Verfahrensgang
AG Osterode (Urteil vom 08.08.2014; Aktenzeichen 2 AR 341/17) |
Tenor
Zuständig für die Entscheidung über den Widerruf der mit Urteil des Amtsgerichts Osterode am Harz vom 8. August 2014 bewilligten Strafaussetzung zur Bewährung ist das
Landgericht Göttingen – Strafvollstreckungskammer. |
Tatbestand
I.
Rz. 1
Das Amtsgericht Osterode am Harz hat mit Urteil vom 8. April 2014 gegen den Verurteilten wegen versuchten Diebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung eine Freiheitsstrafe von neun Monaten verhängt, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzt hat. Mit Beschluss vom gleichen Tag hat es die Bewährungszeit auf vier Jahre festgesetzt.
Rz. 2
Am 20. September 2016 wurde der Angeklagte wegen neuer Straftaten in Untersuchungshaft genommen, die zunächst in der Justizvollzugsanstalt Braunschweig, später in der Justizvollzugsanstalt Rosdorf vollzogen wurde. Am 29. Dezember 2016 ging beim Amtsgericht Osterode am Harz eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft Göttingen ein, durch die die erste von mehreren neuen Anklageschriften gegen den Verurteilten zum Landgericht Göttingen übermittelt wurde. Am 21. Juni 2017 verurteilte ihn das Landgericht Göttingen wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen schweren Bandendiebstahls, jeweils in mehreren Fällen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten. Ferner ordnete das Landgericht seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Von der Anordnung eines Vorwegvollzugs sah das Landgericht ab. Das Urteil ist seit dem 29. Juni 2017 rechtskräftig.
Rz. 3
Nachdem das Amtsgericht Osterode am Harz am 15. August 2017 eine Urteilsabschrift erhalten hatte, übersandte es am 17. August 2017 die Akten der Staatsanwaltschaft mit der Bitte um Antragstellung hinsichtlich eines Bewährungswiderrufs.
Rz. 4
Am 24. August 2017 wurde der Verurteilte zum Vollzug der Maßregel aus der Justizvollzugsanstalt Rosdorf in die Psychiatrische Klinik Lüneburg verlegt, nachdem er sich zuvor in der Zeit vom 29. Juni 2017 bis zum 23. August 2017 in Organisationshaft in der Justizvollzugsanstalt Rosdorf befunden hatte. Mit Verfügung vom 24. August 2017, beim Landgericht Göttingen eingegangen am 29. August 2017, beantragte die Staatsanwaltschaft Göttingen den Bewährungswiderruf. Nachdem die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen mit Verfügung vom 31. August 2017 ihre Zuständigkeit verneint hatte, wiederholte die Staatsanwaltschaft Göttingen ihren Antrag am 11. September 2017 gegenüber der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg.
Rz. 5
Mit Beschluss vom 13. Oktober 2017 hat sich die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg für örtlich unzuständig erklärt, weil eine Befassung im Sinne des § 462a Abs. 1 StPO bereits dann vorliege, wenn Tatsachen aktenkundig seien, die eine Entscheidung notwendig machten. Dies sei am 15. August 2017 mit Eingang der Nachverurteilung beim Amtsgericht Osterode am Harz der Fall gewesen. Zu diesem Zeitpunkt habe sich der Verurteilte noch in der Justizvollzugsanstalt Rosdorf, also im Zuständigkeitsbereich des Landgerichts Göttingen befunden.
Rz. 6
Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen hält sich ebenfalls für unzuständig, weil sie erst mit Eingang des Widerrufsantrags vom 29. August 2017 und damit nach der Verlegung des Verurteilten nach Lüneburg konkret mit der Sache befasst gewesen sei. Sie hat die Sache mit Verfügung vom 21. November 2017 dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 7
1. Der Bundesgerichtshof ist entsprechend § 14 StPO als gemeinschaftliches oberes Gericht der Landgerichte Lüneburg und Göttingen für die Gerichtsstandsbestimmung zuständig.
Rz. 8
2. Die nachträgliche Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung obliegt gemäß §§ 453, 462a Abs. 1 Satz 1 und 2, § 463 Abs. 1 StPO der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen.
Rz. 9
a) Die sachliche Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer war seit dem 29. Juni 2017 begründet, weil an diesem Tag aufgrund der Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Göttingen vom 21. Juni 2017 die in der Justizvollzugsanstalt Rosdorf vollzogene Untersuchungshaft in Strafhaft überging (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschlüsse vom 2. Dezember 1977 – 2 ARs 366/77, BGHSt 27, 302, 303; vom 28. August 1991 – 2 ARs 366/91, BGHSt 38, 63, 65; vom 16. Mai 2012 – 2 ARs 159/12, NStZ 2012, 652, 653; Meyer-Goßner/Schmitt; StPO, 60. Aufl., § 462a Rn. 6; SK-StPO/Paeffgen, 4. Aufl., § 462a Rn. 3).
Rz. 10
Der sachlichen Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer steht nicht entgegen, dass gegen den Verurteilten ab Rechtskraft der Nachverurteilung bis zu seiner Verlegung in den Maßregelvollzug am 24. August 2017 Organisationshaft vollstreckt wurde (Senat, Beschluss vom 28. Juli 2015 – 2 ARs 141/15, juris Rn. 4; OLG Hamm, Beschluss vom 19. Februar 2009 – 3 Ws 44/09, NStZ 2010, 295, 296; KK-StPO/Appl, 7. Aufl., StPO § 462a Rn. 9; aA Radtke/ Hohmann/Baier § 462a Rn. 6; BeckOK Strafvollzug Bund/Slawik, StPO § 462a Rn. 3). Denn die Organisationshaft ist zunächst schlichte Strafhaft (Pohlmann/ Jabel/Wolf, Strafvollstreckungsordnung, 9. Aufl., 2016 § 462a Rn. 17c). Bei der Organisationshaft, deren Dauer regelmäßig zunächst nicht feststeht, handelt es sich auch nicht um eine kurzfristige vorübergehende Aufnahme, die als solche nicht zuständigkeitsbegründend wirken kann (vgl. Senat, Beschluss vom 8. Dezember 2016 – 2 ARs 5/16, StraFo 2017, 86). Die anerkannten Beispiele einer kurzfristigen vorübergehenden Aufnahme wie etwa die Verschubung, die Wahrnehmung eines Gerichtstermins oder eine ärztliche Untersuchung sind mit der typischerweise mehrere Wochen dauernden und hinsichtlich ihres Endes zunächst nicht fixierten Organisationshaft nicht vergleichbar (OLG Hamm, aaO, S. 296). Zudem ist – für die vergleichbare Frage der örtlichen Zuständigkeit – anerkannt, dass eine geplante spätere Verlegung nach dem Vollstreckungsplan (vgl. Senat, Beschlüsse vom 8. Dezember 2016 – 2 ARs 5/16, aaO; vom 28. August 1991 – 2 ARs 366/91, BGHSt 38, 63, 65) eine bereits begründete Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer nicht beseitigt.
Rz. 11
Die Organisationshaft wurde in der Justizvollzugsanstalt Rosdorf in der Zeit vom 29. Juni 2017 bis zum 23. August 2017 und damit nicht nur vorübergehend vollstreckt.
Rz. 12
b) Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen war auch örtlich zuständig.
Rz. 13
Die örtliche Zuständigkeit einer Strafvollstreckungskammer für den Widerruf einer Bewährung bestimmt sich gemäß § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO danach, in welchem Bezirk die Anstalt liegt, in der sich der Verurteilte zu dem Zeitpunkt befindet oder zuletzt befand, zu dem eine erstmalige Befassung mit der konkreten Angelegenheit gegeben war (Senat, Beschlüsse vom 21. Februar 2017 – 2 ARs 62/17, aaO; vom 21. Juli 2006 – 2 ARs 302/06, NStZ-RR 2007, 94; KK-StPO/Appl, 7. Aufl., § 462a Rn. 16). Eine mit der ersten Befassung begründete örtliche Zuständigkeit wird durch später eingetretene Umstände nicht berührt (Senat, Beschlüsse vom 21. Februar 2017 – 2 ARs 62/17, aaO; vom 14. August 1981 – 2 ARs 174/81, BGHSt 30, 189; Appl aaO Rn. 21).
Rz. 14
(a) Befasst im Sinne von § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO ist ein Gericht mit der Sache schon dann, wenn Tatsachen aktenkundig werden, die den Widerruf der Strafaussetzung rechtfertigen können (st. Rspr.; Senat, Beschlüsse vom 15. Oktober 1975 – 2 ARs 296/75, BGHSt 26, 214, 216; vom 11. Juli 2012 – 2 ARs 164/12, NStZ-RR 2012, 358). Dies war spätestens mit Eintritt der Rechtskraft der Verurteilung des Landgerichts Göttingen am 29. Dezember 2016 der Fall. Denn ab diesem Zeitpunkt waren die den Widerruf begründenden Umstände dem Landgericht Göttingen und damit auch der dortigen Strafvollstreckungskammer bekannt. Unerheblich ist dabei, dass die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen tatsächlich erst durch die Antragstellung der Staatsanwaltschaft am 29. August 2017 und damit nach der Verlegung des Verurteilten in die Psychiatrische Klinik Lüneburg von dem Sachverhalt erfahren hat.
Rz. 15
(b) Darüber hinaus begründet auch die Befassung des für den Bewährungswiderruf ursprünglich zuständigen Amtsgerichts Osterode am Harz noch vor dem 24. August 2017 die örtliche Zuständigkeit der seit dem 29. Juni 2017 sachlich zuständigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen. Insofern bewirkt nämlich die Befassung eines Gerichts, das allgemein für die Entscheidung zuständig sein kann, die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer, in deren Bezirk die Justizvollzugsanstalt liegt (st. Rspr.; Senat, Beschlüsse vom 6. Mai 1987 – 2 ARs 105/87, BGHR StPO § 462a Abs. 1 Befasstsein 3; vom 26. November 2003 – 2 ARs 382/03 bei Becker, NStZ-RR 2005, 65, 69).
Rz. 16
(c) Die Verlegung des Verurteilten in die Psychiatrische Klinik in Lüneburg änderte an der Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen nichts. Ein Zuständigkeitswechsel von einer Strafvollstreckungskammer zu einer anderen tritt nicht ein, solange erstere noch nicht abschließend über eine Frage befunden hat, mit der sie befasst war, bevor der Verurteilte in eine zum Bezirk der anderen Strafvollstreckungskammer gehörenden Justizvollzugsanstalt aufgenommen wurde (st. Rspr.; Senat, Beschluss vom 8. Dezember 2016 – 2 ARs 5/16, StraFo 2017, 86). Eine Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung ist bisher jedoch nicht erfolgt.
Unterschriften
Appl, Eschelbach, Bartel, Grube, Schmidt
Fundstellen
Haufe-Index 11453297 |
NStZ-RR 2018, 190 |
StV 2018, 357 |