Verfahrensgang
LG Lüneburg (Urteil vom 06.12.2017) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 6. Dezember 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit er in den Fällen II. 3. und II. 4. der Urteilsgründe verurteilt worden ist, sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen, Verbreitung kinderpornographischer Schriften, Besitzes kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Schriften, Betruges in acht Fällen sowie Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Gegen die Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Soweit der Angeklagte in den Fällen II. 1. II. 2. der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen sowie in den Fällen II. 5. bis II. 13. der Urteilsgründe wegen Betruges in acht Fällen und Urkundenfälschung verurteilt worden ist, hat die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben. Näher einzugehen ist lediglich auf den Schuldspruch im Fall II. 2.:
Rz. 3
a) Zu diesem Fall hat das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte im Juli oder August 2015 dem neunjährigen Sohn einer mit ihm befreundeten Frau auf einem Laptop einen „Pornofilm” zeigte, in dem sexuelle Handlungen zwischen einer erwachsenen Frau und einem erwachsenen Mann zu sehen waren. Der Angeklagte wollte sich sexuell erregen und das Interesse des Kindes in sexueller Richtung anregen.
Rz. 4
b) Die Feststellungen tragen die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in der Form des Einwirkens durch Vorzeigen pornographischer Darstellungen (§ 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB).
Rz. 5
Pornographisch sind Darstellungen, die sexualbezogenes Geschehen vergröbernd und ohne Sinnzusammenhang mit anderen Lebensäußerungen zeigen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2010 – 3 StR 177/10, NStZ 2011, 455; Urteil vom 22. Oktober 2014 – 2 StR 509/13, NStZ-RR 2015, 74). Das lässt sich den Urteilsgründen noch hinreichend sicher entnehmen. Zwar belegt die pauschale Bezeichnung des Videos als „Pornofilm” dieses Tatbestandsmerkmal für sich gesehen nicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. August 2009 – 3 StR 174/09, juris Rn. 30; vom 22. Juni 2010 – 3 StR 177/10, aaO; Urteil vom 22. Oktober 2014 – 2 StR 509/13, aaO). Das Video wird aber zusätzlich dadurch charakterisiert, dass sein wesentlicher Inhalt eine Mehrzahl sexueller Handlungen zwischen zwei Erwachsenen war (s. auch UA S. 23) und es im Kern der sexuellen Erregung des Angeklagten sowie Anregung des Kindes diente.
Rz. 6
Die Tathandlung des Einwirkens im Sinne von § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB setzt eine psychische Einflussnahme tiefergehender Art voraus (vgl. BGH, Urteile vom 15. Juni 1976 – 4 StR 174/76, NJW 1976, 1984; vom 20. Juni 1979 – 3 StR 143/79, BGHSt 29, 29, 30 f.; Beschluss vom 22. Juni 2010 – 3 StR 177/10, aaO; Urteil vom 22. Oktober 2014 – 2 StR 509/13, aaO; Beschluss vom 22. Januar 2015 – 3 StR 490/14, BGHR StGB § 176 Abs. 4 Nr. 4 Einwirken 1 Rn. 6). Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist ein solches Einwirken ebenfalls belegt. Das Video war vom Angeklagten dazu bestimmt, auf die Psyche des Neunjährigen Einfluss zu nehmen, indem bei diesem ein – nicht altersgerechtes – sexualbezogenes Interesse geweckt wird. Das Vorspielen des Films fand in einem zeitlichen Kontext zu einem körperlichen sexuellen Übergriff des Angeklagten auf das Kind statt (Fall II. 1.). Die „Vorfälle” im Zusammenhang mit den Missbrauchstaten „beschäftigten” dieses anschließend „gedanklich sehr”, was zu erheblichen psychischen wie physischen Beschwerden führte (s. UA S. 10).
Rz. 7
2. Die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II. 3. und II. 4. der Urteilsgründe wegen Verbreitung kinderpornographischer Schriften (§ 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB in der bis zum 26. Januar 2015 gültigen Fassung) sowie wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Schriften (§ 184b Abs. 3 Alternative 2, § 184c Abs. 3 Alternative 2, § 52 StGB nF) hält dagegen rechtlicher Überprüfung nicht stand, was auch die Aufhebung der Gesamtstrafe bedingt.
Rz. 8
a) Zu diesen Fällen hat das Landgericht festgestellt:
Rz. 9
Zwischen dem 25. und dem 31. August 2013 stellte der Angeklagte anderen Internetnutzern über das Filesharing-Programm „eMule” 614 Video- und Bilddateien mit kinderpornographischem Inhalt, die auf seinen zwei Laptops gespeichert waren, zum Herunterladen zur Verfügung (Fall II. 3.). Am 28. September 2015 waren, wie der Angeklagte wusste, auf diesen beiden in seiner Wohnung befindlichen Laptops – neben den vorbenannten 614 Dateien weitere – 314 Video- und Bilddateien mit kinder- und jugendpornographischem Inhalt gespeichert (Fall II. 4.).
Rz. 10
b) Die Verurteilung im Fall II. 3. begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil das Landgericht keine näheren Feststellungen zum Inhalt der 614 Dateien kinderpornographischen Inhalts getroffen hat, die der Angeklagte zwischen dem 25. und dem 31. August 2013 einer unbestimmten Vielzahl anderer Internetnutzer zur Verfügung stellte.
Rz. 11
In den Urteilsgründen ist lediglich verallgemeinernd mitgeteilt, diese Dateien hätten Aufnahmen zum Gegenstand, auf denen jeweils dargestellt seien: „der sexuelle Missbrauch von Kindern”, „in grob anreißerischer Weise eine sexuelle Handlung von, an oder vor Kindern”, „zumindest teilweise unbekleidete Kinder in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung” oder „in sexuell aufreizender Weise das unbekleidete Geschlechtsteil von Kindern” (UA S. 11, 27 f.). Von vier Dateien werden beispielhaft Dateinamen in englischsprachigen Kürzeln wiedergegeben (vgl. UA S. 12). Im Rahmen der Beweiswürdigung wird ergänzend dargelegt, alle über das Filesharing-Programm freigegebenen Dateien seien auf der Grundlage einer sogenannten „Hashwert-Analyse” mit der „Jugendpornographie-Datenbank” des Landeskriminalamts Hannover abgeglichen worden; die abgeurteilten 614 Dateien seien dort registriert (s. UA S. 27).
Rz. 12
Dies begründet einen Darstellungsmangel; denn mangels näherer Feststellungen zum Inhalt der Dateien – oder Bezugnahmen auf bei den Akten befindliche Abbildungen (§ 267 Abs. 1 Satz 3 StPO) – ist dem Senat die Prüfung verwehrt, ob der Angeklagte den Tatbestand des § 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juli 2007 – 2 StR 279/07, bei Pfister, NStZ-RR 2007, 366; Urteil vom 28. Juni 2016 – 1 StR 5/16, NStZ 2017, 644, 646). Handelt es sich – wie hier – um eine große Menge von Video- und Bildaufnahmen, ist zwar nicht erforderlich, in den Urteilsgründen jede einzelne zu beschreiben. Zumindest für eine exemplarische Auswahl der Aufnahmen sind aber konkrete Feststellungen zu den abgebildeten sexuellen Handlungen von, an oder vor Kindern geboten (s. auch MüKoStGB/Hörnle, 3. Aufl., § 184b Rn. 15 aE). Diesen rechtlichen Anforderungen genügen die Urteilsgründe im Fall II. 3. – anders als im Fall II. 4. – nicht.
Rz. 13
c) Die Verurteilung im Fall II. 4. hat ebenso wenig Bestand; auch sie wird von dem oben zu Fall II. 3. aufgezeigten Rechtsfehler erfasst. Denn der Angeklagte hat in diesen beiden Fällen sämtliche Straftatbestände tateinheitlich (§ 52 StGB) verwirklicht.
Rz. 14
aa) Die Konkurrenzen sind in den Fällen II. 3. und II. 4. wie folgt zu beurteilen:
Rz. 15
(1) Aus den Feststellungen ergibt sich, dass die 614 kinderpornographischen Dateien, die der Angeklagte vom 25. bis zum 31. August 2013 in der „Internet-Tauschbörse” zum Herunterladen freigegeben hatte (Fall II. 3.), nachfolgend noch durchgängig auf seinen Laptops gespeichert waren. Der Tatbestand der Verbreitung kinderpornographischer Schriften (§ 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB in der bis zum 26. Januar 2015 gültigen Fassung) und derjenige des – sukzessiven – Besitzes kinderpornographischer Schriften (§ 184b Abs. 4 Satz 2 StGB in der bis zum 26. Januar 2015 gültigen Fassung bzw. § 184b Abs. 3 Alternative 2 StGB nF) stehen insoweit im Verhältnis der Tateinheit zueinander. Grundsätzlich verdrängt zwar die Tathandlungsvariante des Verbreitens in Form des öffentlichen Zugänglichmachens diejenige des Besitzes als subsidiären Auffangtatbestand (vgl. LK/Laufhütte/Roggenbuck, StGB, 12. Aufl., § 184b Rn. 22; MüKoStGB/Hörnle, 3. Aufl., § 184b Rn. 55). Dies betrifft jedoch ausschließlich den Zeitraum des Zugänglichmachens, dagegen nicht die Zeit danach. Hier überdauerte die Speicherung der 614 Dateien das über das Filesharing-Programm vorgenommene Bereitstellen an Dritte. Für die Tathandlungsvariante des Sich-Verschaffens gilt zwar, dass sie auch den nachfolgenden Besitz als subsidiäres Delikt verdrängt (s. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2008 – 3 StR 215/08, NStZ 2009, 208; vom 3. September 2015 – 1 StR 255/15, NStZ-RR 2016, 198). Auf die Tathandlungsvariante des Verbreitens in der Form des öffentlichen Zugänglichmachens lässt sich diese konkurrenzrechtliche Bewertung aber nicht übertragen; denn das Zugänglichmachen dient nicht der Besitzbegründung. Andererseits ist der der Verbreitung nachfolgende Besitz nicht als eigenständige materiell-rechtliche Tat zu beurteilen; denn für die Fortsetzung der Speicherung bedurfte es keines neuen Tatentschlusses, aufgrund dessen eine tatmehrheitliche Tatbegehung anzunehmen wäre.
Rz. 16
Nach den Feststellungen befanden sich die 614 kinderpornographischen Dateien immer noch auf den Laptops des Angeklagten, als diese bei der Durchsuchung seiner Wohnung am 28. September 2015 mit weiteren 314 gespeicherten Dateien kinder- und jugendpornographischen Inhalts sichergestellt wurden (Fall II. 4.). Der zeitgleiche Besitz jedenfalls an dem benannten Tag verknüpft die beiden Fälle II. 3. und II. 4. zu einer einheitlichen Tat (für das Betäubungsmittelrecht s. nur Weber, BtMG, 5. Aufl., § 29 Rn. 1388 mwN).
Rz. 17
(2) Der rechtskräftige Strafbefehl des Amtsgerichts Fulda vom 16. Januar 2014 bewirkte keine Tatmehrheit begründende Zäsur.
Rz. 18
Nach den Feststellungen hatte das Amtsgericht Fulda den Angeklagten „wegen der Verbreitung, des Erwerbs und des Besitzes kinderpornographischer Schriften” in zwei Fällen zu einer (Gesamt-)Freiheitsstrafe von einem Jahr unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Er hatte im März 2012 und am 2. August 2012 auf zwei weiteren Datenträgern Dateien kinderpornographischen Inhalts gespeichert, die er über Filesharing-Programme aus dem Internet heruntergeladen und wiederum für andere Internetnutzer freigegeben hatte.
Rz. 19
Eine Zäsurwirkung ist deshalb in Betracht zu ziehen, weil die Verurteilung wegen eines Dauerdelikts zur Folge hat, dass das Aufrechterhalten des Zustands nach dem strafrechtlichen Erkenntnis als neue eigenständige materiell-rechtliche (wie prozessuale) Tat zu werten ist (vgl. LK/Rissing-van Saan, StGB, 12. Aufl., Vor § 52 Rn. 56; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 29. Aufl., Vorbem. §§ 52 ff. Rn. 87). Ein einheitliches Dauerdelikt, bestehend aus (wenigstens) der letzten der mit Strafbefehl des Amtsgerichts Fulda abgeurteilten Taten sowie den Fällen II. 3. und II. 4., liegt hier indes nicht vor, auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines etwaigen zeitgleichen Besitzes der kinderpornographischen Schriften:
Rz. 20
Zwar teilt das angefochtene Urteil nicht mit, inwieweit die 614 Dateien kinderpornographischen Inhalts, die der Angeklagte zwischen dem 25. und dem 31. August 2013 über die „Internet-Tauschbörse” zur Verfügung stellte und über die er am 28. September 2015 noch verfügte, schon am 2. August 2012 auf seinen beiden Laptops gespeichert waren. Wäre dies der Fall gewesen, so hätte er zur selben Zeit zumindest einen Teil der verfahrensgegenständlichen und die im Strafbefehl des Amtsgerichts Fulda benannten Dateien besessen. Bei gleichzeitigem Besitz wäre insoweit ohne Bedeutung, dass sich der Strafbefehl auf andere Datenträger bezieht.
Rz. 21
Ein einheitliches Dauerdelikt scheidet aber deshalb aus, weil ein durchgehender Besitz nicht in der Lage ist, mehrere selbständige Verbreitungstaten zu verklammern; denn der Tatbestand des Besitzes bleibt in seinem strafrechtlichen Unwert, wie er in der Strafandrohung zum Ausdruck kommt, hinter demjenigen der Verbreitung zurück (zur Klammerwirkung s. BGH, Beschlüsse vom 26. März 1982 – 2 StR 700/81, BGHSt 31, 29, 31; vom 10. November 2010 – 5 StR 464/10, juris Rn. 3; vom 11. Januar 2012 – 1 StR 386/11, wistra 2012, 310, 311; vom 4. April 2012 – 2 StR 70/12, NStZ 2013, 158; vom 10. August 2017 – AK 35 u. 36/17, juris Rn. 36; s. ferner – zu Verschaffungsdelikten nach § 184b Abs. 4 Satz 1 StGB aF – BGH, Beschluss vom 10. Juli 2008 – 3 StR 215/08, NStZ 2009, 208). So übersteigt der in den Jahren 2012 und 2013 geltende Strafrahmen des § 184b Abs. 1 StGB aF im Höchstmaß denjenigen des § 184b Abs. 4 StGB aF (fünf statt drei Jahre Freiheitsstrafe). Ab dem Beginn des Zur-Verfügung-Stellens der 614 Dateien über das Filesharing-Programm „eMule” am 25. August 2013 beging der Angeklagte somit eine weitere eigenständige Tat, die vom Strafbefehl nicht umfasst ist.
Rz. 22
bb) Durch den Strafbefehl des Amtsgerichts Fulda vom 16. Januar 2014 ist hiernach ebenso wenig Strafklageverbrauch eingetreten. Im Verhältnis zu den beiden dort abgeurteilten Taten sind die Handlungen des Angeklagten in den Fällen II. 3. und II. 4 aus den dargelegten Gründen nicht nur materiell-rechtlich, sondern auch prozessual selbständig.
Unterschriften
Becker, Gericke, Spaniol, Berg, Leplow
Fundstellen
Haufe-Index 11957218 |
NStZ-RR 2018, 313 |
NStZ-RR 2018, 362 |
NStZ-RR 2019, 4 |
NStZ-RR 2019, 5 |
NJW-Spezial 2018, 601 |
JMSR 2019, 68 |