Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist: Vervollständigung und Erläuterung unklarer und ergänzungsbedürftiger Angaben nach Fristablauf. Hinweispflicht des Gerichts
Leitsatz (amtlich)
Zur Hinweispflicht des Gerichts, wenn dieses das Vorbringen in einem Wiedereinsetzungsgesuch als unklar ansieht.
Normenkette
ZPO §§ 139, 233
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 24.11.2006; Aktenzeichen 2 U 166/06) |
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 14.06.2006; Aktenzeichen 2/2 O 279/05) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 2. Zivilsenats des OLG Frankfurt vom 24.11.2006 aufgehoben.
Dem Beklagten wird gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Beschwerdewert: 29.318 EUR
Gründe
I.
[1] Der Beklagte hat gegen das ihm am 2.8.2006 zugestellte Urteil des LG rechtzeitig Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat auf Antrag des Prozessbevollmächtigten des Beklagten die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 2.11.2006 verlängert. Die Berufungsbegründung ist am 3.11.2006 per Telefax beim Berufungsgericht eingegangen. Mit Schreiben vom 6.11.2006, das dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 9.11.2006 zugestellt worden ist, hat das Berufungsgericht den Prozessbevollmächtigten darauf hingewiesen, dass die Berufungsbegründung erst am 3.11.2006 und damit verspätet beim OLG eingegangen sei. Daraufhin hat der Beklagte mit am 17.11.2006 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten ausgeführt und durch eidesstattliche Versicherungen glaubhaft gemacht, die Berufungsbegründung sei am späten Nachmittag des 2.11.2006 unterzeichnet und der Bürovorsteherin mit der Weisung übergeben worden, den Schriftsatz persönlich per Fax an das OLG Frankfurt zu übermitteln, sich im Anschluss an die Übertragung anhand des Sendeberichts darüber zu vergewissern, ob die Berufungsbegründung vollständig und an die richtige Telefaxnummer übermittelt worden sei, und erst im Anschluss an die Überprüfung die Frist aus dem Kalender zu löschen. Entgegen der erteilten Weisung habe die Bürovorsteherin jedoch aufgrund eines Versehens die Berufungsbegründung nicht dem OLG Frankfurt übermittelt und auch keine Kontrolle des Fristenkalenders an diesem Tag vorgenommen, so dass ihr die unterbliebene Übermittlung des Schriftsatzes an diesem Tag nicht aufgefallen sei. Ihren Verpflichtungen sei die Bürovorsteherin bisher mit größter Zuverlässigkeit nachgekommen; sie habe bislang nicht in einem einzigen Fall eine ihr erteilte Weisung nicht ausgeführt oder eine noch offene Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist bei der von ihr täglich vorzunehmenden Kontrolle des Fristenkalenders übersehen.
[2] Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, ein fehlendes Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Beklagten an der Versäumung der Frist lasse sich nicht zweifelsfrei feststellen. Der Inhalt des Wiedereinsetzungsantrages und der eidesstattlichen Versicherungen lasse nicht den zweifelsfreien Schluss zu, dass in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Beklagten eine Anweisung existiere, wonach der Fristenkalender am Ende des Arbeitstages dahin kontrolliert werde, ob sämtliche Fristen des Tages erledigt und ausgetragen worden seien. Eine solche Maßnahme diene aber gerade der Entdeckung und Vermeidung der im vorliegenden Fall aufgetretenen Versäumnisse. Dagegen wendet sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.
II.
[3] Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und gem. § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig. Dieser Zulassungsgrund liegt u.a. dann vor, wenn die Entscheidung des Gerichts auf der Verletzung von Verfahrensgrundrechten, namentlich des Anspruchs auf rechtliches Gehör beruht (BGH v. 4.7.2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221, 226 f. = BGHReport 2002, 948 = MDR 2002, 1207; Senatsbeschluss v. 10.5.2006 - XII ZB 42/05, MDR 2006, 1363 = BGHReport 2006, 1119). Einen solchen Verstoß rügt die Rechtsbeschwerde mit Erfolg.
[4] Das Berufungsgericht hat gegen § 139 Abs. 1 ZPO verstoßen, indem es unterstellt hat, in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Beklagten existiere keine Anweisung, wonach der Fristenkalender am Ende des Arbeitstages dahingehend kontrolliert werde, ob sämtliche Fristen des Tages erledigt und ausgetragen seien.
[5] Das Vorbringen des Prozessbevollmächtigten in seinem Wiedereinsetzungsgesuch legt die Deutung nahe, dass eine allgemeine Anweisung des Prozessbevollmächtigten existiert, wonach der Fristenkalender allabendlich darauf zu überprüfen ist, ob alle Fristen erledigt und ausgetragen sind und die Bürovorsteherin diese Kontrolle des Fristenkalenders am 2.11.2006 nicht mehr vorgenommen hat. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Deutung, wonach die Kontrolle des Fristenkalenders im Ermessen der Bürovorsteherin liege bzw. jeweils morgens stattfinde, ist demgegenüber eher fern liegend. Die Schilderung der Ereignisse am 2.11.2006 in chronologischer Reihenfolge (Unterzeichnung der Berufungsbegründung am späten Nachmittag, Weisung an die Bürovorsteherin, unterlassene Absendung des Faxes aufgrund Verschuldens) sowie der Hinweis am Ende, dass die Bürovorsteherin am 2.11.2006 auch den Fristenkalender nicht mehr kontrolliert habe, deutet, worauf die Rechtsbeschwerde zu Recht hinweist, darauf hin, dass es sich um eine abendliche Kontrolle gehandelt hat, die die Bürovorsteherin am 2.11.2006 versehentlich nicht mehr durchgeführt hat. Die Formulierung "bei der von ihr täglich vorzunehmenden Kontrolle des Fristenkalenders" spricht dafür, dass die Kontrolle des Fristenkalenders nicht im Ermessen der Bürovorsteherin stand, sondern aufgrund einer feststehenden Anweisung von ihr allabendlich durchzuführen war. Ob die Schlussfolgerung des Berufungsurteils, es habe an einer wirksamen Anweisung einer abendlichen Ausgangskontrolle gefehlt, nach dem vom Berufungsführer vorgetragenen Sachverhalt ernsthaft vertreten werden kann, kann dahinstehen. Denn wenn das Berufungsgericht das Vorbringen selbst als unklar ansieht, wäre es jedenfalls nach § 139 Abs. 1 ZPO verpflichtet gewesen, den Beklagten auf seinen unklaren Vortrag hinzuweisen, um ihm Gelegenheit zur Klarstellung seines rechtzeitigen Vortrages zu geben.
III.
[6] Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Dem Beklagten ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Denn er hat die Frist weder aus eigenem noch aus ihm zurechenbarem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) versäumt.
[7] Der Beklagte hat mit der Rechtsbeschwerde dargelegt, was er nach Erteilung des gebotenen Hinweises ggü. dem Berufungsgericht vorgetragen hätte. Danach hätte er zur Klarstellung seines bisherigen Vorbringens ausgeführt, dass die Bürovorsteherin dahin angewiesen sei, die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders zu überprüfen, die Bürovorsteherin diese Kontrolle jedoch am 2.11.2006 vergessen habe.
[8] Zwar müssen nach §§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 ZPO alle Tatsachen, die für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Bedeutung sein können, innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist vorgetragen werden. Jedoch dürfen nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (Senatsbeschluss v. 10.5.2006 - XII ZB 42/05, MDR 2006, 1363 = BGHReport 2006, 1119 m.w.N.) erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, noch nach Fristablauf erläutert und vervollständigt werden. Nach der Klarstellung, dass die Bürovorsteherin am Abend eines jeden Arbeitstages die Erledigung der fristgebundenen Sachen zu kontrollieren hat, hätte das Berufungsgericht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht ablehnen dürfen, da dem Beklagten dann keine Pflichtverletzung seines Prozessbevollmächtigten zuzurechnen ist. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat durch seine Kanzleiorganisation für eine ausreichende Fristenkontrolle gesorgt. Das Fehlverhalten der Kanzleiangestellten kann dem Beklagten nicht angelastet werden.
[9] Über die Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens - zu denen auch die Kosten des für den Beklagten erfolgreichen Beschwerdeverfahrens gehören - ist erst in der Endentscheidung über die Hauptsache zu erkennen (Senatsbeschluss v. 10.5.2006 - XII ZB 42/05, MDR 2006, 1363 = BGHReport 2006, 1119).
Fundstellen
Haufe-Index 1776110 |
NJW 2007, 3212 |
BGHR 2007, 1051 |
EBE/BGH 2007 |
FamRZ 2007, 1458 |
FuR 2007, 423 |
JurBüro 2008, 111 |
MDR 2007, 1089 |
BRAK-Mitt. 2007, 202 |