Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Entscheidung vom 13.06.2006; Aktenzeichen I-4 U 163/05) |
LG Düsseldorf (Entscheidung vom 06.07.2005; Aktenzeichen 11 O 566/02) |
Gründe
Dem Rechtsmittel des Klägers war nach § 544 Abs. 7 ZPO stattzugeben, weil das Berufungsgericht sich aufdrängende - und vom Kläger aufgezeigte - Aufklärungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft und damit das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat.
1. Nachdem er sich bei einem Sturz am 17. Oktober 2000 Verletzungen des linken Arms und der linken Schulter zugezogen hatte, die zu dauerhaften Bewegungseinschränkungen geführt haben, fordert der Kläger von seinem beklagten Unfallversicherer Invaliditätsleistungen. Dazu stützt er sich mit der Behauptung, sein linkes Schultergelenk sei komplett versteift, auf die Gliedertaxe in Nr. 2.1.2.2.1 der Versicherungsbedingungen (HM-AUB 2000), wonach bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit des Armes im Schultergelenk ausschließlich ein Invaliditätsgrad von 70% zugrunde zu legen ist. Die Beklagte hat vorgerichtlich Invaliditätsleistungen unter Zugrundelegung einer Gesamtinvalidität von lediglich 40% (das entspricht 4/7 Armwert) erbracht.
2. Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines medizinischen Gutachtens abgewiesen, weil der Sachverständige eine volle Funktionsuntauglichkeit des Armes im linken Schultergelenk nicht bestätigt habe und selbst bei einer unterstellten vollständigen Versteifung des linken Schultergelenks die jedenfalls noch teilweise erhaltene Funktionsfähigkeit des linken Armes zu keinem höheren Invaliditätsgrad als 4/7 Armwert führe. Der Kläger könne noch den Unterarm drehen und seine Hand zum Teil einsetzen.
3. Das Berufungsgericht hat im Ansatz zutreffend erkannt, dass nach der Rechtsprechung des Senats zur Auslegung der Gliedertaxe bereits eine vollständige Funktionsuntauglichkeit des linken Schultergelenks des Klägers ohne Rücksicht auf eine möglicherweise erhaltene teilweise Gebrauchsfähigkeit des Unterarmes oder der Hand eine Gesamtinvalidität von 70% ergäbe (Senatsurteil vom 24. Mai 2005 - IV ZR 203/03 - VersR 2006, 1117 unter II; vgl. auch Senatsurteile vom 17. Januar 2001 - IV ZR 32/00 - VersR 2001, 360 "Fuß im Fußgelenk" und 9. Juli 2003 - IV ZR 74/02 - VersR 2003, 1163 "Hand im Handgelenk" unter II 2). Dennoch hat es die Berufung des Klägers ohne weitere Beweisaufnahme zurückgewiesen, weil es weder dem in erster Instanz bestellten Sachverständigen noch dem von der Beklagten vorgerichtlich eingeschalteten medizinischen Gutachter möglich gewesen sei, zuverlässige Feststellungen zum Grad der Beeinträchtigung des Schultergelenks zu treffen. Ausreichende objektivierbare Befunde hätten sich nicht erheben lassen; ob der Kläger die von ihm behaupteten Schmerzen wirklich empfinde oder aggraviere, sei ungeklärt. Verschiedene Umstände gäben insoweit Anlass zu Zweifeln.
4. Das Vorgehen des Berufungsgerichts verletzt das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör, weil weder seinem Antrag auf eine weitergehende Begutachtung unter den geänderten rechtlichen Prämissen stattgegeben worden ist, noch das Berufungsgericht den Sachverständigen von Amts wegen zur Erläuterung seines Gutachtens angehört hat.
a) Der bereits in erster Instanz gerichtlich bestellte Sachverständige hat - insoweit in Übereinstimmung mit dem vorgerichtlich von der Beklagten eingeschalteten Gutachter - aufgrund klinisch erhobener Befunde zunächst Bewegungseinschränkungen der linken Schulter des Klägers ermittelt, die einer vollständigen Einsteifung praktisch gleichkommen. Andererseits hat der Sachverständige zugleich Bedenken gegen die vom Kläger behauptete weitgehende Unbeweglichkeit des Schultergelenks geäußert und seine Zweifel auf das Fehlen auffälliger, etwa entzündlicher Hautveränderungen im Schulterbereich, das Fehlen einer ausreichend signifikanten Muskelminderung im linken Arm und den Entwicklungsstand des Kalksalzgehalts der knöchernen Strukturen des linken Arms im Vergleich zum rechten Arm gestützt.
Im Weiteren hat der Sachverständige in Unkenntnis der oben genannten, teilweise erst nach Erstellung des schriftlichen Gutachtens ergangenen Senatsentscheidungen die Auffassung vertreten, bei der Einstufung der Invalidität des Klägers sei auch auf die verbleibenden Restfunktionen des linken Armes abzustellen. Ausgehend davon hat er die genannten Bedenken gegen den klinischen Befund nicht weiterverfolgt, sondern diesen stattdessen als zutreffend unterstellt, weil auch bei vollständiger Versteifung der Schulter mit Blick auf die verbliebene Teilfunktionsfähigkeit des linken Armes insgesamt nur eine mit 4/7 des Armwertes zu bemessende Funktionsbeeinträchtigung vorliege, die dem von der Beklagten schon vorgerichtlich zugestandenen Invaliditätsgrad von 40% entspreche.
b) Für das Berufungsgericht kam es demgegenüber aufgrund des zutreffenden Verständnisses der Gliedertaxe gerade darauf an, ob die durch den klinischen Befund des Sachverständigen festgestellte Bewegungseinschränkung der linken Schulter des Klägers vorliegt. Es hätte deshalb, nachdem der Sachverständige dieser Frage bislang eine untergeordnete Bedeutung beigemessen hatte, weiter aufklären müssen, welches Gewicht der Sachverständige seinen Bedenken gegen den klinischen Befund beimaß und ob er sie letztlich für durchgreifend erachtete. Anlass zur Nachfrage bestand auch deshalb, weil dem bisherigen Gutachten nicht mit Sicherheit zu entnehmen war, inwieweit die Bedenken des Sachverständigen auch von der Annahme getragen waren, dass der Kläger jedenfalls im Bereich des linken Unterarmes und der linken Hand Anzeichen (geringe Muskelverschmächtigung, Kalksalzgehalt der knöchernen Strukturen) einer fortdauernden, jedenfalls teilweisen Funktionsfähigkeit aufwies.
Insoweit war das bisherige Gutachten, welches die fallentscheidende Frage gerade offen gelassen hatte, ohne weitere Aufklärungsbemühungen des Gerichts nicht mehr verwertbar. Andererseits konnte angesichts des dem Gutachten zugrunde gelegten klinischen Befundes noch nicht ausreichend sicher ausgeschlossen werden, dass dem Kläger der ihm obliegende Beweis eines Invaliditätsgrades von 70% gelingen könne. Das Berufungsgericht hätte - nachdem der Kläger eine neue Begutachtung beantragt hatte - zumindest den bisherigen Sachverständigen anhören müssen, damit er seine Bedenken gegen den eigenen klinischen Befund, auf die es nunmehr entscheidend ankam, erläutern konnte.
Fundstellen