Verfahrensgang
LG München II (Urteil vom 24.03.2011) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 24. März 2011 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Rz. 1
1. Der Angeklagte hatte als Angestellter eines Telefon-Shops eine zentrale Rolle in einem näher geschilderten System zur Erlangung von Mobiltelefonen und Notebooks auf Kosten der Telefongesellschaft. Ihr wurde unter Vorlage manipulierter Personalpapiere vorgespiegelt, (überwiegend) nicht existierende oder (in einigen Fällen) wegen falscher Angaben kaum ermittelbare Personen wollten Mobilfunkverträge abschließen. Nachdem eine – im Einzelfall nicht mehr feststellbar – automatisiert oder durch einen Mitarbeiter der Gesellschaft durch Abgleich mit Schuldnerdateien vorgenommene Bonitätsprüfung wie eingeplant wegen der erfundenen Angaben nichts Negatives ergeben hatte, wurden die Geräte in den Shop übersandt, die der Angeklagte und weitere Beteiligte für sich behielten und verwerteten.
Rz. 2
2. Auf Grundlage dieser Feststellungen wurde der Angeklagte wahlweise wegen (gewerbsmäßigen) Betrugs oder (gewerbsmäßigen) Computerbetrugs in 51 Fällen zu drei Jahren und drei Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.
Rz. 3
3. Seine uneingeschränkt eingelegte, auf die Sachrüge gestützte Revision ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). In der Revisionsbegründung des gerichtlich bestellten Verteidigers heißt es, dass der „Tatbestand des gewerbsmäßigen Betrugs oder Computerbetrugs erfüllt” sei; näher begründet ist beantragt (§ 344 Abs. 1 StPO), den Strafausspruch aufzuheben; im Übrigen, so heißt es abschließend, sei die Sachrüge allgemein erhoben. In einem späteren Schriftsatz legt eine Wahlverteidigerin dar, warum hier kein Betrug vorliege. Trotz des zum Revisionsumfang insgesamt nicht völlig klaren Vorbringens geht der Senat hier von einer umfassenden Urteilsanfechtung aus.
Rz. 4
4. Die Revision meint, der Schuldspruch könne schon deshalb keinen Bestand haben, weil der Angeklagte keinen Einfluss darauf gehabt habe, mit wem die Telefongesellschaft nach Durchführung einer Bonitätsprüfung einen Vertrag abschließe; da dies allein deren Risiko sei, liege keine Täuschung i.S.d. § 263 StGB vor. Dieses Vorbringen versagt. Grundsätzlich reicht es aus, wenn die Täuschung (eine mit falschem Namen und/oder Anschrift bezeichnete Person will einen Vertrag abschließen), den Irrtum des Getäuschten (diese Person ist „zahlungsfähig”, da sie nicht in Schuldnerdateien eingetragen ist), mitverursacht hat (vgl. Satzger in SSW-StGB, § 263 Rn. 86; Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 263 Rn. 43; Tiedemann in LK, 11. Aufl., § 263 Rn. 93 jew. mwN). Dies gilt umso mehr, als der Irrtum über die „Zahlungsfähigkeit” einer Person nur auf Grundlage des vom Angeklagten durch Täuschung hervorgerufenen Irrtums über deren Existenz entstehen konnte. Es war in dem in Kenntnis der Abläufe bei der Telefongesellschaft geschaffenen System angelegt, dass der im Abgleich der Schuldnerdateien liegende Überprüfungsmechanismus ins Leere gehen musste. Unter diesen Umständen stellt sich daher die Frage nach einer Risikoverteilung nicht, ohne dass der Senat der Frage nachgehen müsste, ob dies in anderen Fallgestaltungen Bedeutung gewinnen kann. Die Auffassung der Revision, die gebotene Übertragung der Grundsätze zur verfassungskonformen Auslegung des Untreuetatbestandes (vgl. BVerfG NJW 2010, 3209; BGH, Beschluss vom 13. September 2010 – 1 StR 220/09 NJW 2011, 88; NJW 2011, 1747), ergebe (dennoch), dass hier mangels relevanter Täuschung kein Betrug vorliege, zeigt einen Rechtsirrtum des Landgerichts nicht auf.
Rz. 5
5. Entsprechendes gilt im Ergebnis für das sonstige Revisionsvorbringen. Ergänzend ist lediglich hinsichtlich des Strafausspruchs zu bemerken:
Rz. 6
Der Angeklagte ist türkischer Staatsbürger, der seit seiner Geburt (1985) in Deutschland lebt. Wegen der Höhe der Strafe, so führt die Revision aus, lägen beim Angeklagten gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 56 Abs. 1 Nr. 2 und § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG die Voraussetzungen einer sog. „Regelausweisung” vor; da somit die zuständige Behörde kein Ermessen habe, könnten besondere Härten nicht hinlänglich berücksichtigt werden. Dies hätte bei der Strafzumessung erörtert werden müssen.
Rz. 7
Der Senat sieht keinen Rechtsfehler.
Rz. 8
Ausländerrechtliche Folgen einer Tat sind regelmäßig keine bestimmenden Strafzumessungsgründe (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juli 2010 – 1 StR 349/10; BGH, Beschluss vom 31. August 2007 – 2 StR 304/07, StV 2008, 298 mwN). Dies gilt auch bei einer zwingend vorgeschriebenen Ausweisung (BGH, Beschlüsse vom 31. August 2007 – 2 StR 304/07, StV 2008, 298 und 5. Dezember 2001 – 2 StR 273/01, NStZ 2002, 196 mwN); anderes kann nur dann gelten, wenn zusätzliche Umstände hinzutreten, die die Ausweisung als besondere Härte erscheinen lassen (BGH, aaO). Der Senat braucht jedoch nicht der Frage nachzugehen, wie derartige Umstände, die sich jedenfalls von den notwendig oder erfahrungsgemäß häufig mit einer Ausweisung verbundenen Belastungen wegen einzelfallbedingter Besonderheiten in klar erkennbarer Weise nachhaltig unterscheiden müssen, konkret beschaffen sein könnten. Hier fehlt es nämlich schon an einer zwingend vorgeschriebenen Ausweisung. Auch bei einer Regelausweisung gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG kann nämlich die Ausländerbehörde bei bedeutsamen atypischen Umständen von einer Ausweisung absehen (vgl. Alexy in Hofmann/Hoffmann, AusländerR, § 56 AufenthG Rn. 25 ff. mwN). Es ist daher davon auszugehen, dass auch in derartigen Fällen die Ausländerbehörden ungewöhnliche Besonderheiten im Rahmen ihrer gerichtlich überprüfbaren Entscheidung zu bedenken haben (vgl. BGH, NStZ, aaO), eine Erörterung der Voraussetzungen einer Regelausweisung als wesentlicher Strafzumessungsgrund ist daher nicht geboten.
Rz. 9
6. Die Strafkammer hält es im Rahmen der Strafzumessung für „positiv”, dass gegen den Angeklagten – mehrere Monate lang auch vollzogene – Untersuchungshaft angeordnet werden musste. Dieser offenbar als stets strafmildernd angesehene Gesichtspunkt falle hier „umso stärker” ins Gewicht, als es dem erstmals inhaftierten Angeklagten aus nicht konkret genannten Gesundheitsgründen dabei „nicht gut ging”. Untersuchungshaft ist jedoch, jedenfalls bei Verhängung einer zu verbüßenden Freiheitsstrafe, kein Strafmilderungsgrund (vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 2010 – 2 StR 102/10, NStZ 2011, 100; Urteil vom 19. Dezember 2002 – 3 StR 401/02, NStZ-RR 2003, 110; zusammenfassend Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl., Rn. 434 jew. mwN). Erstmaliger Vollzug von Untersuchungshaft (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 21. Dezember 1993 – 5 StR 683/93, NStZ 1994, 198; BGH, Urteil vom 14. Juni 2006 – 2 StR 34/06, NJW 2006, 2645) oder Krankheit während der Untersuchungshaft (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 25. November 1983 – 2 StR 717/83, StV 1984, 151 ≪Haftpsychose≫) können allenfalls dann strafmildernd sein, wenn damit ungewöhnliche, über die üblichen deutlich hinausgehende Beschwernisse verbunden sind (zusammenfassend Fischer, StGB, 58. Aufl., § 46 Rn. 72, 73 mwN). Allein der Hinweis auf ein eingeschränktes Wohlbefinden belegt dies nicht. All dies hat sich aber nur zu Gunsten des Angeklagten ausgewirkt.
Unterschriften
Nack, Wahl, Rothfuß, RiBGH Prof. Dr. Jäger ist, urlaubsabwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert. Graf, Nack
Fundstellen
Haufe-Index 2827143 |
NStZ 2012, 147 |
wistra 2012, 2 |
wistra 2012, 66 |
NStZ-RR 2012, 42 |