Verfahrensgang
LG Osnabrück (Urteil vom 26.01.2018) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 26. Januar 2018 aufgehoben, soweit der Vorwegvollzug der Strafe angeordnet worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt sowie den Vorwegvollzug von sechs Monaten der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch sowie zur Maßregelentscheidung keinen, zum Strafausspruch aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen keinen durchgreifenden (§ 354 Abs. 1e StPO) Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Ausspruch über die Anordnung des Vorwegvollzugs hat dagegen keinen Bestand. Das Landgericht hat diese Entscheidung auf § 67 Abs. 2 Satz 1 StGB gestützt und zur Begründung ausgeführt:
Rz. 3
Durch den Vorwegvollzug von sechs Monaten der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe werde der Zweck der Maßregel leichter erreicht. Das entspreche auch der Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen und beruhe darauf, dass die Vollstreckung der noch ausstehenden Halbstrafe nach erfolgreichem Abschluss der Therapie zur Bewährung ausgesetzt werden könne.
Rz. 4
Diese Ausführungen stoßen auf durchgreifende rechtliche Bedenken.
Rz. 5
1. Die ausdrücklich auf § 67 Abs. 2 Satz 1 StGB gestützte Anordnung des Vorwegvollzugs genügt den insoweit bestehenden Begründungsanforderungen nicht. Nach § 67 Abs. 2 Satz 1 StGB bestimmt das Gericht die Vorwegvollziehung der Strafe oder eines Teils der Strafe, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Ob diese Voraussetzung gegeben ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Persönlichkeit des Täters, der Länge der Freiheitsstrafe und der Art der notwendigen Behandlung; die Abweichung von der gesetzlich vorgesehenen Vollstreckungsreihenfolge kann gerechtfertigt sein, wenn die vorgezogene Strafvollstreckung als Vorstufe der Behandlung für deren Zwecke erforderlich ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 1985 – 1 StR 285/85, NStZ 1986, 140 mwN) oder wenn Gründe vorliegen, die zu der Annahme berechtigen, dass der anschließende Strafvollzug den Maßregelvollzug wieder zunichtemachen könnte (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 1994 – 3 StR 407/94, BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug 7).
Rz. 6
Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen vorliegen. Die Ausführungen des Landgerichts erschöpfen sich vielmehr in der Wiedergabe des Gesetzestextes und einem pauschalen Verweis auf die „Einschätzung” des Sachverständigen, die nicht näher dargetan worden ist.
Rz. 7
2. Der Sache nach entspricht der angeordnete Vorwegvollzug von sechs Monaten der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe dem Regelfall des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB, wonach das Gericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bestimmen soll, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Dieser Teil ist gemäß § 67 Abs. 2 Satz 3 StGB so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB, mithin eine Reststrafaussetzung zum Halbstrafenzeitpunkt möglich ist.
Rz. 8
Die Ausführungen des Landgerichts, wonach der Vorwegvollzug von sechs Monaten der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe gewährleistet, dass nach erfolgreichem Abschluss der – voraussichtlich zwei Jahre dauernden – Therapie die Vollstreckung der noch ausstehenden Halbstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, deuten darauf hin, dass die Strafkammer auch diese Regelung im Blick gehabt hat. Insoweit ist indes nicht ersichtlich, dass sie die außergewöhnliche Vollstreckungssituation bedacht hat, die es hier nahe legt, ausnahmsweise abweichend von der Sollvorschrift des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB von der Anordnung des Vorwegvollzugs abzusehen. Das erweist sich als rechtsfehlerhaft.
Rz. 9
Den Urteilsgründen zufolge befindet sich der Angeklagte seit dem 13. Oktober 2017 im Vollzug der bereits durch Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 30. November 2016 angeordneten Maßregel nach § 64 StGB. Diese Unterbringung erledigt sich mit Rechtskraft der nunmehr erneut angeordneten Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 67f StGB), so dass die begonnene Therapie gemäß § 67 Abs. 1 StGB nur fortgesetzt werden kann, wenn sie nicht zum Zwecke des nunmehr angeordneten Vorwegvollzugs unterbrochen wird. Wenn die Anordnung des Vorwegvollzugs – wie hier – aller Voraussicht nach zu einer Herausnahme des Angeklagten aus dem Maßregelvollzug führt, kann indes von der Entscheidung über den Vorwegvollzug abgesehen werden. Denn eine bereits begonnene Behandlung in der Entziehungsanstalt kann aktuell dringende Therapiebedürftigkeit begründen, um die bereits angelaufenen therapeutischen Maßnahmen durch eine Rückverlegung in die Justizvollzugsanstalt nicht wieder zunichtezumachen. Da die gesetzlichen Regelungen über die Vollstreckungsreihenfolge auch der Sicherung des Therapieerfolgs dienen, muss diese vollstreckungsrechtliche Folge bei der Entscheidung über die Anordnung des Vorwegvollzugs bedacht werden (vgl. zu allem BGH, Beschluss vom 9. November 2017 – 1 StR 456/17, NJW 2018, 714 mwN). Daran fehlt es hier.
Rz. 10
Anhaltspunkte dafür, dass das Landgericht die Anordnung des Vorwegvollzugs auch unter Berücksichtigung der drohenden Herausnahme des Angeklagten aus dem Maßregelvollzug angeordnet hätte, lassen sich dem Urteil nicht entnehmen. Es lässt sich deshalb nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht.
Rz. 11
3. Über die Anordnung eines Vorwegvollzugs ist daher erneut zu entscheiden. Dem Senat ist verwehrt, in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst darüber zu befinden, weil die Entscheidung Wertungen und Beurteilungen erfordert, die dem Tatgericht vorbehalten sind (BGH aaO, S. 715). Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es dagegen nicht, weil diese von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind. Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen, insbesondere zum Stand der Therapie.
Unterschriften
Schäfer, Spaniol, Tiemann, Hoch, Leplow
Fundstellen
Haufe-Index 12556951 |
NStZ-RR 2019, 208 |
StV 2019, 271 |