Verfahrensgang
LG Memmingen (Urteil vom 20.10.2020; Aktenzeichen 221 Js 20224/19 1 KLs) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten U. wird das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 20. Oktober 2020 unter Erstreckung auf den Mitangeklagten W.
- im Schuldspruch dahin geändert, dass diese Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, jeweils in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig sind;
- im Strafausspruch – hinsichtlich des Mitangeklagten W. auch der angeordnete teilweise Vorwegvollzug der Strafe vor der Maßregel – aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten U. wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten U. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Den nichtrevidierenden Mitangeklagten W. hat es wegen des gleichen Schuldvorwurfs zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass ein Jahr und sechs Monate der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen sind. Die mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten U. erzielt – unter Erstreckung auf den Mitangeklagten W. (§ 357 Satz 1 StPO) – den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts nahm der Mitangeklagte W. vor dem 14. Oktober 2019 das Angebot einer nicht näher bekannten Person an, von B. nach Bayern zu fahren, um dort zehn Kilogramm Marihuana zu übernehmen. Zwei Kilogramm des Marihuanas sollte er zur eigenen gewinnbringenden Veräußerung auf Kommission behalten dürfen, die weiteren acht Kilogramm sollte er per Post an den Hintermann versenden. Da W. das Betäubungsmittelgeschäft nicht allein durchführen wollte, warb er den Angeklagten an, gegen Gewinnbeteiligung an dem Geschäft mitzuwirken. Der Angeklagte sollte insbesondere die Qualität des Rauschgifts für den Weiterverkauf bei der Übergabe überprüfen. Als ihren Fahrer beauftragte W. den Nichtrevidenten M. gegen ein Entgelt von 150 Euro; dieser fuhr sie am 23. Oktober 2019 von B. Richtung A.. Nach der Übergabe von 9.919 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 762 Gramm THC durch eine unbekannte Person auf einem Autobahnparkplatz stellten W. und der Angeklagte fest, dass das Rauschgift nicht geruchsfest verpackt war, so dass sie dieses in einem sogleich gebuchten Pensionszimmer mittels eines vor Ort erworbenen Vakuumiergeräts versandfähig verpackten. Die Angeklagten wurden im Anschluss daran festgenommen und das Marihuana sichergestellt.
Rz. 3
2. a) Der Schuldspruch wegen mittäterschaftlich begangenen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a BtMG, § 25 Abs. 2 StGB) hält wegen der Gesamtmenge von 9.919 Gramm sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht in vollem Umfang stand. Hinsichtlich der für den Hintermann vorgesehenen Betäubungsmittelmenge, die an diesen versandt werden sollte, ist weder ein täterschaftliches Handeltreiben des Mitangeklagten W. noch des Angeklagten U. ersichtlich.
Rz. 4
aa) Beim Betäubungsmittelhandel gelten für die Abgrenzung von (Mit-)Täterschaft und Beihilfe die allgemeinen Grundsätze über die Abgrenzung zwischen diesen Beteiligungsformen. Ob ein Beteiligter eine Tat als Täter oder als Gehilfe begeht, ist danach in wertender Betrachtung nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zu ihr sein. Beschränkt sich die Beteiligung am Handeltreiben mit Betäubungsmitteln auf einen Teilakt des Umsatzgeschäfts, kommt es maßgeblich darauf an, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt (st. Rspr.; vgl. insbesondere für eine Kuriertätigkeit BGH, Beschluss vom 18. Mai 2021 – 1 StR 72/21 Rn. 4 m.w.N.). Diese Grundsätze sind auch anzuwenden bei Betäubungsmittelgeschäften, die ein selbst durchzuführendes Umsatzgeschäft und zugleich auch eine Beteiligung an einem fremden Umsatzgeschäft zum Gegenstand haben.
Rz. 5
bb) Gemessen daran ist die Bewertung des Landgerichts, dass der Mitangeklagte W. und der Angeklagte hinsichtlich der auf Kommissionsbasis vom Lieferanten in Empfang genommenen zwei Kilogramm Marihuana täterschaftlich Handel getrieben haben, nicht zu bestanden. Die Feststellungen tragen hingegen nicht ein täterschaftliches Handeltreiben in Bezug auf die vom Hintermann für sich bestellte Betäubungsmittelmenge von acht Kilogramm Marihuana. Das Tatinteresse von W. und des Angeklagten an dieser Rauschgiftmenge beschränkte sich darauf, einen günstigen Einkaufspreis für die für sie vorgesehene Betäubungsmittelmenge von zwei Kilogramm Marihuana zu erzielen. Hierzu sollten sie das gesamte Rauschgift in Empfang nehmen und den für den Hintermann vorgesehenen Anteil per Post an diesen versenden. Diese untergeordneten Tatbeiträge und auch die notwendig gewordene luftdichte Verpackung der Betäubungsmittel belegt eine (mit-)täterschaftliche Beteiligung an dem Umsatzgeschäft des Hintermannes nicht.
Rz. 6
b) Da weitergehende Feststellungen nicht zu erwarten sind, ändert der Senat den Schuldspruch – gemäß § 357 Satz 1 StPO unter Erstreckung auf den Mitangeklagten W. – wie aus der Beschlussformel ersichtlich ab. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil die geständigen Angeklagten sich nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
Rz. 7
c) Die Änderung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung der jeweiligen Strafaussprüche nach sich. Zwar ist der Strafrahmen hinsichtlich der eigenen Handelsmenge von zwei Kilogramm Marihuana (Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) identisch mit der für den Hintermann vorgesehenen Betäubungsmittelmenge von knapp acht Kilogramm Marihuana (Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 27 StGB). Der Senat kann jedoch insbesondere im Blick auf die Höhe der ausgeurteilten Strafen nicht ausschließen, dass das Tatgericht zu einer niedrigeren Freiheitsstrafe gelangt wäre, weil die Bewertung der Tat hinsichtlich der überwiegenderen Teilmenge des Marihuanas als Beihilfe zum Handeltreiben im Vergleich zur täterschaftlichen Begehung in der Regel einen geringeren Schuldvorwurf beinhaltet, der nicht durch den tateinheitlichen Besitz aufgewogen wird (vgl. BGH aaO Rn. 7 mwN). Das Landgericht hat insoweit in der Strafzumessung zwischen den Teilmengen unter diesem Gesichtspunkt auch nicht differenziert. Es hat zwar das eigene Interesse am Umsatzgeschäft in dem zu erzielenden Verkaufserlös für zwei Kilogramm Marihuana gesehen; es hat jedoch ohne Unterscheidung auf eine Überschreitung des Grenzwerts für die nicht geringe Menge um das Hundertfache abgestellt (UA S. 61).
Rz. 8
d) Die Feststellungen werden von der Schuldspruchänderung nicht betroffen und bleiben aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen. Die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten U. in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) ist rechtsfehlerfrei begründet; sie wird daher von der Aufhebung des Strafausspruchs nicht betroffen.
Unterschriften
Raum, Jäger, Bellay, Bär, Pernice
Fundstellen
Dokument-Index HI14706838 |