungen zu veranlassen, das Messer gegen sich gerichtet (UA 15), während sie in der Hauptverhandlung hierzu ausgesagt hat, sie selbst habe das Messer ergriffen und gedroht, sich damit umzubringen. Dennoch hat es der Zeugin geglaubt und dazu lediglich ausgeführt, zu seiner "Überzeugung" sei "wegen dieses Details auch ein Mißverständnis möglich". Diese Annahme entbehrt aber einer ausreichenden Tatsachengrundlage und stellt daher eine bloße Vermutung dar. Dadurch hat sich das Landgericht den Blick dafür verstellt, daß eine solche Änderung im das Kerngeschehen betreffenden Aussageverhalten ein gewichtiges Indiz ist, welches Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage insgesamt begründen kann (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, widersprüchliche 1).
Im übrigen hat sich das Landgericht auch nicht ausreichend mit den von der Zeugin für das Betreten der Wohnung des Angeklagten genannten Gründen auseinandergesetzt. Daß sie mit dem Angeklagten mitgegangen sei, "weil sie gegenüber der Schwester des Angeklagten habe klarstellen wollen, daß sie keine Beziehung mit dem Angeklagten habe eingehen wollen" (UA 14), ist - wie die Revision zu Recht einwendet - nach den bisher getroffenen Feststellungen entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht ohne weiteres "nachvollziehbar". Anders könnte es sich verhalten, wenn sie mit dem Angeklagten, wie dieser behauptet, bereits eine Beziehung hatte. Davon geht das Landgericht aber gerade nicht aus.
2. Die Beweiswürdigung begegnet darüber hinaus auch durchgreifenden Bedenken, soweit das Landgericht die Einlassung des Angeklagten schon aus sich heraus für unglaubhaft erachtet hat. Es meint nämlich, daß der Angeklagte, der bei seiner polizeilichen Vernehmung geleugnet hatte, mit der Zeugin überhaupt geschlechtlich verkehrt zu haben, dann, wenn er "nur den (erg.:freiwilligen) Geschlechtsverkehr mit der Zeugin (vor seiner Ehefrau) verbergen wollte, das Angebot der Diskretion durch die Ermittlungsbeamten (hätte) annehmen und in Abwesenheit seiner Frau den Geschlechtsverkehr (hätte) zugeben müssen" (UA 12). Dabei geht das Landgericht aber ersichtlich von einem Erfahrungssatz aus, daß ein Beschuldigter in einer Situation, in der sich der Angeklagte bei seiner polizeilichen Vernehmung befand, grundsätzlich einen einvernehmlichen Geschlechtsverkehr einräumt und seine geeignete Verteidigung nicht auch darin sehen kann, geschlechtliche Beziehungen insgesamt zu bestreiten. Einen solchen Erfahrungssatz gibt es indes nicht.
Auch im übrigen hat das Landgericht sich für seine Erwägungen, mit denen es Widersprüche der Einlassung des Angeklagten aufzeigt (UA 12), auf eine "Lebenserfahrung" gestützt, für die der Senat keine ausreichende Tatsachengrundlage erkennt.
Hinzu kommt, daß das Landgericht die Einlassung des Angeklagten, er habe zuvor mit der Zeugin im PKW des Zeugen H. Geschlechtsverkehr gehabt, damit widerlegen zu können meint, daß H. nicht bestätigt hat, sein Fahrzeug dem Angeklagten "geliehen" zu haben (UA 13). Dabei hat es nicht bedacht, daß es insoweit entscheidend darauf ankommt, ob das Fahrzeug dem Angeklagten überhaupt zur Verfügung gestanden hat. Dies hat aber der Zeuge H. , dem das Landgericht folgt, bestätigt und dazu ausgesagt, der Angeklagte habe den PKW "einmal" gegen seinen Willen "zu einer kurzen Spritztour benutzt" (UA 14). Dies konnte ein für die Einlassung des Angeklagten sprechendes Indiz sein.
3. Der Senat kann nicht mit der notwendigen Sicherheit ausschließen, daß die aufgezeigten Mängel die Urteilsbildung beeinflußt haben. Die Sache bedarf deshalb erneuter Prüfung und Entscheidung.
Unterschriften
Maatz Kuckein Athing Solin-Stojanovic Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 538417 |
NStZ-RR 1999, 139 |
StV 1999, 136 |