Verfahrensgang
LG Wiesbaden (Urteil vom 19.11.2012) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 19. November 2012
- im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, und des sexuellen Missbrauchs von Kindern in zehn Fällen schuldig ist,
- in den Einzelstrafaussprüchen in den Fällen 1 bis 7 und 9 bis 11 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch jeweils mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und sexuellen Missbrauchs von Kindern in neun Fällen – in allen Fällen jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Sein Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. a) Zutreffend weist der Generalbundesanwalt darauf hin, dass in den Fällen 1 bis 7 und 9 bis 11 der Urteilsgründe das jeweils tateinheitlich verwirklichte Vergehen des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen (§ 174 Abs. 1 StGB) nach den Urteilsfeststellungen verjährt und der Schuldspruch insoweit zu ändern ist. Diese nicht mehr genau datierbaren Taten sind im Zweifel zugunsten des Angeklagten innerhalb des vom Landgericht jeweils zu Grunde gelegten Tatzeitraums vor dem 1. April 1999 begangen (UA S. 8 ff. und UA S. 12 f.). Gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB ist demnach spätestens am 31. März 2004 Verfolgungsverjährung eingetreten. Da der Ablauf der Verjährungsfrist bereits vor Inkrafttreten der Regelung des § 78 b Abs. 1 Nr. 1 StGB am 1. April 2004 eingetreten war, kommt ein Ruhen der Verjährung nach dieser Vorschrift nicht in Frage (vgl. Senatsbeschluss vom 20. November 2012 – 2 StR 257/12; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 78 b Rn. 3, jeweils mwN).
Rz. 3
b) Der Schuldspruch im Fall 7 der Urteilsgründe hält darüber hinaus rechtlicher Überprüfung nicht stand. Nach den landgerichtlichen Feststellungen forderte der Angeklagte die Geschädigte auf, sich Hose und Unterhose auszuziehen und sich vor die Couch zu knien. Das Kind gehorchte. Der Angeklagte, der sich ebenfalls entkleidet hatte, wollte mit dem Mädchen den Geschlechtsverkehr durchführen. Er rieb den Genitalbereich des Kindes mit Vaseline ein. Sodann kniete sich der Angeklagte hinter das Mädchen und berührte sie mit seinem Glied im Genitalbereich. „Ein tatsächliches Eindringen des Angeklagten in ihre Scheide oder ihren After konnte nicht sicher festgestellt werden” (UA S. 11). Nach einem kurzen Moment erklärte der Angeklagte der Geschädigten, dass sie sich wieder anziehen dürfe, was sie dann auch tat.
Rz. 4
Vor dem Hintergrund dieser Feststellungen hat das Landgericht zwar im Ansatz zu Recht angenommen, dass eine Strafbarkeit wegen des Versuchs des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Betracht kommt. Es hat jedoch Anlass zur Prüfung der Frage bestanden, ob der Angeklagte von diesem Versuch strafbefreiend zurückgetreten ist. Da der Versuch unbeendet war, genügte dafür hier das bloße Nichtweiterhandeln des Angeklagten. In einer neuen Hauptverhandlung sind weitere Feststellungen nicht zu erwarten, so dass davon auszugehen ist, dass der Angeklagte vom Versuch des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern freiwillig und daher strafbefreiend zurückgetreten ist (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB).
Rz. 5
Zum Nachteil des Kindes hat der Angeklagte hier aber einen vollendeten sexuellen Missbrauch gemäß § 176 Abs. 1 StGB begangen (vgl. auch BGH, Urteil vom 21. November 2002 – 3 StR 318/02, bei Pfister NStZ-RR 2003, 354; Renzikowski in MünchKomm-StGB, 2. Aufl., § 176 a Rn. 45; Fischer, aaO, § 176 a Rn. 23). Der Senat entscheidet in der Sache und ändert den Schuldspruch auch insoweit. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da ausgeschlossen werden kann, dass sich der Angeklagte anders als geschehen verteidigt hätte.
Rz. 6
2. Die Änderung des Schuldspruchs in den Fällen 1 bis 7 und 9 bis 11 der Urteilsgründe hat die Aufhebung der betroffenen Einzelstrafen zur Folge. Das Landgericht hat es ausdrücklich als strafschärfend gewertet, dass der Angeklagte bei jeder der Taten zwei Straftatbestände verwirklicht hat. Auch wenn es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich möglich ist, verjährte Taten bei der Strafzumessung – wenn auch mit eingeschränktem Gewicht – zu berücksichtigen (vgl. Senatsbeschluss vom 20. November 2012 – 2 StR 257/12; Fischer, aaO, § 46 Rn. 38d mwN), kann der Senat hier nicht ausschließen, dass das Landgericht ohne die strafschärfende Verwertung der tateinheitlichen Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen auf niedrigere Einzelstrafen erkannt hätte.
Rz. 7
Die Aufhebung der Einzelstrafen zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich, die zudem ihrerseits nicht rechtsfehlerfrei ist. Das Landgericht hat zwar gesehen, dass eine (weitere) Gesamtstrafenbildung wegen vollständiger Vollstreckung der Strafen aus den Vorverurteilungen nicht in Betracht kommt; dieses hätte indes einen Härteausgleich nach sich ziehen müssen (vgl. BGH Beschluss vom 17. August 2011 – 5 StR 322/11; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 1242 mwN). Überdies hat die Strafkammer zur Begründung der als schuldangemessen angesehenen Gesamtfreiheitsstrafe nahezu ausschließlich mildernde Gesichtspunkte angeführt (UA S. 41 f.), so dass der Senat nicht nachvollziehen kann, weswegen die Einsatzstrafe von zwei Jahren und acht Monaten derart massiv erhöht wurde (vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. Juni 2013 – 5 StR 232/13).
Rz. 8
Der Senat merkt an, dass die zu Lasten des Angeklagten angeführte Strafzumessungserwägung, er habe „mit zornerfüllter, lauter Stimme ausgeführt, selbst im Falle eines Freispruches aus Zweifelsgründen das Urteil anfechten und keine Ruhe geben zu wollen, bis klargestellt sei, dass die beiden Nebenklägerinnen Lügnerinnen seien” (UA S. 39), im Hinblick auf das Bestreiten der Tatvorwürfe durch den Angeklagten nicht unbedenklich ist (vgl. auch BGH, Urteil vom 8. April 2004 – 4 StR 576/03, NStZ 2004, 616 f.; Beschluss vom 2. Mai 2000 – 1 StR 136/00).
Unterschriften
Fischer, Appl, Eschelbach, Ott, Zeng
Fundstellen
Haufe-Index 5422935 |
NStZ-RR 2013, 362 |
NStZ-RR 2014, 8 |