Tenor
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.
Gründe
Rz. 1
Der Beschuldigte ist aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 13. Dezember 2016 (2 BGs 895/16) am 20. Dezember 2016 festgenommen worden und befindet sich seither ununterbrochen in Untersuchungshaft.
Rz. 2
1. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich in den Jahren 2014 und 2015 in der Türkei, in Griechenland und an anderen Orten als Mitglied des sog. Islamischen Staates (IS) betätigt und damit an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen.
Rz. 3
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
Rz. 4
2. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:
Rz. 5
a) Der „Islamische Staat” ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash-Sham” – die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina – umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat” zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im Irak und das Regime des syrischen Präsidenten Assad zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam” begreift; die Tötung solcher „Feinde” oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht die Vereinigung als legitimes Mittel des Kampfes an.
Rz. 6
Die Führung der Vereinigung, die sich mit der Ausrufung des „Kalifats” im Juni 2014 aus „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien” in „Islamischer Staat” umbenannte – wodurch sie von der regionalen Selbstbeschränkung auf ein „Großsyrien” Abstand nahm –, hat der „Emir” Abu Bakr al-Baghdadi inne, der von seinem Sprecher zum „Kalifen” erklärt wurde, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Ihm unterstehen ein Stellvertreter sowie „Minister” als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein „Kriegsminister” und ein „Propagandaminister”. Zur Führungsebene gehören außerdem beratende „Shura-Räte”. Veröffentlichungen werden in der Medienabteilung „Al-Furqan” produziert und über die Medienstelle „al-I'tisam” verbreitet, die dazu einen eigenen Twitterkanal und ein Internetforum nutzt. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem „Prophetensiegel”, einem weißen Oval mit der Inschrift: „Allah – Rasul – Muhammad”, auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die mehreren Tausend Kämpfer sind dem „Kriegsminister” unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.
Rz. 7
Die von ihr besetzten Gebiete hat die Vereinigung in Gouvernements eingeteilt und einen Geheimdienstapparat eingerichtet; diese Maßnahmen zielen auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der syrischen Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsanspruch des IS in Frage stellen, sehen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus begeht der IS immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb seines Machtbereichs Terroranschläge. So hat er auch für Anschläge in Europa, etwa in Frankreich und Belgien, die Verantwortung übernommen.
Rz. 8
b) Der Beschuldigte gehörte jedenfalls von Oktober 2014 bis November 2015 zu der als „belgische Zelle” bezeichneten Gruppierung des IS, die von dem belgischen Staatsangehörigen A. geleitet wurde, der mit der Führungsebene in Raqqa in unmittelbarem Kontakt stand und dessen Aufgabe es war, Terroranschläge der Vereinigung in Westeuropa zu koordinieren. So trat A. als Planer und Mitausführender der Anschläge in Paris am 13. November 2015 in Erscheinung, steuerte den Angriff auf einen Thalys-Schnellzug in Belgien am 21. August 2015 und leitete die Vorbereitungen für den am 22. März 2016 von Mitgliedern der Gruppierung schließlich ausgeführten Anschlag auf den Flughafen „Zaventem” in Brüssel. An diesem Anschlag selbst war A. nicht mehr beteiligt, da er am 18. November 2015 in Paris/Saint-Denis von der französischen Polizei erschossen worden war.
Rz. 9
In diese Gruppierung um A. war der Beschuldigte, der ein enges Verhältnis zu diesem hatte, eingebunden. Von Oktober bis Dezember 2014 hielt er sich mit A. und anderen Mitgliedern der nach außen hin abgeschotteten Gruppe in einer konspirativen Wohnung in E. in der Türkei auf, für deren Sicherung er zu sorgen hatte. Ende Dezember reisten die Mitglieder der Gruppe, deren Ziel Westeuropa war, nach Griechenland weiter, wobei der Beschuldigte bei der Organisation der Schleusung mithalf. In At. bezogen die Beteiligten – unter anderem der Beschuldigte – wiederum zwei konspirative Wohnungen, von denen aus A. Planungen zu Anschlägen in Westeuropa, insbesondere in Belgien und hier bereits zu diesem Zeitpunkt konkret den Anschlag auf den Flughafen „Zaventem” in Brüssel, koordinierte und die Weiterreise von Gruppenmitgliedern nach Belgien plante. In At. nutzte der Beschuldigte zusammen mit A. gemeinsam einen Laptop und ein Mobiltelefon, wobei sich auf dem Handy unter anderem eine Skizze befand, die den geplanten Anschlag auf den genannten Flughafen zum Gegenstand hatte. An den im Frühjahr 2015 stattfindenden Vorbereitungen von Terroranschlägen war der Beschuldigte unter anderem insoweit beteiligt, als er Anfang 2015 von A. den Auftrag erhielt, den Reiseweg von Serbien und Ungarn nach Österreich sowie die zu erwartenden Kontrollmaßnahmen zu erkunden. Diesem Auftrag kam der Beschuldigte auch zunächst nach. Die Unternehmungen wurden aber dadurch unterbrochen, dass in V. (Belgien), wo sich bereits Mitglieder der Gruppe aufhielten, am 15. Januar 2015 ein Polizeieinsatz stattfand, bei dem zwei Gruppenmitglieder getötet wurden. A. und der Beschuldigte kehrten daraufhin zunächst in die Türkei zurück, von wo aus der Beschuldigte sich nach Deutschland begab, wo er im Mai 2015 ankam.
Rz. 10
3. Der dringende Tatverdacht ergibt sich hinsichtlich der Einbindung des Beschuldigten in die von A. geführte Gruppe und in die genannten Anschlagsvorbereitungen aus den Beweismitteln, die in dem Sachstandsbericht des Bundeskriminalamtes vom 29. Mai 2017 zusammengefasst worden sind, insbesondere aus den Aussagen der Zeugen D., Y. A. und C. sowie der Auswertung der bei einer Durchsuchung der beiden genannten Wohnungen in At. sichergestellten Asservate, vor allem mehrerer Mobiltelefone und des Laptops. Der Beschuldigte hat den gemeinsamen Aufenthalt mit A. in E. und At. sowie die gemeinsame Nutzung des Mobiltelefons eingeräumt. Wegen weiterer Einzelheiten nimmt der Senat auf die Darstellung im Haftbefehl Bezug.
Rz. 11
4. Es besteht nach alledem der dringende Tatverdacht, dass sich der Beschuldigte nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB strafbar gemacht hat. Der IS stellt auf der Grundlage des Ermittlungsergebnisses eine ausländische terroristische Vereinigung im Sinne von § 129b Abs. 1 StGB dar. Die mitgliedschaftliche Beteiligung des Beschuldigten an dem IS ergibt sich daraus, dass er im Rahmen der abgeschotteten Gruppe um A., der als eine Führungsperson des IS anzusehen ist, in Anschlagplanungen in Westeuropa, insbesondere Belgien, einbezogen war und von diesem erteilte Aufträge annahm.
Rz. 12
Es ist deutsches Strafrecht anwendbar: Dies folgt – unabhängig von der Frage, ob sich der Beschuldigte auch im Inland mitgliedschaftlich an der terroristischen Vereinigung beteiligt hat – jedenfalls aus § 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 4 StGB, weil der Beschuldigte sich in Deutschland befindet (vgl. zum Strafanwendungsrecht nach § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB BGH, Beschluss vom 6. April 2017 – AK 11-13/17, juris Rn. 16; vgl. auch BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2016 – AK 52/16, juris Rn. 33 ff.).
Rz. 13
Die nach § 129b Abs. 1 Sätze 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von Mitgliedern des IS liegt vor.
Rz. 14
5. Der bestehende Tatverdacht nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB begründet den Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO). Aus den Gründen des Haftbefehls, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, besteht zudem der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Die für die genannte Tat zu erwartende Strafe bildet einen erheblichen Fluchtanreiz, der es wahrscheinlicher macht, dass sich der Beschuldigte, der im Inland über keinerlei Bindungen verfügt und dessen Asylantrag inzwischen bestandskräftig abgelehnt worden ist, dem Strafverfahren entziehen wird, als dass er sich ihm stellt. Aus diesen für die Fluchtgefahr maßgeblichen Gründen sind weniger einschneidende Maßnahmen nach § 116 Abs. 1 StPO nicht geeignet, die Erreichung des Zwecks der Untersuchungshaft zu gewährleisten.
Rz. 15
6. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Der Umfang der Ermittlungen und ihre besondere Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft. Die bei der Durchsuchung der konspirativen Wohnungen in At. sichergestellten zahlreichen Datenträger mussten ausgewertet werden. Die Auswertungen sind noch nicht abgeschlossen. Außerdem wurden Zeugen – teilweise auch im Wege der Rechtshilfe – vernommen. Am 29. Mai 2017 hat das Bundeskriminalamt einen ausführlichen Sachstandsbericht erstellt. In einem Haftprüfungstermin am 18. Mai 2017 hat der Pflichtverteidiger des Beschuldigten dessen Bereitschaft, Angaben zu machen, bekundet. Die Vernehmung hat am 8. Juni 2017 stattgefunden. Nach Mitteilung des Generalbundesanwalts ist beabsichtigt, zeitnah Anklage zu erheben. Der Senat geht deshalb davon aus, dass zum nächsten Haftprüfungstermin eine Anklage vorliegen wird.
Rz. 16
7. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu den gegen den Beschuldigten erhobenen Vorwürfen derzeit noch nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Unterschriften
Becker, Spaniol, Tiemann
Fundstellen
Dokument-Index HI11003425 |