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BGH Beschluss vom 13.01.2015 - VI ZB 46/14

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsanwalt. Selbständige und eigenverantwortliche Fristenkontrolle. Ermittlung des Fristendes. Fristgebundene Prozesshandlung. Fertigung eines Entwurfs der Berufungsschrift. Vorlegung der Unterschrift. Ersatz materiellen und immateriellen Schadens. Wiedervorlagefrist. Kenntnis der Fristversäumnis. Wiedereinsetzungsfrist von zwei Wochen. Erforderliche Sorgfalt

 

Leitsatz (amtlich)

Der Rechtsanwalt hat selbständig und eigenverantwortlich zu prüfen, ob ein Fristende richtig ermittelt und eingetragen wurde, wenn ihm die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insb. zu deren Bearbeitung, vorgelegt wird. Dies gilt auch dann, wenn ihm die Akte nach vorangegangener Fertigung eines Entwurfs der Berufungsschrift nur zum Zwecke der Unterschrift vorgelegt wird.

 

Normenkette

ZPO § 233

 

Verfahrensgang

OLG Stuttgart (Beschluss vom 10.06.2014; Aktenzeichen 4 U 77/14)

LG Heilbronn (Urteil vom 27.03.2014; Aktenzeichen 2 O 241/13 Sch)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 4. Zivilsenats des OLG Stuttgart vom 10.6.2014 wird auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.

Beschwerdewert: 19.419,28 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Das LG hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 1.4.2014 zugestellt worden. Hiergegen hat der Kläger mit Telefax vom 5.5.2014 Berufung eingelegt und begründet. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 15.5.2014 darauf hingewiesen, dass die Berufung verspätet eingelegt worden sei. Der Kläger hat daraufhin mit Telefax vom 26.5.2014 beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist, hilfsweise auch gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist zu gewähren.

Rz. 2

Der Kläger hat geltend gemacht, sein Prozessbevollmächtigter habe den Entwurf der Berufungsschrift am 22.4.2014 diktiert und eine Abschrift an ihn, die Einholung einer Deckungszusage bei der Rechtsschutzversicherung sowie die Wiedervorlage zur Einlegung der Berufung für den 2.5.2014 verfügt. Die zuständige Rechtsanwaltsfachangestellte habe die Wiedervorlagefrist weisungswidrig nicht notiert. Die Deckungszusage sei am 2.5.2014 eingegangen und dem Prozessbevollmächtigten am 5.5.2014 gemeinsam mit der Handakte und einer Ausfertigung der Berufungsschrift vorgelegt worden. Dieser habe die Berufungsschrift umgehend unterzeichnet und den Versand per Telefax an das Berufungsgericht veranlasst. Kenntnis von der Fristversäumnis habe er erst am 20.5.2014 erlangt, als ihm der Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom 15.5.2014 zugegangen sei.

Rz. 3

Das OLG hat die Berufung und den Antrag des Klägers, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu bewilligen, als unzulässig verworfen, weil der Wiedereinsetzungsantrag nicht innerhalb der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist gestellt worden sei. Die Frist habe am 5.5.2014 zu laufen begonnen, da der Prozessbevollmächtigte des Klägers an diesem Tag die Versäumung der Frist hätte bemerken müssen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Kläger die Aufhebung dieses Beschlusses und Wiedereinsetzung in die versäumten Fristen zur Einlegung der Berufung und Beantragung der Wiedereinsetzung, hilfsweise Zurückverweisung.

II.

Rz. 4

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung oder zur Fortbildung des Rechts auf noch erfordert sie die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger weder in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) noch in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip).

Rz. 5

1. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zu Recht als unzulässig verworfen, da der Wiedereinsetzungsantrag nicht innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist gestellt wurde.

Rz. 6

a) Nach § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist die Wiedereinsetzung innerhalb einer zweiwöchigen Frist zu beantragen. Diese Frist beginnt, sobald das der Fristwahrung entgegenstehende Hindernis behoben ist (§ 234 Abs. 2 ZPO). Das ist der Fall, sobald die bisherige Ursache der Verhinderung beseitigt oder das Weiterbestehen des Hindernisses nicht mehr unverschuldet ist (BGH, Urt. v. 15.3.1977 - VI ZR 104/76, VersR 1977, 643, 644; Beschlüsse v. 1.6.1976 - VI ZB 23/75, VersR 1976, 962, 963; v. 5.3.2002 - VI ZR 286/01, VersR 2002, 637; BGH, Beschl. v. 13.7.2004 - XI ZB 33/03, VersR 2006, 426, 427; v. 5.4.2011 - VIII ZB 81/10, NJW 2011, 1601 Rz. 9; v. 6.7.2011 - XII ZB 88/11, MDR 2011, 1208).

Rz. 7

b) Das Hindernis bestand hier darin, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers bei Einlegung der Berufung den Ablauf der Berufungsfrist nicht bemerkt hatte. Dieses Hindernis entfiel nicht erst mit dem Eingang des Hinweises des Beklagten auf den Fristablauf am 20.5.2014, sondern schon in dem Moment, in dem der Prozessbevollmächtigte des Klägers bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt die Versäumung der Berufungsfrist hätte bemerken müssen (vgl. BGH v. 29.4.1975 - VI ZB 2/75, VersR 1975, 860 f.; v. 5.3.2002 - VI ZR 286/01, VersR 2002, 637; BGH, Beschl. v. 11.10.2004 - X ZB 3/03, NJW-RR 2005, 923; v. 19.6.2008 - V ZB 29/08, juris Rz. 5, 6; v. 6.7.2011 - XII ZB 88/11, MDR 2011, 1208, jeweils m.w.N.). Das war am 5.5.2014 der Fall, als ihm die Sache zur Unterzeichnung der Berufungsschrift vorgelegt wurde.

Rz. 8

aa) Nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH hat der Rechtsanwalt selbständig und eigenverantwortlich zu prüfen, ob ein Fristende richtig ermittelt und eingetragen wurde, wenn ihm die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insb. zu deren Bearbeitung, vorgelegt wird (vgl. BGH v. 1.6.1976 - VI ZB 23/75, VersR 1976, 962, 963; v. 19.2.1991 - VI ZB 2/91, VersR 1991, 1269; v. 11.2.1992 - VI ZB 2/92, NJW 1992, 1632; v. 5.3.2002 - VI ZR 286/01, VersR 2002, 637; v. 6.2.2007 - VI ZB 41/06, VersR 2007, 858 Rz. 6; v. 3.5.2011 - VI ZB 4/11, juris Rz. 6; v. 5.6.2012 - VI ZB 76/11, VersR 2013, 645 Rz. 7; BGH, Urt. v. 25.9.2014 - III ZR 47/14, MDR 2014, 1337 Rz. 8).

Rz. 9

bb) Dies gilt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde unabhängig davon, ob der Rechtsanwalt den Fristablauf ursprünglich selbst berechnet oder ob er die routinemäßige Fristberechnung und Fristenkontrolle einer zuverlässigen und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen hat (vgl. BGH, Beschl. v. 13.7.1959 - IV ZR 57/59, VersR 1959, 814, 815; v. 11.12.1991 - VIII ZB 38/91, VersR 1992, 1153; v. 17.3.2004 - IV ZB 41/03, VersR 2005, 96; Urt. v. 25.9.2014 - III ZR 47/14, MDR 2014, 1337 Rz. 11). Denn die Pflicht des Prozessbevollmächtigten, den Fristablauf bei der Vorbereitung einer fristgebundenen Prozesshandlung selbständig zu überprüfen, beruht darauf, dass die sorgfältige Vorbereitung der Prozesshandlung stets die Prüfung aller gesetzlichen Anforderungen an ihre Zulässigkeit einschließt. Diese Aufgabe ist von der Fristberechnung und Fristenkontrolle zu unterscheiden, die lediglich der rechtzeitigen Vorlage der Akten zum Zweck ihrer Bearbeitung durch den Rechtsanwalt dienen (BGH v. 1.6.1976 - VI ZB 23/75, VersR 1976, 962, 963; v. 8.1.2013 - VI ZB 52/12, juris Rz. 9; BGH, Beschl. v. 17.3.2004 - IV ZB 41/03, VersR 2005, 96; Urt. v. 25.9.2014 - III ZR 47/14, MDR 2014, 1337 Rz. 11).

Rz. 10

cc) Die Pflicht, den Fristablauf selbständig zu prüfen, besteht entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch dann, wenn die Akte dem Prozessbevollmächtigten nach vorangegangener Fertigung eines Entwurfs der Berufungsschrift nur zum Zwecke der Unterschrift vorgelegt wird (BGH, Beschl. v. 13.11.1975 - III ZB 18/75, VersR 1976, 342; v. 13.10.1993 - XII ZB 120/93, juris Rz. 10; vgl. BGH, Beschl. v. 5.3.2002 - VI ZR 286/01, VersR 2002, 637; BGH, Beschl. v. 20.1.2009 - Xa ZB 34/08, VersR 2010, 646 Rz. 8). Denn die Bearbeitung ist erst dann abgeschlossen, wenn der fristgebundene Schriftsatz vom Rechtsanwalt unterzeichnet und zur Weiterleitung an das Gericht freigegeben worden ist.

Rz. 11

dd) Ohne Erfolg verweist die Rechtsbeschwerde für ihre gegenteilige Ansicht auf den Beschluss des IX. Zivilsenats vom 23.11.2000 (IX ZB 83/00, VersR 2002, 211, 212). In dem zugrunde liegenden Fall waren dem Anwalt die Akten nicht im Zusammenhang mit der Einlegung der Berufung, sondern zur Information über den Erhalt des Berufungsauftrags vorgelegt worden. Der IX. Zivilsenat hat dagegen keinen Zweifel daran gelassen, dass der Anwalt die notierte Frist auf ihre Richtigkeit hätte überprüfen müssen, wenn ihm die Akten - wie im Streitfall - zur Bearbeitung der Berufung vorgelegt worden wären.

Rz. 12

c) Die Wiedereinsetzungsfrist lief damit gem. § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB am 19.5.2014 ab, so dass der am 26.5.2014 gestellte Wiedereinsetzungsantrag verspätet war.

Rz. 13

2. Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist scheitert daran, dass der Kläger die Wiedereinsetzungsfrist nicht unverschuldet versäumt hat. Er muss sich das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.

Rz. 14

3. Da der Kläger die Berufungsfrist nicht gewahrt hat, hat das Berufungsgericht die Berufung zu Recht als unzulässig verworfen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 7605028

DB 2015, 434

DB 2015, 7

DStR 2015, 14

EBE/BGH 2015, 62

FamRZ 2015, 747

NJW-RR 2015, 441

JurBüro 2015, 392

WM 2015, 785

AnwBl 2015, 448

JZ 2015, 191

MDR 2015, 8

NJ 2015, 5

VersR 2015, 513

AdVoice 2015, 51

BRAK-Mitt. 2015, 167

RENO 2015, 16

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