Entscheidungsstichwort (Thema)
Totschlag
Tenor
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 13. Februar 2001 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen und zum Vorsatz der Angeklagten aufrechterhalten.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Landgericht Dresden, zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die Revision der Angeklagten, mit der diese das Verfahren beanstandet und die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus dem Beschlußtenor ersichtlichen Erfolg.
1. Die Verfahrensrügen sind unzulässig bzw. unbegründet; insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 9. Mai 2001 verwiesen.
2. Die Überprüfung des Schuldspruchs aufgrund der erhobenen Sachrüge hat zu den Feststellungen zum Tatablauf und zur subjektiven Tatseite ebenfalls keinen die Angeklagte beschwerenden Rechtsfehler ergeben; jedoch halten die Ausführungen des Landgerichts zur Schuldfähigkeit rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Nach den Feststellungen begannen die Angeklagte und ihr Lebensgefährte – ihrem üblichen Trinkverhalten entsprechend – schon am Morgen damit, Bier und Schnaps zu trinken. Spätestens in den Nachtstunden waren sie betrunken. Wie auch schon bei früheren gemeinsamen Trinkgelagen kam es zwischen beiden spätestens in den frühen Morgenstunden des darauffolgenden Tages ohne erkennbaren aktuellen Anlaß zu einer heftigen Auseinandersetzung, während der sich beide lautstark anschrien und der später Geschädigte Möbel umstieß und mit Gegenständen um sich warf. Als sich ihr Lebensgefährte gerade in einer ruhigen Position befand, versetzte ihm die Angeklagte sechs bis sieben teilweise sehr kräftig geführte Hammerschläge gegen den Kopf. Der Geschädigte, der keinerlei Gegenwehr leistete, erlitt schwere Schädelverletzungen, an denen er wenig später verstarb. Eine der Angeklagten um 9.15 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,45 [permil].
Zur Schuldfähigkeit der Angeklagten hat sich das Schwurgericht durch zwei Sachverständige beraten lassen. Beide haben übereinstimmend ausgeführt, daß die Trinkangaben der jede Tatbeteiligung bestreitenden Angeklagten, die nach 20.15 Uhr zunächst keinen Alkohol mehr, am nächsten Tag frühmorgens lediglich eine halbe Flasche Bier nachgetrunken haben will, anzuzweifeln seien. Mit hoher Wahrscheinlichkeit habe die Angeklagte während der Nacht weiter Alkohol zu sich genommen. Während die Sachverständige Dr. L. sich angesichts unklaren Trinkverhaltens zu einer konkreten Beurteilung des Alkoholisierungsgrades der Angeklagten „im Tatzeitraum” außerstande sah, vertrat der Sachverständige Dr. M. die Auffassung, daß bei der Angeklagten eine dissoziale Persönlichkeitsstörung sowie ein chronischer Alkoholmißbrauch vorliege, die jeweils einer krankhaften seelischen Störung entsprächen. In Verbindung mit der erheblichen Alkoholisierung hätten diese Störungen zu einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit der Angeklagten zur Tatzeit geführt. Ein Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 StGB sei dagegen angesichts des Leistungsverhaltens der Angeklagten, insbesondere der Geschicklichkeit und Treffsicherheit bei der Ausführung der Tat und angesichts des durch Zeugen bekundeten Nachtatverhaltens der Angeklagten sicher auszuschließen. Diesem Gutachten hat sich das Landgericht ohne weitere Darlegungen angeschlossen.
Diese Begründung trägt den Ausschluß von Schuldunfähigkeit nicht. So wird aus den Urteilsfeststellungen schon nicht deutlich, von welcher konkreten Tatzeit das Landgericht ausgeht. Setzt man diese mit ca. 5.00 Uhr morgens an, weil eine Nachbarin zu diesem Zeitpunkt einen heftigen Streit der Angeklagten mit ihrem Lebensgefährten gehört hat, der abrupt mit einem heftigen, schrillen Schrei der Angeklagten abgebrochen sei, so ergibt eine Rückrechnung der Blutalkoholkonzentration vom Zeitpunkt der entnommenen Blutprobe um 9.15 Uhr bei Zugrundelegung eines stündlichen Abbauwertes von 0,2 [permil] und einem einmaligen Sicherheitszuschlag von 0,2 [permil] eine Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 3,45 [permil]. Auch nach Abzug eines Nachtrunks einer halben Flasche Bier dürfte die alkoholische Beeinflussung der Angeklagten, deren Körpergewicht nicht mitgeteilt wird, zur Tatzeit deutlich über 3 [permil] gelegen haben. Umstände, die gegen die Menge des von der Angeklagten behaupteten Nachtrunks sprechen, führt das Landgericht nicht an.
Stellt bereits die Blutalkoholkonzentration als solche ein gewichtiges Indiz für eine vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit dar, waren hier noch weitere Umstände in Betracht zu ziehen, die geeignet waren, die Wirkung des genossenen Alkohols zu steigern. So hätten neben den Auswirkungen der dissozialen Persönlichkeitsstörung der Angeklagten auch deren mutmaßliche Übermüdung und die affektive Aufladung der gesamten Situation in Betracht gezogen werden müssen. Hierzu verhält sich das Urteil jedoch nicht. Eine „motorische Geschicklichkeit”, die sich lediglich darin äußert, daß mit insgesamt sechs einer unbekannten Vielzahl von Hammerschlägen der nach den Feststellungen des landgerichtlichen Urteils in Ruhestellung befindliche Kopf eines Menschen getroffen wird, vermag eine Gesamtwürdigung der physischen und psychischen Situation der Angeklagten im übrigen nicht entbehrlich zu machen. Dies gilt auch für das vom Landgericht im Anschluß an die Ausführungen des Sachverständigen herangezogene Nachtatverhalten der Angeklagten. Dieses bestand darin, daß sie – bei einer unterstellten Tatzeit von 5.00 Uhr – etwa eine Stunde nach der Tat, durch die zudem ein gewisser Ernüchterungseffekt eingetreten sein mag, immer noch erkennbar angetrunken bei einem Nachbarn klingelte und diesem in verwaschener Sprache mitteilte, daß ihr Mann die ganze Nacht „gewüt” habe, jetzt im Wohnzimmer liege und daß sie denke, er sei tot. Die gleichen Angaben wiederholte sie sinngemäß einige Zeit später auf Befragen gegenüber einem Polizeibeamten. Den gegen 6.15 Uhr in ihrer Wohnung eintreffenden Rettungssanitäter machte sie durch „Hallo”-Rufen auf sich aufmerksam und verlangte, daß er ihren Blutdruck messe. Im übrigen zeigte sie sich teilnahmslos. Aussagekräftige Rückschlüsse auf eine erhaltene Steuerungsfähigkeit lassen sich diesem der Situation kaum angemessenen Verhalten nicht entnehmen (zu psychodiagnostischen Kriterien vgl. auch BGHR StGB § 21 – Blutalkoholkonzentration 34 m.w.N.).
Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache. Sollten in der neuen Verhandlung zur Alkoholisierung der Angeklagten im Tatzeitpunkt keine genaueren Feststellungen möglich sein, wird eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen Vollrausches (§ 323a StGB) in Betracht zu ziehen sein. Für den Fall der erneuten Feststellung einer lediglich verminderten Steuerungsfähigkeit wird der neue Tatrichter im Rahmen der Prüfung eines minder schweren Falles des Totschlags die Gewaltbereitschaft des späteren Tatopfers zu berücksichtigen haben; zur Bewertung der Handlungsintensität bei erheblicher alkoholbedingter Enthemmung vgl. Tröndle/Fischer, 50. Aufl., § 46 Rdn. 28, 33 m.w.N.
Unterschriften
Harms, Basdorf, Tepperwien, Raum, Brause
Fundstellen