Entscheidungsstichwort (Thema)
sexueller Mißbrauch von Kindern
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 5. August 1999 im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die zur Schuldfähigkeit getroffenen Feststellungen bestehen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im übrigen wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in 16 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat zum Strafausspruch Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch und zum Maßregelausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Antragsschrift vom 2. Mai 2000.
2. Dagegen hält der Strafausspruch der sachlichrechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Die Einzelstrafaussprüche in den Fällen II 1 bis 7, 10 und 16 können nicht bestehen bleiben. Das Landgericht hat in diesen Fällen jeweils einen minder schweren Fall des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes nach § 176 Abs. 1 2. Alt. StGB bejaht, der Strafzumessung aber einen von sechs Monaten anstatt von einem Monat (§ 38 Abs. 2 2. Halbs. StGB) bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe reichenden Strafrahmen zugrundegelegt. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts kann der Senat schon deshalb nicht ausschließen, daß sich die fehlerhafte Bestimmung der Strafuntergrenze zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat, weil das Landgericht in diesen Fällen die Einzelstrafen ausdrücklich dem „unteren Bereich des Strafrahmens” (UA 33) entnommen hat.
b) Zu Recht sehen der Beschwerdeführer und der Generalbundesanwalt einen Rechtsfehler auch darin, daß das Landgericht bei der Bemessung der Einzelstrafen wegen der zum Nachteil seiner Stieftochter Je. begangenen Taten (Fälle II 9 bis 16 der Urteilsgründe) zu Ungunsten des Angeklagten gewertet hat, „daß er, um von den Taten abzulenken, Verschwörungstheorien … aufbaute” und deshalb „die Hauptverhandlung durch Vernehmung verschiedener Zeugen deutlich verlängert werden (mußte), obgleich zum Tatgeschehen selbst gar nichts ermittelt werden konnte” (UA 35). Ein zulässiges Verteidigungsverhalten des ganz oder teilweise bestreitenden Angeklagten darf grundsätzlich nicht straferschwerend berücksichtigt werden, so wie es auch fehlerhaft ist, in diesem Zusammenhang fehlende „tiefere Einsicht des Angeklagten und Reue für seine Taten” (UA 35) zu seinen Ungunsten zu werten (st. Rspr.; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 17).
c) Bedenken begegnet auch, daß das Landgericht im Rahmen der strafschärfenden Erwägungen bei den zum Nachteil von J. H. und Je. begangenen Taten darauf hinweist, daß der Angeklagte sich mit seiner pädophilen Neigung auseinandergesetzt habe, „ohne … daß er konsequenterweise eine Therapiemöglichkeit eingeleitet oder Kontakt zu Kindern vermieden hätte” (UA 34). Damit lastet das Landgericht dem Angeklagten im Ergebnis das Fehlen von Milderungsgründen (vgl. BGHSt 34, 345, 350) an und wertet zu seinem Nachteil, daß er die abgeurteilten Taten überhaupt begangen hat, anstatt davon Abstand zu nehmen. Dies ist unzulässig (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 14). Schließlich verstößt die Erwägung gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB, „daß ein solches Verhalten von der Gesellschaft nicht hinnehmbar ist, insbesondere weil die freie ungehinderte sexuelle Entwicklung von Kindern dadurch erheblich beeinträchtigt wird” (UA 36). Zweck der Vorschrift des § 176 StGB ist, Kinder von vorzeitigen sexuellen Erlebnissen freizuhalten, um dadurch deren ungestörte geschlechtliche Entwicklung zu schützen (Lackner/Kühl StGB 23. Aufl. § 176 Rdn. 1 mit Nachw.). Deswegen ist es unzulässig, eine nur allgemeine, nicht konkretisierte Störung der sexuellen Entwicklung strafschärfend zu werten (st. Rspr.; Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 176 Rdn. 14 mit Nachw.). Zwar hat das Landgericht die zuletzt genannte Erwägung nur im Rahmen der Begründung der Gesamtstrafe erörtert. Der Senat kann jedoch nicht ausschließen, daß sie sich allgemein, mithin auch bei allen Einzelstrafen zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat. Die aufgezeigten Rechtsfehler nötigen deshalb zur Aufhebung sämtlicher Einzelstrafen und des Gesamtstrafenausspruchs.
Unterschriften
Meyer-Goßner, Maatz, Athing, Solin-Stojanovi[cacute], Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 540735 |
StV 2002, 74 |