Verfahrensgang
LG Dortmund (Entscheidung vom 12.06.2023; Aktenzeichen 35 KLs 2/23) |
Tenor
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 12. Juni 2023 mit den zugehörigen Feststellungen im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen schweren Wohnungseinbruchdiebstahls, „vorsätzlicher“ Körperverletzung und Nötigung unter Einbeziehung der rechtskräftigen Geldstrafe aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Zudem hat das Landgericht ausgesprochen, dass wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zwei Monate der Strafe als bereits vollstreckt gelten. Die auf die nicht ausgeführte Formalrüge und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen die Angeklagte beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
Rz. 3
2. Der Rechtsfolgenausspruch kann insgesamt nicht bestehen bleiben.
Rz. 4
a) Der Strafausspruch weist einen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf, denn der Gesamtfreiheitsstrafe liegen über die einbezogene Geldstrafe hinaus keine Einzelstrafen zugrunde. Deren Festsetzung für die abgeurteilten Taten hat die Strafkammer unterlassen. Damit beruht die Gesamtstrafe rechtsfehlerhaft nicht auf einem eigenständigen Zumessungsakt des Tatgerichts nach Maßgabe von § 54 Abs. 1 bis 3 StGB (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 6. Juni 2023 - 4 StR 144/23 Rn. 9; Beschluss vom 13. Februar 2018 - 4 StR 585/17 Rn. 4).
Rz. 5
b) Die Kompensationsentscheidung des Landgerichts erweist sich unter den hier gegebenen Umständen ebenfalls als rechtsfehlerhaft. Das Landgericht hat allein den Verfahrensablauf seit der Anklage vom 22. Juni 2020 in den Blick genommen, die jedoch nur die Tat vom 19. Dezember 2019 betrifft. Nicht bedacht hat es hingegen, dass Anklage wegen des weiteren Tatgeschehens vom 8. September 2018 bereits unter dem 19. Februar 2019 erhoben worden war.
Rz. 6
c) Der gesamte Rechtsfolgenausspruch beruht jedenfalls nicht ausschließbar auf den aufgezeigten Rechtsfehlern (§ 337 StPO). Die Festsetzung der Einzelstrafen, der das Verschlechterungsverbot nicht entgegensteht (vgl. BGH, Beschluss vom 18. November 2014 - 4 StR 265/14 Rn. 2; Beschluss vom 14. Januar 1998 - 2 StR 606/97 Rn. 4), hat wie die erneute Bemessung der Gesamtstrafe sowie einer Kompensation durch das neue Tatgericht zu erfolgen. Der Senat hebt auch die dem Rechtsfolgenausspruch zugehörigen Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um widerspruchsfreie neue Feststellungen insbesondere zu den für die Gesamtstrafenbildung relevanten Vorverurteilungen und zum Verfahrensablauf zu ermöglichen.
Rz. 7
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
Rz. 8
Das neue Tatgericht wird bei der Prüfung der nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB u. a. die Tatzeitpunkte und den Vollstreckungsstand der rechtskräftigen Vorverurteilungen der Angeklagten in den Blick zu nehmen haben. Beide Umstände sind - soweit relevant - jeweils auch in den Urteilsgründen mitzuteilen, um dem Revisionsgericht die sachlich-rechtliche Nachprüfung zu ermöglichen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 21. November 2023 - 5 StR 330/23 Rn. 5; Beschluss vom 5. Oktober 2017 - 3 StR 386/17 Rn. 5).
Rz. 9
Für die neue Gesamtstrafenbildung ist der Vollstreckungsstand der rechtskräftigen Strafen zum Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Urteils (12. Juni 2023) maßgebend (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 17. Juni 2021 - 3 StR 83/21 Rn. 4). Auf diesem Hintergrund wird das neue Tatgericht auch zu prüfen haben, ob dem Strafbefehl vom 22. Oktober 2019 - der nach den bisherigen Feststellungen bei noch nicht erfolgter Vollstreckung seit dem 9. November 2019 rechtskräftig ist - eine Zäsurwirkung zukommt (vgl. näher BGH, Beschluss vom 27. September 2022 - 4 StR 321/22 Rn. 3; Beschluss vom 30. Juli 2020 - 4 StR 518/19 Rn. 3 mwN). Dies hängt von der dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmenden Tatzeit in dieser Sache ab. Auch im Fall einer von der Ausgangsentscheidung abweichenden Gesamtstrafenbildung ist zudem das Augenmerk auf das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO zu richten; es hat im Falle einer fehlerhaften nachträglichen Gesamtstrafenbildung zur Folge, dass der Angeklagten ein hierdurch erlangter Vorteil auf ihr Rechtsmittel hin nicht mehr genommen werden darf (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juni 2016 - 4 StR 73/16 Rn. 5 mwN). Wären nunmehr etwa infolge der in dem angefochtenen Urteil festgestellten Vorverurteilungen mehrere Gesamtfreiheitsstrafen zu bilden, dürfte daher deren Summe - unter Beibehaltung einer Strafaussetzung zur Bewährung - die Höhe der im ersten Rechtsgang verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren nicht übersteigen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 6. März 2018 - 3 StR 530/17 Rn. 6; Beschluss vom 16. April 1991 - 5 StR 156/91 Rn. 3).
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Fundstellen
Dokument-Index HI16225139 |