Verfahrensgang
LG Neuruppin (Urteil vom 14.05.2002) |
Tenor
Die Revisionen der Angeklagten I und R gegen das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 14. Mai 2002 werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels, der Angeklagte I auch die dadurch der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen, zu tragen.
Zu den auf § 338 Nr. 5 StPO gestützten Verfahrensrügen des Angeklagten R merkt der Senat ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts an:
1. Mit dem Generalbundesanwalt schließt der Senat aus, daß bei Vernehmung der Zeugen C und R K in Abwesenheit des Angeklagten von diesen gefertigte Skizzen förmlich in Augenschein genommen wurden. Die Zeugin betreffend läßt schon der Wortlaut des Protokolls („zusammen mit der Zeugin wurde die Skizze in Augenschein genommen”), der eine enge Verknüpfung zwischen Zeugenbefragung und „Augenschein” belegt, zudem der Gegenstand der Betrachtung – eine Skizze, welche die Zeugin bei einer polizeilichen Vernehmung gefertigt hatte, was auf einen Vorhalt eben jener Vernehmung hindeutet – an einer förmlichen Augenscheinseinnahme zweifeln (vgl. auch BGHR StPO § 247 Abwesenheit 10; ferner BGH, Beschl. vom 17. November 1994 – 1 StR 624/94). Den Zeugen betreffend werden entsprechende Zweifel allein schon durch das Erscheinungsbild der von ihm erst während seiner Vernehmung gefertigten, als Anlage zum Protokoll genommenen Skizze begründet, die ohne Erläuterung schwerlich irgendeinen optischen Beweiswert erkennen läßt. All dies deutet inhaltlich bereits eher auf bloße Vernehmungsbehelfe als auf einen förmlichen Augenschein hin. Dies wird durch den wegen der Unklarheit (darin liegt der maßgebliche Unterschied gegenüber dem Fall, der dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil des BGH vom 23. Oktober 2002 – 1 StR 234/02 zugrundelag) hier zulässigen freibeweislichen Rückgriff auf die dienstliche Äußerung des Strafkammervorsitzenden letztlich sicher bewiesen.
2. Betreffend das anläßlich der Vernehmung der Zeugin C K in Abwesenheit des Angeklagten verlesene, während der Vernehmung des Zeugen G K in Abwesenheit des Angeklagten „zusammen mit dem Zeugen in Augenschein genommene” Schreiben geht der Senat aufgrund des Inhalts des Schreibens, welches als Strafantragsrücknahme gewertet wurde (vgl. auch UA S. 49), mit dem Generalbundesanwalt von einer Freibeweiserhebung während der Hauptverhandlung aus, bei welcher die Anwesenheit des Angeklagten nicht unerläßlich war (vgl. BGHR StPO § 247 Abwesenheit 17, 20, 22, 24).
3. Soweit die Abwesenheit des Angeklagten während des Augenscheins der „Lichtbildanlage Bd. IVa Bl. 25-32 d.A.” beanstandet wird, scheitert die Rüge an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die bloße Vorlage einer lediglich als „Wahllichtbildvorlage” bezeichneten Mehrzahl numerierter Bilder männlicher Personen, ohne jegliche Erläuterung zu den abgebildeten Personen und zur Bedeutung der Bildzusammenstellung, bezeichnet das angebliche Augenscheinsobjekt nicht ausreichend. Eine sichere Beurteilung des beanstandeten Verfahrensvorgangs ist dem Senat insoweit nicht möglich. Er kann auf dieser unzureichenden Grundlage nicht in eine sachliche Prüfung auf diese Verfahrensrüge eintreten, etwa dahin, ob auch hier – entsprechend der dienstlichen Äußerung des Strafkammervorsitzenden – die Verwendung eines bloßen Vernehmungsbehelfs angenommen werden könnte (vgl. auch die Formulierung auf S. 13 der Revisionsbegründungsschrift), oder dahin, ob sich die angeblich verfahrensfehlerhafte Beweiserhebung etwa gar auf den Teilfreispruch des Beschwerdeführers vom Vorwurf der Zuhälterei bezogen haben kann (UA S. 34 f.), schließlich, ob hier etwa der seltene Ausnahmefall eines möglichen „denkgesetzlichen” Ausschlusses des Beruhens des Urteils auf dem geltend gemachten Verstoß in Betracht käme (s. BGHR StPO § 247 Abwesenheit 25; vgl. dazu UA S. 42 sowie die Rückschlüsse des Generalbundesanwalts aus dem – im übrigen rechtsfehlerfreien – Gerichtsbeschluß gemäß § 247 StPO).
4. Der Fall gibt erneut Anlaß, darauf hinzuweisen, daß es überflüssig ist, die Verwendung von Augenscheinsobjekten als Vernehmungsbehelfe und den Vorhalt von Urkunden in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen. Eine derartige Protokollierung gibt zudem immer wieder Anlaß zu unterschiedlichen, den Bestand von Urteilen gefährdenden vermeidbaren Mißverständnissen. Sie kann damit nur als sachwidrig bewertet werden (vgl. BGHR StPO § 247 Abwesenheit 25; BGH NStZ 1999, 522, 523; BGH, Urt. vom 23. Oktober 2002 – 1 StR 234/02, zur Veröffentlichung bestimmt).
Unterschriften
Harms, Basdorf, Gerhardt, Brause, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 2559286 |
NStZ 2003, 320 |