Verfahrensgang
LG Hagen (Urteil vom 09.02.2018) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 9. Februar 2018 im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 StPO sowie über die Kosten des Rechtsmittels zu treffen ist.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen des unerlaubten Handeltreibens mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit dem verbotenen Inverkehrbringen von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport, unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe aus dem Berufungsurteil des Landgerichts Hagen vom 26. August 2014 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiervon hat es drei Monate wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung für vollstreckt erklärt. Gegen dieses Urteil richtet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel führt zu einer Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand.
Rz. 3
Soweit der Angeklagte im Fall III. 1. der Urteilsgründe unter anderem wegen des verbotenen Inverkehrbringens von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport nach § 95 Abs. 1 Nr. 2a AMG in der vom 13. August 2013 bis zum 17. Dezember 2015 gültigen Fassung verurteilt worden ist, hat der Senat die für eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG erforderliche Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm nicht gewonnen (vgl. hierzu BVerfGE 68, 352, 359; BVerfGE 80, 54, 58 f.; Müller-Terpitz in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Henneke, GG, 14. Aufl., Art. 100 Rn. 16). Dies gilt auch angesichts der vom 3. Strafsenat im Beschluss vom 7. August 2018 (3 StR 345/17, SpuRt 2019, 28) – in nicht tragenden Entscheidungsgründen – geäußerten Bedenken, ob die in § 95 Abs. 1 Nr. 2a i.V.m. § 6a Abs. 1 und 2 AMG aF enthaltene Verweisung auf die jeweils geltende Fassung des Anhangs des Übereinkommens gegen Doping (Gesetz vom 2. März 1994 zu dem Übereinkommen vom 16. November 1989 gegen Doping, BGBl. 1994 II, S. 334) mit der nach Art. 103 Abs. 2 GG gebotenen gesetzgeberischen Rechtssetzungshoheit in Einklang zu bringen ist.
Rz. 4
Einer Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der in § 95 Abs. 1 Nr. 2a i.V.m. § 6a Abs. 1 und 2 AMG aF geregelten dynamischen Verweisung – eine solche ist auch bei einem Verweis auf einen Rechtsakt außerhalb der nationalen Rechtsordnung in einer Strafnorm nicht grundsätzlich unzulässig (vgl. BVerfGE 143, 38, 55 ff. mwN [Verweis auf einen Rechtsakt der Europäischen Union]; Schmahl in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, aaO, Art. 103 Rn. 64; vgl. auch Dreier/Schulze-Fielitz, GG, 3. Aufl., Art. 103 Rn. 34) – steht insbesondere entgegen, dass in § 95 Abs. 1 Nr. 2a i.V.m. § 6a Abs. 1 und 2 AMG aF nicht ohne gesetzliche Konkretisierung auf das Dopingübereinkommen verwiesen wird. Vielmehr enthalten die genannten Vorschriften bereits eine eigene Umschreibung des verbotenen Stoffes, indem dieser konkret als ein Arzneimittel gekennzeichnet wird, das zu Dopingzwecken im Sport in Verkehr gebracht wird.
Rz. 5
Es kommt hinzu, dass es sich bei dem von dem Angeklagten zu Verkaufszwecken aus China importierten Stoff um Testosteron handelte – eine Substanz, die bereits im ursprünglichen Anhang zum Dopingübereinkommen aufgeführt wurde (vgl. BGBl. 1994 II, S. 351) und daher unzweifelhaft vom Gesetzgeber zum Kernbestand der verbotenen Stoffe gezählt und als solche unter ein strafrechtliches Verbot gestellt werden sollte (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2013 – 2 StR 365/12, BGHSt 59, 11 ff.).
Rz. 6
2. Auch die Einzelstrafaussprüche halten rechtlicher Nachprüfung stand. Soweit in der konkreten Strafzumessung zu den Fällen III. 2. bis 4. der Urteilsgründe – jeweils betreffend das unerlaubte Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 4 AMG aF – die Sicherstellung der von dem Angeklagten aus China bestellten Testosteronpräparate nicht ausdrücklich als strafmildernder Umstand benannt wird (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 7. Februar 2012 – 4 StR 653/11, NStZ-RR 2012, 153), schließt der Senat aus, dass der Strafkammer dieser Gesichtspunkt bei der Bemessung der Einzelstrafen aus dem Blick geraten ist, da die erfolgte Sicherstellung in der rechtlichen Würdigung ausdrücklich zur Ablehnung einer Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 2a AMG aF in den genannten Fällen herangezogen wird.
Rz. 7
3. Dagegen kann der Gesamtstrafenausspruch nicht bestehen bleiben. Die Strafkammer hat eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von neun Monaten aus dem Berufungsurteil des Landgerichts Hagen vom 26. August 2014 – die zugrunde liegende Tat ereignete sich im Jahr 2011 – gemäß § 55 Abs. 1 StGB in die Gesamtstrafenbildung einbezogen. Insoweit sind die Urteilsgründe jedoch lückenhaft und ermöglichen keine revisionsrichterliche Nachprüfung, ob die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 StGB vom Landgericht zu Recht angenommen worden sind.
Rz. 8
a) Es ist bereits unklar, ob die einbezogene Strafe mangels Erledigung überhaupt noch gesamtstrafenfähig ist.
Rz. 9
Die in einem früheren Urteil verhängte Strafe darf nach § 55 Abs. 1 StGB nur einbezogen werden, wenn sie zum Zeitpunkt des letzten tatrichterlichen Sachurteils noch nicht vollstreckt, verjährt oder – im Fall einer Bewährungsstrafe – formell erlassen ist (vgl. BGH, Urteile vom 12. Januar 1993 – 5 StR 606/92, NStZ 1993, 235; vom 28. Oktober 1958 – 5 StR 419/58, BGHSt 12, 94, 95; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 55 Rn. 6; LK-StGB/Rissing-van Saan, 12. Aufl., § 55 Rn. 22 f.). Die Nichterledigung der früheren Strafe muss in dem späteren Urteil als Voraussetzung für die Anwendbarkeit von § 55 Abs. 1 StGB festgestellt werden (BGH, Urteil vom 11. Juli 1995 – 1 StR 242/95, wistra 1995, 306, 307; Rissing-van Saan, aaO). Bezüglich der einbezogenen Bewährungsstrafe werden im angefochtenen Urteil jedoch weder die Dauer der Bewährungszeit noch das Fehlen eines Straferlasses mitgeteilt – mithin ist das Fehlen der Erledigung für den Senat nicht nachprüfbar.
Rz. 10
b) Hinzu kommt, dass offen bleibt, ob die einbezogene Strafe ihrerseits mit einer weiteren – möglicherweise zäsurbildenden – Vorverurteilung gesamtstrafenfähig ist. Auch dies würde einer Einbeziehung in vorliegender Sache entgegenstehen (vgl. zu einer entsprechenden Konstellation BGH, Beschluss vom 16. November 2016 – 2 StR 204/16, StV 2018, 411). Ausweislich der getroffenen Feststellungen wurde gegen den Angeklagten durch Strafbefehl des Amtsgerichts Hagen vom 7. Mai 2013 eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen verhängt. Da in dem angefochtenen Urteil jedoch keine Feststellungen dazu getroffen sind, ob und wann diese Geldstrafe vollstreckt worden ist, ist nicht nachprüfbar, ob diesbezüglich eine Gesamstrafenbildung mit der Strafe aus dem Berufungsurteil des Landgerichts Hagen vom 26. August 2014 – die zugrundeliegende Tat ereignete sich im Jahr 2011 – angezeigt ist.
Rz. 11
4. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO Gebrauch, die Entscheidung über den Gesamtstrafenausspruch dem Nachverfahren gemäß den §§ 460, 462 StPO zuzuweisen. Diesem Beschlussverfahren bleibt auch die abschließende Kostenentscheidung vorbehalten.
Unterschriften
Sost-Scheible, Roggenbuck, Cierniak, Bender, Feilcke
Fundstellen
Haufe-Index 13012260 |
wistra 2019, 248 |
SpuRt 2019, 132 |
NJW-Spezial 2019, 282 |
PharmaR 2019, 393 |
medstra 2020, 96 |