Verfahrensgang
LG München II (Beschluss vom 10.11.2006) |
LG München II (Urteil vom 12.06.2006) |
Nachgehend
Tenor
Der Beschluss des Landgerichts München II vom 10. November 2006, mit dem die Revision des Angeklagten gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen worden ist, wird aufgehoben.
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 12. Juni 2006 wird gemäß § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen.
Gründe
Rz. 1
Der Generalbundesanwalt hat zum Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts und zur Revision des Angeklagten wie folgt Stellung genommen:
„Das Landgericht hat den Angeklagten am 12. Juni 2006 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Im Anschluss an die Urteilsverkündung und nach qualifizierter Rechtsmittelbelehrung haben der Angeklagte und seine beiden Verteidiger auf Rechtsmittel gegen das Urteil verzichtet. Gleichwohl hat der Angeklagte am 19. Juni 2006 Revision eingelegt. Das Landgericht hat diese Revision mit Beschluss vom 10. November 2006 als unzulässig verworfen, da das Rechtsmittel nicht innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO begründet worden sei. Mit Schreiben vom 20. November 2006, eingegangen bei dem Landgericht am 22. November 2006, hat sich der Angeklagte gegen den seinen Verteidigern am 15. November beziehungsweise 17. November 2006 zugestellten Beschluss gewandt und die Entscheidung des Revisionsgerichts sowie Wiedereinsetzung nach Versäumung der Revisionsbegründungsfrist beantragt.
Der Antrag hat im Ergebnis keinen Erfolg.
1. Die Revision des Angeklagten ist unzulässig, weil er wirksam auf Rechtsmittel gegen das Urteil verzichtet hat (§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls vom 12. Juni 2006 haben der Angeklagte und seine Verteidiger im Anschluss an die Urteilsverkündung und nach qualifizierter Rechtsmittelbelehrung durch ausdrückliche Erklärung auf die Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet (Bd. V Bl. 2078f. d.A.). Diese Erklärung nimmt an der Beweiskraft des Protokolls nach § 274 StPO teil, weil sie gemäß § 273 Abs. 3 StPO vorgelesen und genehmigt wurde. Der Rechtsmittelverzicht ist damit wirksam zustande gekommen. Er ist als Prozesshandlung grundsätzlich auch unwiderruflich und unanfechtbar (vgl. nur BGHSt 45, 51, 53; BGH NStR-RR 2002, 114; BGH NJW 2002, 1436; KK-Ruß, StPO 5. Auflage 2003, § 302 Rn. 15).
Die höchstrichterliche Rechtsprechung erkennt hierzu zwar Ausnahmen an (BGHSt 45, 51, 53). So können in besonderen Fällen schwer wiegende Willensmängel aus Gründen der Gerechtigkeit dazu führen, dass eine Verzichtserklärung von Anfang an unwirksam ist. Auch kann die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts durch die Art seines Zustandekommens in Frage gestellt werden, etwa durch unzulässige Einwirkung auf den Erklärenden. Anhaltspunkte für eine der genannten Konstellationen sind aber im vorliegenden Fall nicht erkennbar. An der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten und damit seiner Fähigkeit, wirksam Prozesshandlungen vorzunehmen, bestehen keine Zweifel. Dies ist insbesondere den Feststellungen der psychiatrischen Sachverständigen Dr. K. – zur Frage der Schuldfähigkeit zu entnehmen (Bd. V Bl. 2044ff. und 2075f. d.A.; UA S. 17). Die Erklärung des qualifiziert belehrten Betroffenen ist wirksam und unwiderruflich, weil sie in voller Kenntnis von Bedeutung und Tragweite des Verzichts abgegeben worden ist (BGH Großer Senat für Strafsachen, NJW 2005, 1440, 1446). Tatsachen, die auf eine unzulässige Beeinflussung des Angeklagten durch andere Verfahrensbeteiligte im Zusammenhang mit der qualifizierten Belehrung schließen ließen, werden nicht substantiiert vorgetragen und werden auch aus den Akten nicht ersichtlich.
Die am 19. Juni 2006 eingelegte Revision des Beschwerdeführers richtet sich deshalb gegen ein rechtskräftiges Urteil und ist gemäß § 349 Abs. 1 StPO unzulässig.
2. Diese Entscheidung zu treffen ist Sache des Revisionsgerichts, nicht die des Tatrichters. Seine Befugnis zur Verwerfung der Revision ist auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen ein Beschwerdeführer die für die Einlegung und Begründung des Rechtsmittels vorgeschriebenen Formen nicht beachtet oder die hierfür geltenden Fristen nicht gewahrt hat (§ 346 Abs. 1 StPO). Soweit die Revision dagegen aus einem anderen Grund als unzulässig zu verwerfen ist, steht die Befugnis hierzu allein dem Revisionsgericht zu. Das gilt auch dann, wenn ein solcher Grund mit Mängeln der Form- oder Fristeinhaltung zusammentrifft, also etwa – wie hier – die Revision nach wirksamem Rechtsmittelverzicht zwar fristgemäß eingelegt, aber nicht begründet worden ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49. Auflage, § 346 Rdn. 2 m.w.N.).
Der Beschluss des Landgerichts vom 10. November 2006, mit dem die Revision gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen worden ist, ist daher aufzuheben und durch eine Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 349 Abs. 1 StPO zu ersetzen.
3. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist gegenstandslos. Schon die Einlegung der Revision war unzulässig, so dass es auf Zulässigkeitsfragen bei der Revisionsbegründung nicht mehr ankommt.”
Dem schließt sich der Senat an.
Unterschriften
Wahl, Kolz, Hebenstreit, Elf, Graf
Fundstellen