Verfahrensgang
OLG Hamburg (Beschluss vom 20.03.2020) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg vom 20. März 2020 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Oberlandesgericht hat den Beschwerdeführer am 1. August 2019 wegen Werbens um Mitglieder oder Unterstützer für eine terroristische Vereinigung im Ausland, öffentlicher Aufforderung zu Straftaten in zwei Fällen und Zuwiderhandlung gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit öffentlichem Verwenden von Kennzeichen eines von einem Betätigungsverbot betroffenen Vereins, in drei weiteren Fällen in Tateinheit mit Verbreiten eines solchen Kennzeichens, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Gewaltdarstellung, zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der Jugendstrafe hat es für die Dauer von längstens sechs Monaten zurückgestellt und diese Frist später bis zum 20. März 2020 verlängert. Mit Beschluss vom 20. März 2020 hat es die Vollstreckbarkeit der verhängten Jugendstrafe angeordnet. Das hiergegen gerichtete Rechtsmittel des Verurteilten ist zulässig, aber unbegründet.
Rz. 2
1. Gegen die – zunächst nach § 61 Abs. 1 JGG vorbehaltene – Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Aussetzung der Jugendstrafe ist gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1, § 104 Abs. 1 Nr. 8, § 109 Abs. 2 Satz 1, § 112 Satz 1 und 2 JGG die sofortige Beschwerde zulässig (vgl. BT-Drucks. 17/9389 S. 15, 17; MüKoStGB/Radtke, 3. Aufl., § 61a JGG Rn. 20). § 102 Satz 2 JGG eröffnet insofern ausdrücklich den Rechtsweg zum Bundesgerichtshof. Hieraus ergibt sich zugleich, dass oberlandesgerichtliche Entscheidungen, ungeachtet der sonstigen Einschränkungen nach § 304 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 StPO, in dieser Konstellation in Jugendsachen anfechtbar sind (s. BT-Drucks. V/4269 S. 8).
Rz. 3
2. Die sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Rz. 4
a) Der Senat teilt die im Einzelnen ausgeführte Ansicht des Oberlandesgerichts, dass das Verhalten des Verurteilten eine positive Legalprognose im Sinne des § 21 Abs. 1 JGG jedenfalls nicht zu tragen vermag. Daher kommt es nicht darauf an, ob im Rahmen der vorbehaltenen Entscheidung zuvor zu prüfen ist, ob sich die im Urteilszeitpunkt konkret festgestellten positiven Ansätze in der Lebensführung des Verurteilten überhaupt bestätigt haben (so HansOLG Hamburg, Beschluss vom 9. September 2014 – 1 Ws 92/14, StraFo 2014, 434; KG, Beschluss vom 18. Dezember 2015 – 4 Ws 123/15, ZJJ 2016, 175, 177; MüKoStGB/Radtke, 3. Aufl., § 61a JGG Rn. 11; dagegen Diemer/Schatz/ Sonnen, JGG, 7. Aufl., § 61a Rn. 13; Eisenberg/Kölbel, JGG, 21. Aufl., § 61a Rn. 12b; s. auch HansOLG Hamburg, Beschluss vom 25. Februar 2013 – 2 Ws 19/13, VRS 124, 355, 358).
Rz. 5
b) Zwar hat das Oberlandesgericht im Rahmen seiner Abwägung die Auswertung des beim Verurteilten sichergestellten Mobiltelefons mit herangezogen, die erst kurz vor der angefochtenen Entscheidung vorgelegen hatte. Eine vorige Anhörung des Beschwerdeführers hierzu ist den dem Senat vorliegenden Akten nicht sicher zu entnehmen. Ein etwaiger Anhörungsmangel ist aber zumindest im Beschwerdeverfahren geheilt worden, da für den Verurteilten Gelegenheit bestanden hat, sich zu den im angefochtenen Beschluss mitgeteilten Inhalten seines Mobiltelefons zu äußern (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juni 2019 – StB 14/19, BGHSt 64, 89 Rn. 11; BVerfG, Beschlüsse vom 9. September 2013 – 2 BvR 533/13, NStZ-RR 2013, 379; vom 28. Oktober 2019 – 2 BvR 1813/18, juris Rn. 21).
Rz. 6
c) In der Sache wird hinsichtlich der Einzelheiten zur fehlenden Erwartung, dass der Beschwerdeführer sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs unter der erzieherischen Einwirkung in der Bewährungszeit künftig einen rechtschaffenen Lebenswandel führen werde, auf die insgesamt zutreffend vom Oberlandesgericht dargelegten, fortgeltenden Gründe Bezug genommen. Darin ist überzeugend aufgezeigt, dass einerseits der Verurteilte die ihm für die Vorbewährungszeit aufgegebenen Weisungen weitgehend eingehalten hat, andererseits jedoch etwa die auf seinem Mobiltelefon nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft gespeicherten vielfältigen Dateien mit Bezug zum IS sowie diverse zusätzliche Gesichtspunkte einer positiven Prognose entgegenstehen. Damit ist die Erfüllung von Weisungen zutreffend als ein im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigendes, allerdings nicht allein entscheidendes Argument herangezogen worden (vgl. KG, Beschluss vom 18. Dezember 2015 – 4 Ws 123/15, ZJJ 2016, 175, 177; MüKoStGB/Radtke, 3. Aufl., § 61a JGG Rn. 9). Von Gewicht ist, dass der Verurteilte letztlich seine in den Urteilsgründen wiedergegebene Bekundung, „den digitalen Jihad nicht weiter betreiben zu wollen”, nicht erkennbar umgesetzt hat.
Rz. 7
Mit Blick auf das weitere Beschwerdevorbringen bemerkt der Senat, dass das Oberlandesgericht bei der Würdigung der Täterpersönlichkeit die Ausstattung des vom Verurteilten bewohnten Zimmers mit hat heranziehen können. Einer Befragung der Fach- und Beratungsstelle für religiös begründete Radikalisierung „Legato” zu zuletzt ausgewertetem Material hat es nicht bedurft, da eine gerichtliche Prognose zu treffen und ein hierfür maßgeblicher Erkenntnisgewinn durch die Einschätzung der Fachstelle nicht ersichtlich ist.
Rz. 8
3. Unter den gegebenen Umständen ist es nicht unbillig, dass der Verurteilte die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen hat (§§ 74, 104 Abs. 1 Nr. 13, § 109 Abs. 2 Satz 1, § 112 Satz 1 und 2 JGG).
Unterschriften
Schäfer, Spaniol, Anstötz
Fundstellen
Haufe-Index 13888900 |
NStZ-RR 2020, 261 |
StV 2020, 697 |
RPsych 2020, 465 |