Leitsatz (amtlich)
Die Einwilligung des Mitfahrers in eine Gefährdung seiner körperlichen Unversehrtheit durch den wegen Trunkenheit fahruntüchtigen Kraftfahrer schließt die Rechtswidrigkeit der Straßenverkehrsgefährdung nach § 315 c Abs. 1 StGB nicht aus.
Verfahrensgang
Gründe
Der Angeklagte, damals Soldat, hatte am Abend in der Kaserne mit Kameraden gezecht. Als kein Bier mehr vorhanden war, machte einer von ihnen den Vorschlag, noch eine Rundfahrt zu unternehmen. Der Angeklagte war damit einverstanden und nahm zwei seiner Kameraden in seinem Wagen mit. Infolge seiner Trunkenheit geriet der absolut fahruntüchtige Angeklagte, nachdem er schon vorher durch Fahren in Schlangenlinien und ständigen Wechsel von der Normal- auf die Überholspur aufgefallen war, mit der linken Wagenseite gegen die auf dem Grünstreifen der Autobahn verlaufende Leitplanke und kam dann auf dem rechten Randstreifen zum Stehen. Personen wurden nicht verletzt, nur das Fahrzeug war leicht beschädigt.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung nach § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 StGB zu drei Monaten Gefängnis verurteilt und ihm die Fahrerlaubnis mit einer Sperrfrist von drei Jahren entzogen. Die Strafkammer hat seine Berufung verworfen. Das Oberlandesgericht Hamm beabsichtigt, auf die Revision des Angeklagten das Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung zurückzuverweisen, weil nach seiner Ansicht nicht auszuschließen ist, daß der Angeklagte infolge des Alkoholgenusses zurechnungsunfähig war und infolgedessen die Voraussetzungen für eine Bestrafung nach § 330 a StGB - in Verbindung mit § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 StGB - gegeben sind. Für die neue Entscheidung kommt es - sowohl für eine Bestrafung wegen fahrlässigen Verkehrsvergehens als auch wegen fahrlässiger Volltrunkenheit - darauf an, ob einer möglichen Einwilligung der mitfahrenden Fahrgäste in die Gefährdung ihrer körperlichen Unversehrtheit unrechtsausschließende Wirkung beizumessen ist. Das Oberlandesgericht Hamm möchte diese Frage im Anschluß an seine bisherige Rechtsprechung verneinen, nach welcher § 315 c StGB nicht nur den Schutz individueller, der Verfügung des einzelnen unterliegender Rechtsgüter, sondern auch die Sicherung des Straßenverkehrs und damit den Schutz der Allgemeinheit bezweckt. Hieran sieht es sich jedoch durch das in VRS 35, 433 mitgeteilte Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg gehindert. Dieses Gericht vertritt dort die Auffassung, daß in Anwendung der "Grundsätze über die Rechtfertigung auf Grund des durch Einwilligung geschaffenen erlaubten Risikos" die Rechtswidrigkeit des Vergehens nach § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 StGB kraft Einwilligung des mitfahrenden Insassen gemäß § 226 a StGB entfallen kann, wenn bei diesem nur eine Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit eingetreten war. Das Oberlandesgericht Hamm hat daher die Entscheidung des Bundesgerichtshofs beantragt.
Die Voraussetzungen einer Vorlegung nach § 121 Abs. 2 GVG sind gegeben.
Der Rechtsauffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts (im einzelnen wiedergegeben in VRS 36, 279), die auch von den Oberlandesgerichten Karlsruhe (VRS 34, 123) und Düsseldorf (VRS 36, 109) vertreten wird, ist zuzustimmen (vgl. auch KG VRS 36, 107 zu § 315 c Abs. 1 Nr. 2 d StGB). Der Senat hat schon während der Geltung des früheren § 315 a StGB ausgesprochen, daß diese Vorschrift nicht nur Leib und Leben des einzelnen Verkehrsteilnehmers schütze, sondern vor allem die Sicherung des Straßenverkehrs und "damit der Allgemeinheit" bezwecke (BGHSt 6, 232, 234). Hieran ist auch für § 315 c StGB n.F. festzuhalten.
Die Ersetzung des früheren § 315 a StGB durch diese Vorschrift hat an dem Sicherungszweck nichts geändert. Das Oberlandesgericht Hamburg verkennt die Zielsetzung, die der Gesetzgeber bei der Neufassung des § 315 c StGB durch das 2. Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 26. November 1964 im Auge hatte. Durch dieses Gesetz, das den Kreis der geschützten Personen erweiterte, sollte die Sicherheit auf der Straße allgemein gehoben werden, ein gesetzgeberisches Vorhaben, dessen Verwirklichung man keineswegs dem Willen des einzelnen überlassen konnte und wollte, auch wenn sich der Schutz der Allgemeinheit im konkreten Fall nur auf einen einzelnen, als Repräsentanten und Mitglied der geschützten Allgemeinheit, auswirken mag. Hinter der Ausgestaltung des Tatbestandes des § 315 c StGB als konkretes Gefährdungsdelikt im Sinne einer Gefahr für vielleicht nur einzelne Menschen oder Sachen steht "der Gedanke der abstrakten Gefahr für eine unbestimmte Vielzahl von Menschen oder Sachen als gesetzgeberischer Grund" (Amtl. Begr. um 2. StVSichG). Aus dem Wegfall der "Gemeingefahr" ergibt sich nichts anderes. Hierfür waren Auslegungsschwierigkeiten maßgebend, zu denen dieser Begriff in der Rechtsprechung geführt hatte (vgl. dazu BGHSt 11, 199). Auch daraus, daß nach § 315 c StGB n.F. ein Handeln "im Straßenverkehr" genügt, kann entgegen der Meinung des Oberlandesgerichts Hamburg nicht geschlossen werden, die Vorschrift schütze nicht mehr wie früher die Sicherheit des Straßenverkehrs, sondern nur noch die körperliche Unversehrtheit der im Einzelfall gefährdeten Person. Mit der Ersetzung des im früheren § 315 a StGB enthaltenen Merkmals "Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs" durch dieses Merkmal sollte im Anschluß an die einschlägige Rechtsprechung lediglich klargestellt werden, daß die Vorschrift auch die neben der Straße befindliche Personen und Sachen schützt.
Wie die Bundesanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zu Recht hervorhebt, weist auch der Umstand, daß die Vorschrift des § 315 c StGB trotz des Wegfalls der Merkmale "Herbeiführung einer Gemeingefahr" und "Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs" in dem 27. Abschnitt des Strafgesetzbuches belassen wurde, in dem die gemeingefährlichen Verbrechen und Vergehen zusammengefaßt sind, klar darauf hin, daß sich nach dem Willen des Gesetzgebers an ihrem Wesen als einer dem Schutz der Allgemeinheit, nicht nur eines einzelnen, dienenden Rechtsnorm nicht geändert hat. Deshalb konnte auch die amtliche Begründung zum Gesetz für die an die Stelle des § 315 a StGB bis 4Abs. 1 Nr. 2 a.F. getretene Vorschrift des § 315 c StGB ausdrücklich die Bezeichnung "Gefährdung des Straßenverkehrs" beibehalten, insoweit die künftige Regelung vorwegnehmend; denn auch der Entwurf eines Strafgesetzbuches 1962 stellt denselben Tatbestand (§ 345 E 1962) unter die Überschrift "Gefährdung des Straßenverkehrs".
Daß aber die Tatbestände der Straßenverkehrsgefährdung Handlungen zum Gegenstand haben, die ihrem Wesen nach gegen die Allgemeinheit gerichtet sind und die das Funktionieren des Verkehrs und damit die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer beeinträchtigen (Geerds, Blutalkohol 1965, 124, 133), bedarf keiner weiteren Erörterung. sie sind "durch und durch Tatbestände zum Schutze der Allgemeinheit" (Lackner, Das konkrete Gefährdungsdelikt im Straßenverkehr, 1967). Der erwähnte, in ihnen mitverwirklichte Schutz des einzelnen ist nur eine Nebenwirkung von untergeordneter Bedeutung, so daß es auch möglich ist, die gesetzgeberische Entscheidung über die Einbeziehung des Mitfahrers in den Tatbestand durch die Zulassung der Einwilligung z entschärfen (Lackner aaO. S. 13 zu § 315 c StGB n.F.).
Damit ergibt sich die Wirkungslosigkeit einer Einwilligung des Gefährdeten: er kann über das Rechtsgut der Verkehrssicherheit nicht verfügen. Seine Einwilligung hat grundsätzlich nur dort rechtliche Bedeutung, wo er alleiniger Träger des geschützten Rechtsgutes ist und dieses seiner Disposition unterliegt. Wo zugleich oder sogar vorrangig die Gefährdung öffentlicher Interessen mit Strafe bedroht wird, schließt seine Einwilligung die Rechtswidrigkeit nicht aus (BGHSt 6, 232, 234).
Dieses Ergebnis hat im übrigen auch den Vorzug der Praktikabilität (vgl. hierzu Lackner aaO.). Der Richter würde in kaum lösbare Schwierigkeiten geraten, wenn man ihm jeweils die Unterscheidung zumuten wollte, ob die vom Täter herbeigeführte, in ihrem Ablauf weitgehend vom Zufall bestimmte und daher im Augenblick der Einwilligung noch gar nicht absehbare, Verkehrsgefahr nur eine Leibes- oder Sachgefahr gewesen ist oder aber eine Leibesgefahr, hinsichtlich der eine Einwilligung strafrechtlich ohnehin bedeutungslos wäre (BGHSt 7, 112, 114).
Da der Senat mithin seine in BGHSt 6, 232, 234 vertretene Rechtsansicht auch für die Vorschrift des § 315 c StGB n.F. aufrechterhält, war die Vorlegungsfrage so zu beantworten, wie es in der Beschlußformel geschehen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 2992675 |
BGHSt 23, 261 |
BGHSt, 261 |
JZ 1970, 658 |