Entscheidungsstichwort (Thema)
versuchter Totschlag
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 09.02.2010) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 9. Februar 2010 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Die Jugendkammer hat festgestellt:
Rz. 2
Der später Geschädigte hatte eine tätliche Auseinandersetzung mit einem Freund des Angeklagten, die dieser zunächst aus einiger Entfernung beobachtete. Er wollte dann den Geschädigten kampfunfähig machen, näherte sich ihm von der Seite und stach ihm mit bedingtem Tötungsvorsatz wuchtig ein Messer in den Bauch. Obwohl lebensgefährlich verletzt, bemerkte der Geschädigte den Stich zunächst nicht und kämpfte sogar weiter. Zufällig kam kurz darauf eine Polizeistreife, die seine lebensrettende Behandlung veranlasste. Der Angeklagte war nach dem Stich geflüchtet. Er ging – wie sich zeigte, zutreffend – davon aus, dass die „Wirkung auf den Geschädigten alsbald einsetzen würde”. Ob er dem Geschädigten weitere Stiche hätte versetzen können, bleibt ausdrücklich offen.
Rz. 3
Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurde der Angeklagte wegen versuchtem Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe verurteilt.
Rz. 4
Seine auf die entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht ausgeführte Verfahrensrüge und die allgemeine Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
Rz. 5
1. Näher auszuführen ist dies nur, soweit ein strafbefreiender Rücktritt (§ 24 StGB) verneint ist.
Rz. 6
a) Da offen bleibt, ob weitere Stiche möglich gewesen wären, liegt kein fehlgeschlagener Versuch vor.
Rz. 7
b) Der Angeklagte hat keine Rettungsmaßnahmen ergriffen. Im rechtlichen Ansatz zutreffend geht die Jugendkammer davon aus, aus diesem Grund komme kein Rücktritt in Betracht, da hier ein beendeter Versuch vorliege. Der Versuch sei deshalb beendet, weil der Angeklagte davon ausging, dass er sein Ziel, die Kampfunfähigkeit des Geschädigten, erreicht habe (gemeint: dass er davon ausging, dass dies demnächst eintreten werde). Dies ist allerdings unzutreffend. Ob ein Versuch beendet ist oder nicht, richtet sich nicht nach der Vorstellung des Täters über ein außertatbestandsmäßiges Handlungsziel, sondern über den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs (Rücktrittshorizont). Auch bei Erreichung des außertatbestandsmäßigen Ziels kann ein unbeendeter Versuch vorliegen, so dass bloßes Aufgeben weiterer Tatausführung für Rücktritt genügte (BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227 ff).
Rz. 8
c) Dennoch hat das Urteil im Ergebnis Bestand. Der Angeklagte hatte eine mögliche tödliche Wirkung des Stichs billigend in Kauf genommen. Daher legt die Feststellung, der Angeklagte habe bei seiner Flucht unmittelbar nach dem Stich mit dessen baldiger Wirkung gerechnet, die Annahme nahe, er habe (auch) den baldigen Tod des Geschädigten für möglich gehalten. Zumindest wird aber deutlich, dass der Angeklagte jedenfalls keine gegenteiligen Erwägungen angestellt hat, er sich also – allenfalls – überhaupt keine Vorstellungen darüber gemacht hat, ob der Geschädigte sterben könne oder nicht, sodass jedenfalls deshalb beendeter Versuch vorliegt (BGH, Urteil vom 3. Juni 2008 – 1 StR 59/08, NStZ 2009, 264, 266; BGH, Urteil vom 2. November 1994 – 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304, 306), von dem der Angeklagte nicht zurückgetreten ist.
Rz. 9
2. Auch im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils keine Rechtsfehler ergeben, die sich zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben.
Rz. 10
Der Senat sieht jedoch Anlass zu folgenden Hinweisen:
Rz. 11
a) Zum Schuldspruch:
Rz. 12
Die Jugendkammer hat festgestellt, dass sich der Angeklagte „wie er erkannte und worauf es ihm ankam, von diesem unbemerkt”, dem Geschädigten seitlich genähert hatte, um auf ihn einzustechen. Dies legt die Annahme von Heimtücke (§ 211 StGB) nahe. Es beschwert den Angeklagten jedoch nicht, dass die Jugendkammer diese Möglichkeit gleichwohl nicht geprüft hat.
Rz. 13
b) Zum Strafausspruch:
Rz. 14
Der bei der Tat über 20 Jahre alte Angeklagte hat nach dem Hauptschulabschluss den Beruf eines Metallbearbeiters erlernt, den er seither erfolgreich (monatliches Nettogehalt zuletzt zwischen 1.800 und 1.900 EUR) ausübt. Dementsprechend geht die Jugendkammer davon aus, dass der Angeklagte „in der beruflichen Entwicklung einem Erwachsenen gleichsteht”. Dennoch wendet sie Jugendstrafrecht an.
Rz. 15
(1) Begründet ist dies an erster Stelle damit, dass der Angeklagte noch bei seinen Eltern lebt und keine eigene Familie hat. Hiergegen bestehen Bedenken. Heranwachsende mit eigener Familie sind seltene Ausnahmen. Nach dem Maßstab der Jugendkammer hätten fast alle Heranwachsenden Reifedefizite.
Rz. 16
(2) Weiter stützt die Jugendkammer ihr Ergebnis darauf, dass der Angeklagte zeitweise eine Förderschule besucht hatte. Selbst wenn dies auf früher vorhandene Defizite hinweisen mag, liegt nahe, dass diese inzwischen behoben sind, wenn sie sich nicht mehr erkennbar auswirken.
Rz. 17
(3) Letztlich hebt die Jugendkammer noch darauf ab, dass der Angeklagte von seinem Einkommen gerne Kleidung („Klamotten”) einkauft, Diskotheken besucht und sich oft mit Computerspielen beschäftigt. Auch dabei handelt es sich schwerlich um Hinweise auf „Auffälligkeiten in der geistigen und sittlichen Entwicklung” (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2003 – 1 StR 507/02, NStZ-RR 2003, 186, 187; Urteil vom 18. April 1984 – 2 StR 103/84, NStZ 1984, 467 mwN), sondern, soweit überhaupt auf diesen Kreis beschränkt, eher um typische Verhaltensweisen jüngerer Menschen.
Rz. 18
Auch in ihrer Gesamtschau haben die genannten Gesichtspunkte jedenfalls nicht solches Gewicht, dass kein Raum mehr für die Ausübung des in diesem Zusammenhang bestehenden weiten tatrichterlichen Ermessens (BGH, Urteil vom 11. März 2003 – 1 StR 507/02) bestünde, sondern, wie die Jugendkammer meint, „zwingend” Jugendstrafrecht anzuwenden sei.
Rz. 19
All dies beschwert jedoch den Angeklagten ebenfalls nicht.
Rz. 20
c) Zur Abfassung der Urteilsgründe:
Rz. 21
Die schriftlichen Urteilsgründe sollen nicht – etwa zum Vortatgeschehen – eine Vielzahl von Details aneinanderreihen, deren Bedeutung für den Schuld- oder Strafausspruch kaum erkennbar ist. Ebenso wenig sollte etwa die Aussage des Angeklagten in der Art eines Protokolls und wiederholt unter Mitteilung des jeweiligen Fragestellers Satz für Satz referiert werden. Die Urteilsgründe sollen dem Leser ermöglichen, die die Entscheidung tragenden Feststellungen ohne aufwändige eigene Bemühungen zu erkennen. Dementsprechend soll die Beweiswürdigung lediglich belegen, warum bedeutsame tatsächliche Umstände so wie geschehen festgestellt wurden. Nur soweit hierfür erforderlich, sind Angaben des Angeklagten, Zeugenaussagen und sonst angefallene Erkenntnisse heranzuziehen. Urteilsgründe, die sich demgegenüber mit vielen sonstigen Erkenntnissen befassen, können den Blick für das Wesentliche verstellen und damit letztlich sogar den Bestand des Urteils gefährden (vgl. BGH, Beschluss vom 19. August 2009 – 1 StR 357/09; Beschluss vom 4. März 2009 – 1 StR 27/09, insoweit nicht abgedruckt in NStZ 2009, 701; BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2006 – 2 StR 470/06, NStZ 2007, 720; BGH, Beschluss vom 4. September 1997 – 1 StR 487/97, NStZ 1998, 51 mwN).
Unterschriften
Nack, Wahl, Elf, Jäger, Sander
Fundstellen
Haufe-Index 2423664 |
NStZ 2011, 90 |
NStZ-RR 2010, 371 |
NStZ-RR 2013, 104 |
ZJS 2011, 93 |