Verfahrensgang
LG Verden (Aller) (Urteil vom 28.03.2001) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 28. März 2001 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit (vorsätzlicher) Körperverletzung, Nötigung und Freiheitsberaubung, wegen Hausfriedensbruchs in Tateinheit mit Sachbeschädigung, wegen (vorsätzlicher) Körperverletzung in Tateinheit mit (vorsätzlichem) Fahren ohne Fahrerlaubnis und Unterschlagung und wegen versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte das Verfahren und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat allein zum Maßregelausspruch Erfolg.
1. Soweit sich die Revision gegen den Schuldspruch und den Strafausspruch wendet, ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Lediglich zu der unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen das Gebot fairer Verfahrensgestaltung erhobenen Rüge, die Strafkammer habe es unterlassen, vor Urteilsverkündung darauf hinzuweisen, daß sie es für möglich halte, die vereidigten Zeugen K. und S. könnten bewußt wahrheitswidrig ausgesagt haben (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 60 Rdn. 30 und 34 a. E.), bemerkt der Senat ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwaltes:
Auf dem geltend gemachten Verfahrensverstoß beruht das Urteil jedenfalls auch deshalb nicht, weil sich das Landgericht in den Urteilsgründen ausführlich mit dem Inhalt der Protokolle der polizeilichen Vernehmungen dieser Zeugen auseinandersetzt, die wesentlich präzisere Angaben zu dem angeblichen Anruf des Angeklagten vom 30. Dezember 1999 enthielten als die Aussagen der Zeugen in der Hauptverhandlung. Es kann daher ausgeschlossen werden, daß das Landgericht zu einer anderen Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten gelangt wäre, wenn es die weiteren Beweise zur Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugen anläßlich ihrer polizeilichen Vernehmungen erhoben hätte, die die Verteidigung nach dem Vortrag der Revision bei Erteilung des vermißten Hinweises angetreten hätte, zumal der Inhalt des angeblichen Telefonats vom 30. Dezember 1999 ohnehin nur ein Randindiz für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin darstellen könnte.
2. Dagegen hält der Maßregelausspruch rechtlicher Überprüfung aufgrund der Sachrüge nicht stand. Die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn positiv feststeht, daß die Schuldfähigkeit des Angeklagten im Tatzeitpunkt zumindest erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB war (BGHSt 34, 22, 26 f.; 42, 385, 386; BGH NStZ 1999, 128, 129; 2000, 585). Das Landgericht geht zwar davon aus, daß beim Angeklagten bei Begehung der Taten vom 28. Dezember 1999, 4./5. Februar 2000 und 18. April 2000 aufgrund einer schweren anderen seelischen Abartigkeit eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB vorlag. Jedoch belegen die Urteilsgründe nicht, daß es sich hiervon rechtsfehlerfrei überzeugt hätte.
Der vom Landgericht gehörte Sachverständige ist zunächst aufgrund von ihm eingesehener Krankenakten, einer in einer Verhandlungspause durchgeführten Untersuchung des Angeklagten sowie des Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von dem – schweigenden – Angeklagten gewann, zu der Beurteilung gelangt, es sei nicht auszuschließen, daß beim Angeklagten eine Persönlichkeitsstörung mit narzißtischer und dissozialer Ausprägung vorliege, die als schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB anzusehen wäre. Es sei ihm aber kaum möglich zu beurteilen, wie sich eine solche Persönlichkeitsstörung bei der Tatbegehung auf die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten ausgewirkt habe, da sich der Angeklagte ihm gegenüber zu den Taten nicht geäußert habe. Die diesbezüglichen Zeugenaussagen habe er nicht berücksichtigt, da sie kein einheitliches Bild ergäben. Auf Vorhalt des Landgerichts, er möge die Aussagen der Zeugen, die den Tatvorwurf bestätigten bzw. die allgemein zu den Verhaltensweisen des Angeklagten außerhalb des Tatgeschehens, insbesondere zu seinem gleichförmig aggressiven Vorgehen gegen andere Personen und seinen Selbstmordversuchen gehört wurden, als zutreffend unterstellen, hat der Sachverständige sodann erklärt, daß diese Umstände zusätzlich für eine Persönlichkeitsstörung mit massiver Intensität und einer hierdurch entstandenen Prägung der Persönlichkeit des Angeklagten sprechen würden. Möglicherweise sei dann positiv von einer verminderten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Tatbegehung auszugehen. Der Sachverständige hat somit positiv weder festgestellt, daß beim Angeklagten eine schwere andere seelische Abartigkeit in der Form einer narzißtischen und dissozialen Persönlichkeitsstörung vorliegt, noch daß eine derartige Persönlichkeitsstörung die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Tatbegehung gemindert hat.
Das Landgericht hat sich demgegenüber davon überzeugt, daß bei dem Angeklagten eine schwere Persönlichkeitsstörung mit narzißtischer und dissozialer Ausprägung besteht, die zumindest bei den Taten Ziffer II. 1. bis 3. der Urteilsgründe die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindert hat. Hiergegen ist zwar grundsätzlich nichts einzuwenden. Denn das Gericht ist nicht gehindert, von dem Gutachten eines vernommenen Sachverständigen abzuweichen, da dieses stets nur Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein kann (BGHR StPO § 261 Sachverständiger 5). Insbesondere kann ihm das erstattete Gutachten die erforderliche Sachkunde verschafft haben, um die zu klärende Beweisfrage eigenständig und auch im Gegensatz zum Sachverständigen zu beantworten (BGH NStZ 1984, 467). Will es jedoch eine Frage, für deren Beantwortung es sachverständige Hilfe erforderlich gehalten hat, im Widerspruch zu dem Gutachten beantworten, muß es die Gründe hierfür in einer Weise darlegen, die dem Revisionsgericht die Nachprüfung erlaubt, ob es das Gutachten zutreffend gewürdigt und aus ihm rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat. Hierzu bedarf es einer erschöpfenden Auseinandersetzung mit den Darlegungen des Sachverständigen, insbesondere zu den Gesichtspunkten, auf welche das Gericht seine abweichende Auffassung stützt (BGHR StPO § 261 Sachverständiger 1 und 5; BGH NStZ-RR 1997, 172). Dies lässt die angefochtene Entscheidung vermissen.
Das Landgericht referiert zwar im einzelnen die Anknüpfungstatsachen, auf die es seine Überzeugung von der erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei den ersten drei abgeurteilten Taten stützt (UA S. 67 – 70). Dies sind aber dieselben, die der Sachverständige auf Vorhalt des Gerichts seiner eigenen Begutachtung zugrunde gelegt hat. Welche Gründe er dafür anführte, daß er auf dieser Grundlage eine narzißtische und dissoziale Persönlichkeitsstörung und eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zu den Tatzeitpunkten nicht sicher festzustellen vermochte, teilt das Landgericht nicht mit. Ebensowenig legt es dar, welche Erwägungen maßgeblich dafür waren, daß es sich entgegen dem Sachverständigen positiv von einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei den drei ersten abgeurteilten Taten zu überzeugen vermochte. Damit bleibt auch offen, ob das Gutachten dem Landgericht tatsächlich das notwendige Wissen vermittelt hat, um eine eigenständige Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten vornehmen zu können. So befaßt sich etwa weder – soweit im Urteil mitgeteilt – der Sachverständige noch das Landgericht mit den Merkmalen der dissozialen und narzißtischen Persönlichkeitsstörung, wie sie beispielsweise in Kapitel V der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10) unter F 60.2 und Anhang I F 60.80 (vgl. Dilling/Mombour/Schmidt (Hrsg.) Internationale Klassifikation psychischer Störungen 4. Aufl. S. 229 und 324) beschrieben werden (wobei die narzißtische Persönlichkeitsstörung bisher noch nicht in den Katalog des Kapitels V aufgenommen wurde). Ebensowenig erörtert das Landgericht näher die Frage, ob die Auswirkungen der angenommenen Persönlichkeitsstörung in ihrer Gesamtheit das Leben des Angeklagten in vergleichbar schwerer Weise beeinträchtigen, belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen, so daß sie als schwere andere seelische Abartigkeit einzustufen ist (vgl. BGHSt 34, 22, 28; 37, 397, 401; BGH NStZ-RR 1999, 77, 78), oder ob in der Person des Angeklagten – sei es möglicherweise auch in extremer Spielart – letztlich nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist (vgl. BGHSt 42, 385, 388; BGHR StGB § 63 Zustand 26; BGH NStZ 2000, 585, 586).
Der Senat ist daher nicht in der Lage zu prüfen, ob das Landgericht die Maßregel nach § 63 StGB rechtsfehlerfrei angeordnet hat. Über die Unterbringung des Angeklagten muß daher neu entschieden werden. Hierbei könnte es sich empfehlen, einen anderen Gutachter zu hören.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Winkler, Pfister, Becker, Sost-Scheible
Fundstellen