Verfahrensgang
LG Mühlhausen (Urteil vom 06.06.2003) |
Tenor
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 6. Juni 2003 im jeweiligen Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Tatbestand
A. Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen Meineides in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und die Angeklagte Ko. wegen Meineides in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Die Vollstreckung dieser Strafen hat das Landgericht zur Bewährung ausgesetzt.
Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten, mit denen sie beide die Sachrüge erheben und die Angeklagte Ko. auch Verfahrensrügen geltend macht.
Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge im Hinblick auf den jeweiligen Strafausspruch Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Entscheidungsgründe
B. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte K. zweimal als zuständiger Notar wider besseren Wissens beurkundet, daß die Niederschrift über eine Buchgrundschuldbestellung zugunsten der Kreissparkasse S. in seiner Gegenwart vorgelesen, durch beide erschienenen Eheleute (Sch.) genehmigt und eigenhändig unterschrieben worden sei. Die Angeklagte Ko., die im Notariat des Angeklagten K. als Büroangestellte arbeitete, hatte zuvor der Zeugin Sch. mitgeteilt, daß sie die Urkunde zuhause durch ihren Ehemann unterschreiben lassen und mit beiden Personalausweisen zurückkommen solle.
In dem Zivilrechtsstreit zwischen Herrn Sch. (dessen Unterschrift von Frau Sch. gefälscht wurde) und der Kreissparkasse S. über die Löschung beider Grundschulden wurde der Angeklagte K. vor seiner Zeugenaussage vor der 5. Zivilkammer des Landgerichts Mühlhausen über seine Wahrheitspflicht und eine Strafbarkeit im Falle einer Falschaussage als Zeuge belehrt. Wider besseren Wissens sagte er unter anderem aus, daß es ausgeschlossen gewesen sei, daß Frau Sch. mit bereits unterschriebenen Urkunden zu ihm in die Praxis hätte kommen können. Auf seine bewußt falsche Aussage wurde er vereidigt.
In einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen Frau Sch. sagte er nach Belehrung über seine Wahrheitspflicht als Zeuge über den Beurkundungsvorgang erneut bewußt falsch aus. Er wurde auf seine Aussage vereidigt. Im anschließenden Strafverfahren gegen Frau Sch. wurde er wiederum über seine Wahrheitspflicht als Zeuge belehrt und zusätzlich darüber, daß er auf solche Fragen, durch deren richtige Beantwortung er sich selbst belaste, nicht zu antworten brauche. Er sagte gleichwohl bewußt wahrheitswidrig aus und wurde vereidigt.
Die Angeklagte Ko. wurde ebenfalls im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und später im Strafverfahren jeweils gegen Frau Sch. als Zeugin vernommen und sagte bei beiden Vernehmungen bewußt wahrheitswidrig unter anderem aus, daß die Urkunden den Parteien nicht zur Unterschrift nach Hause mitgegeben wurden. Sie war zuvor jeweils als Zeugin über ihre Wahrheitspflicht belehrt worden und im Strafverfahren zusätzlich auch darüber, daß sie auf Fragen, mit deren richtiger Beantwortung sie sich oder einen nahen Angehörigen selbst belaste, nicht zu antworten brauche. In beiden Fällen wurde sie auf ihre wissentlich falsche Aussage vereidigt.
Das Verfahren gegen den Angeklagten K. bezüglich der Falschbeurkundungen im Amt und weiterer Delikte wurde in der Hauptverhandlung gemäß § 154 Abs. 1, Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt (UA S. 22).
Das Landgericht hat beim Angeklagten K. in allen drei Fällen die Voraussetzungen des § 157 StGB für gegeben erachtet und jeweils den Strafrahmen nach § 49 Abs. 2 StGB gemildert. Minder schwere Fälle (§ 154 Abs. 2 StGB) hat es abgelehnt. Bei der Angeklagten Ko. hat das Landgericht jeweils einen minder schweren Fall (§ 154 Abs. 2 StGB) angenommen, die Voraussetzungen des § 157 StGB aber für beide Taten verneint.
C. Beide Strafaussprüche haben rechtlich keinen Bestand.
I. Angeklagter K.
1. Meineid im Zivilrechtsstreit (Herr Sch. gegen Kreissparkasse S.)
Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft nicht zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, daß ihm bei seiner Vernehmung gemäß § 384 Nr. 2 ZPO ein Zeugnisverweigerungsrecht aus sachlichen Gründen zustand, über das er nicht belehrt wurde. Zwar ist eine solche Belehrung – anders als bei einem Teil der Zeugnisverweigerung aus persönlichen Gründen (§ 383 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 ZPO) – nicht ausdrücklich vom Gesetz vorgeschrieben. Gleichwohl besteht weitgebend die Übung, eine Belehrung zu erteilen. Ist sie unterblieben und läßt sich – wie hier – weder ausschließen, daß der Angeklagte in Unkenntnis vom Weigerungsrecht war, noch daß er möglicherweise sonst nicht ausgesagt hätte, liegt ein bedeutsamer Strafmilderungsgrund vor (vgl. auch Senatsbeschluß vom 20. Juli 1977 – 2 StR 282/77). Darauf, ob dem vernehmenden Gericht bekannt war, daß beim Angeklagten die Voraussetzungen des § 384 ZPO vorlagen, kommt es nicht an (vgl. BGH NStZ 1984, 134).
2. Meineid im Ermittlungsverfahren gegen Frau Sch.
a) Der Tatrichter hat rechtsfehlerhaft nicht zugunsten des Angeklagten gewertet, daß dieser über sein Auskunftsverweigerungsrecht (§ 55 Abs. 2 StPO) nicht belehrt wurde (vgl. hierzu u.a. BGH StV 1986, 341). Maßgebend ist auch hier, daß objektiv ein Auskunftsverweigerungsrecht gegeben war; auf die Kenntnis des vernehmenden Richters kommt es nicht an (vgl. u.a. BGHR StGB § 157 Abs. 1 Falschaussage, uneidliche 3; BGH StV 1987, 195; 1995, 249).
Der Senat kann zum einen nicht sicher ausschließen, daß dem Angeklagten sein Auskunftsverweigerungsrecht nicht bekannt war, zum anderen auch nicht, daß dieser ansonsten keine Aussage gemacht hätte, mag auch der Umstand, daß er bei seiner dritten Vernehmung nach Belehrung über sein Auskunftsverweigerungsrecht von diesem keinen Gebrauch gemacht hat, ein gegenteiliges Indiz sein.
b) Der Tatrichter hat es rechtsfehlerhaft auch unterlassen, zugunsten des Angeklagten zu erörtern, ob ein Eidesverbot gemäß § 60 Nr. 2 StPO bestand.
Den Urteilsgründen läßt sich nicht (eindeutig) entnehmen, welche Straftat(en) Frau Sch. in dem Ermittlungsverfahren vorgeworfen wurde(n). Es liegt nahe, daß der Angeklagte der Tat, die den Gegenstand der Untersuchung gegen Frau Sch. bildete, oder der Beteiligung an ihr verdächtig war. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn Frau Sch. eine mittelbare Falschbeurkundung (§ 271 StGB) oder Teilnahme (§§ 26, 27 StGB) an der Falschbeurkundung im Amt (§ 348 StGB) vorgeworfen wurde.
Ein Verstoß gegen das Vereidigungsverbot stellt einen Strafmilderungsgrund dar, unabhängig davon, ob der vernehmende Richter zu diesem Zeitpunkt einen entsprechenden Verdacht haben konnte (vgl. u.a. BGHSt 23, 30 f.; BGHR StGB § 154 Abs. 2 Milderungsgründe 1 und Vereidigungsverbot 1 und 2).
3. Meineid im Strafverfahren gegen Frau Sch.
Hier wurde zwar nach § 55 Abs. 2 StPO belehrt, aber trotz der objektiv gegebenen Voraussetzungen des § 60 Nr. 2 StPO der Eid abgenommen. Diesen Strafmilderungsgrund hat der Tatrichter rechtsfehlerhaft nicht zugunsten des Angeklagten gewürdigt. Der Strafmilderung steht nicht entgegen, daß der Angeklagte sich als Zeuge nicht auf sein Aussageverweigerungsrecht nach § 55 StPO berufen hat (vgl. u.a. BGH StV 1982, 521; BGHR StGB § 157 Abs. 1 Selbstbegünstigung 1 und 6; Senatsbeschluß vom 16. August 2000 – 2 StR 279/00).
4. Der Senat kann nicht ausschließen, daß die verhängten Einzelstrafen ohne die Rechtsfehler für den Angeklagten günstiger ausgefallen wären. Daß der Tatrichter in allen drei Fällen den Strafrahmen des § 154 StGB gemäß §§ 157, 49 Abs. 2 StGB gemildert hat, steht dem nicht entgegen. Sowohl die fehlende Belehrung über ein Zeugnisverweigerungsrecht (§ 384 ZPO) oder ein Auskunftsverweigerungsrecht (§ 55 Abs. 2 StPO) als auch der Verstoß gegen ein Vereidigungsverbot (§ 60 Nr. 2 StPO) sind jeweils selbständige Strafmilderungsgründe, die kumulativ zugunsten eines Angeklagten zu werten sind (vgl. hierzu u.a. BGH StV 1986, 341; 1995, 249 = wistra 1993, 258; BGHR StGB § 157 Abs. 1 Selbstbegünstigung 4; BGHR StGB § 154 Abs. 2 Milderungsgründe 1).
Die Aufhebung der Einzelstrafen zieht die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.
II. Angeklagte Ko.
1. Meineid im Ermittlungsverfahren gegen Frau Sch.
a) Der Tatrichter hat rechtsfehlerhaft die Voraussetzungen des § 157 StGB unter Hinweis darauf, daß sich die Angeklagte im Vorfeld des Meineides nicht strafbar gemacht habe, verneint. Es liegt nahe, daß der Angeklagten als Büroangestellten im Notariat jedenfalls bekannt war, daß ein Notar nicht beurkunden darf, daß zwei Personen in seiner Gegenwart ihre Unterschrift geleistet haben, wenn nur eine Person – noch dazu im Wartezimmer – anwesend ist. Insoweit kommt durch die Mitgabe der Urkunden nach Hause mit der Aufforderung, sie dort von Herrn Sch. unterschreiben zu lassen, eine Strafbarkeit nach §§ 348, 27 StGB in Betracht. Es drängte sich daher auf, daß bei der Angeklagten die Voraussetzungen des § 157 StGB gegeben waren, der einen vertypten Strafmilderungsgrund darstellt. Zur Anwendung des § 157 StGB würde im übrigen genügen, wenn der Beweggrund nicht auszuschließen ist (vgl. BGHR StGB § 157 Abs. 1 Falschaussage uneidliche, 2).
b) Der Tatrichter hat es weiter rechtsfehlerhaft unterlassen, zugunsten der Angeklagten zu werten, daß sie nicht über ihr Auskunftsverweigerungsrecht (§ 55 Abs. 2 StPO) belehrt wurde (vgl. dazu oben C. I. 2. a). Der Senat kann nicht ausschließen, daß die Angeklagte nach entsprechender Belehrung die Aussage verweigert hätte. Bei ihrer zweiten Vernehmung hat sie zwar nach Belehrung auch gemäß § 55 Abs. 2 StPO zunächst ausgesagt, dann aber – ohne ihre Aussage konkludent zu widerrufen – doch weitere Auskünfte verweigert.
c) Ein weiterer Rechtsfehler ist darin zu sehen, daß die Angeklagte unter Verstoß gegen § 60 Nr. 2 StPO vereidigt wurde, obwohl sie – objektiv – der Tat, welche den Gegenstand der Untersuchung gegen Frau Sch. bildete oder der Beteiligung an ihr verdächtig war (vgl. dazu oben C. I. 2. b).
2. Meineid im Strafverfahren gegen Frau Sch.
a) Auch hier sind die Voraussetzungen des § 157 StGB rechtsfehlerhaft verneint worden. Soweit der Tatrichter insoweit die Anwendung des § 157 StGB wegen „verschuldeten Eidesnotstandes” (UA S. 23) abgelehnt hat, kann dem nicht gefolgt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung (vgl. dazu u.a. BGHR StGB § 157 Abs. 1 Selbstbegünstigung 5 = StV 1995, 249, 250; BGH, Beschluß vom 21. März 1995 – 4 StR 87/95) wird die durch § 157 StGB eröffnete Strafmilderungsmöglichkeit nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angeklagte den Aussagenotstand durch seine früheren falschen Angaben schuldhaft herbeigeführt hat.
Unabhängig davon waren hier die Voraussetzungen des § 157 StGB schon unter dem Aspekt zu prüfen, daß bereits im Vorfeld (vgl. oben C. II. 1. a) der Meineide eine Straftat der Angeklagten im Raume stand, die bei ihr zu einem Aussagenotstand führte.
Der Anwendung des § 157 StGB steht nicht entgegen, daß die Angeklagte trotz Belehrung über ihr Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO ausgesagt hat (vgl. u.a. BGHR StGB § 157 Abs. 1 Selbstbegünstigung 1; Senatsbeschluß vom 16. August 2000 – 2 StR 279/00 m.w.Nachw.).
b) Der Tatrichter hat es auch hier rechtsfehlerhaft unterlassen, zugunsten der Angeklagten zu werten, daß – objektiv – ein Vereidigungsverbot bestand (vgl. oben C. II. 1. c).
3. Auch bei der Angeklagten Ko. beruht der jeweilige Einzelstrafausspruch auf den aufgezeigten Rechtsfehlern. Zwar hat der Tatrichter im Hinblick auf eine „Zwangslage” der Angeklagten für beide Taten einen minder schweren Fall (§ 154 Abs. 2 StGB) bejaht und mit Freiheitsstrafen von sechs Monaten und sieben Monaten Strafen an der untersten Grenze verhängt. Gleichwohl kann der Senat nicht ausschließen, daß der Tatrichter „ohne Verbrauch” des vertypten Milderungsgrundes des § 157 StGB minder schwere Fälle bejaht und dann – ohne Verstoß gegen § 50 StGB – zusätzlich eine Verschiebung des Strafrahmens des § 154 Abs. 2 StGB gemäß §§ 157 Abs. 1, 49 Abs. 2 StGB vorgenommen hätte (vgl. dazu BGH NStZ 1984, 134). Dann kann weiter nicht sicher ausgeschlossen werden, daß der Tatrichter noch mildere Einzelstrafen verhängt hätte.
Die Aufhebung der beiden Einzelstrafen zieht die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.
D. Durch die Teilaufhebung des angefochtenen Urteils ist die Beschwerde des Angeklagten K. gegen den Strafaussetzungsbeschluß (§ 268 a Abs. 1 StPO) des Landgerichts gegenstandslos. Ohnehin war im vorliegenden Fall die Sache insoweit noch nicht entscheidungsreif, da der angefochtene Beschluß nicht begründet wurde, eine (begründete) Nichtabhilfeentscheidung nicht ergangen ist und das Beschwerdevorbringen erhebliche Tatsachenbehauptungen enthält (vgl. BGHSt 34, 392).
Unterschriften
Rissing-van Saan, Detter, Bode, Rothfuß, Fischer
Fundstellen
Haufe-Index 2558116 |
NStZ 2005, 33 |
NJW-Spezial 2005, 41 |
StV 2004, 482 |