Verfahrensgang
LG Magdeburg (Urteil vom 21.05.2002) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 21. Mai 2002 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten und einer Woche verurteilt. Von dem Vorwurf des Mißbrauchs einer Widerstandsunfähigen in drei Fällen hat es ihn wegen fehlender Schuldfähigkeit (Unrechtseinsichtsfähigkeit) freigesprochen und – wie sich aus dem verkündeten Urteilsspruch und auch aus den Urteilsgründen ergibt – seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet; von dem weiteren Vorwurf des schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in zwei Fällen und des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes hat es ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat hinsichtlich des Maßregelausspruchs Erfolg; im übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB setzt neben der positiven Feststellung einer auf einem länger andauernden, nicht nur vorübergehenden geistigen Defekt beruhenden Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) voraus, daß die unterzubringende Person eine rechtswidrige Tat begangen hat, in der sich die Störung manifestiert. Weiterhin muß die Gesamtwürdigung von Tat und Täter ergeben, daß aufgrund des zur Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderten Schuldfähigkeit führenden Zustandes eine über die bloße Möglichkeit hinausgehende Wahrscheinlichkeit weiterer erheblicher rechtswidriger Taten besteht (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 34, 22, 26/27). Diesen Anforderungen werden die Darlegungen in dem angefochtenen Urteil nicht gerecht.
1. Die Urteilsgründe belegen zwar, daß der Angeklagte, der einen Intelligenzquotienten von 42 aufweist, aufgrund einer mittelgradigen Intelligenzminderung (Schwachsinn i.S. des § 20 StGB) schuldunfähig war, weil es ihm, bezogen auf die ihm zur Last gelegten rechtswidrigen Taten des sexuellen Mißbrauchs einer Widerstandsunfähigen, an der erforderlichen Einsichtsfähigkeit fehlte [UA 7]. Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich aber nicht, daß der Angeklagte mit seinem Verhalten den äußeren Tatbestand des § 179 StGB überhaupt verwirklicht hat.
a) Zu den Anlaßtaten stellt die Strafkammer lediglich fest, daß der Angeklagte dreimal, und zwar im Sommer 1996 sowie in den Jahren 2000 und 2001, sexuelle Handlungen an der am 5. Juli 1975 geborenen Mandie Z., der Tochter seiner Lebensgefährtin, vornahm und beim letzten Mal auch den Geschlechtsverkehr mit ihr vollzog [UA 5/6]. Das Urteil teilt ferner mit, daß die aufgrund ihrer geistigen Behinderung (Oligophrenie) zu 80 % schwerbehinderte Frau dies über sich ergehen ließ, ohne verbale oder körperliche Gegenwehr zu zeigen. Es enthält jedoch keine eindeutigen Feststellungen dahingehend, daß Mandie Z. aufgrund ihrer Behinderung psychisch widerstandsunfähig (vgl. dazu BGHSt 32, 183, 185 m.w.N.; 36, 145, 147) gegenüber den sexuellen Übergriffen des Angeklagten war. Zwar hat die Sachverständige, die den Angeklagten psychiatrisch begutachtet hat, im Rahmen ihrer Ausführungen zu dessen Schuldfähigkeit gemeint, Mandie Z. habe „aufgrund der bei ihr vorliegenden Oligophrenie überhaupt keinen eigenen Willen hinsichtlich der vom Angeklagten beabsichtigten sexuellen Handlungen bilden” können (UA 7). Dies ist jedoch nicht mit der Feststellung in Einklang zu bringen, Mandie Z. habe „in ihrer Vernehmung bekundet, sie habe sich nicht gegen den Angeklagten gesträubt, obwohl sie nicht mit dessen sexuellen Handlungen einverstanden gewesen sei” (UA 6). Aufgrund der bisherigen Feststellungen ist für das Revisionsgericht nicht nachprüfbar, ob das Landgericht zu Recht von einer psychischen Widerstandsunfähigkeit der Zeugin ausgegangen ist.
b) Vor allem aber ist nicht dargetan, daß das Tatbestandsmerkmal des Ausnutzens gegeben ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Täter erkennt, daß der Zustand des Opfers die Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung ermöglicht oder erleichtert, und dies bewußt einkalkuliert (vgl. Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 179 Rdn. 17). Dem Angeklagten war diese Erkenntnis aufgrund seiner Hirnleistungsschwäche versagt. Es versteht sich vorliegend aber auch nicht von selbst, daß ein geistig Gesunder die Widerstandsunfähigkeit der Frau hätte erkennen können. Die Strafkammer geht zwar, den Ausführungen der zur Schuldfähigkeit des Angeklagten gehörten Sachverständigen folgend, davon aus. Mangels näherer Beschreibung des bei Mandie Z. vorliegenden Krankheitsbildes in dem angefochtenen Urteil vermag der Senat dies jedoch nicht nachzuvollziehen. Auch insoweit bedarf es weiterer Feststellungen.
2. Hinsichtlich der Tat vom Sommer 1996 hat das Landgericht zudem nicht bedacht, daß diese bereits verjährt ist und deshalb als Grundlage einer Maßregelanordnung nicht mehr in Betracht kommt (§ 78 Abs. 1 Satz 1 StGB). Diese Tat war nach dem zur Tatzeit geltenden Recht im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedroht; sie ist mithin im Sommer 2001, also noch vor Anzeigeerstattung [Bd. I Bl. 35 SA: 31. August 2001], verjährt (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Dabei ist ohne Belang, daß der Strafrahmen des § 179 Abs. 1 StGB durch das 6. StrRG vom 26. Januar 1998 im Höchstmaß auf zehn Jahre Freiheitsstrafe angehoben worden ist, da es für die Berechnung der Dauer der Verjährungsfrist bei einer Änderung der Strafandrohung nach § 2 Abs. 3 StGB auf den zur Tatzeit geltenden Strafrahmen ankommt (vgl. BGHR StGB § 78 Abs. 3 Fristablauf 2).
3. Der Maßregelausspruch hätte im übrigen auch deswegen keinen Bestand, weil die nach § 63 StGB vorausgesetzte Gefährlichkeitsprognose zweifelhaft ist. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, daß der Betroffene infolge seines fortdauernden Zustandes künftig erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Davon ist das Landgericht zwar ausgegangen, es hat seine Prognose aber nicht ausreichend belegt. Insbesondere stellt die tragende Erwägung des Gerichts, die intensive Beschäftigung des Angeklagten mit Sexualität, beispielsweise sein Wäschefetischismus, lasse erwarten, daß er sich dann, wenn
wegen der Beendigung seiner bisherigen Sozialbeziehungen keine Opfer im Familienkreis zur Verfügung stünden, an anderen Opfern in ähnlicher Weise vergehen werde, nicht mehr als eine Vermutung dar.
Unterschriften
Tepperwien, Kuckein, Athing, Solin-Stojanović, Sost-Scheible
Fundstellen
Haufe-Index 2565519 |
NJ 2003, 211 |