Verfahrensgang
LG Duisburg (Urteil vom 12.10.2017) |
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 5. großen Strafkammer des Landgerichts Duisburg vom 12. Oktober 2017 wirksam zurückgenommen worden ist.
2. Die mit Schreiben vom 6. November 2017 erneut eingelegte Revision des Angeklagten gegen das oben genannte Urteil wird als unzulässig verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und in dem anderen Fall in Tateinheit mit Beleidigung und mit Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und Einziehungsentscheidungen getroffen. Gegen dieses Urteil hat der Verteidiger des Angeklagten mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2017 fristgerecht Revision eingelegt. Mit seinem Telefaxschreiben vom 4. November 2017, einem Samstag, hat der Angeklagte erklärt: „hiermit ziehe ich die Revision im o.g. Verfahren zurück.” Mit einem Schriftsatz vom 6. November 2017, dem darauffolgenden Montag, der um 10:16 Uhr bei Gericht einging, hat der Verteidiger des Angeklagten die Revisionsrücknahme widerrufen und mitgeteilt, dass der Angeklagte das Rechtsmittel aufrecht erhalten wolle.
Rz. 2
Der Angeklagte hat die Revision wirksam zurückgenommen und ist deshalb des Rechtsmittels verlustig; seine erneut eingelegte Revision ist unzulässig. Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Antragsschrift ausgeführt:
„Der Angeklagte hat die Revision wirksam zurückgenommen (§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO).
- Ohne Bedeutung ist, dass das Rechtsmittel vom Verteidiger eingelegt wurde, die Rücknahme indes der Angeklagte selbst erklärt hat (vgl. § 297 StPO; BGH NStZ-RR 2016, 180, 181). Die Rücknahmeerklärung wahrt auch die hierfür erforderliche Form (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 302, Rn. 7 m.w.N.). Sie ist inhaltlich eindeutig und zweifelsfrei auf eine Beendigung des Revisionsverfahrens und damit den Eintritt der Rechtskraft des Urteils des Landgerichts gerichtet.
Es bestehen keine Zweifel, dass der Angeklagte bei der Abgabe seiner Rücknahmeerklärung prozessual handlungsfähig war.
aa) Ein Angeklagter muss bei Abgabe einer Rechtsmittelrücknahmeerklärung in der Lage sein, seine Interessen vernünftig wahrzunehmen und bei hinreichender Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung die Bedeutung seiner Erklärung zu erkennen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Einl. Rn. 97, § 302 Rn. 8a). Dies wird, wie etwa § 415 Abs. 1 und 3 StPO für das Sicherungsverfahren gegen einen Schuldunfähigen belegt, allein durch eine Geschäfts- oder Schuldunfähigkeit des Beschuldigten nicht notwendig ausgeschlossen (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 302 Rn. 8a m.w.N.). Vielmehr ist von einer Unwirksamkeit seiner Rücknahmeerklärung erst auszugehen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Rechtsmittelführer nicht in der Lage war, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Erklärung zu erfassen. Verbleiben Zweifel an seiner prozessualen Handlungsfähigkeit, geht dies zu seinen Lasten (BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2007 – 3 StR 368/07, BeckRS 2007, 18798 Rn. 6 m.w.N.).
bb) An diesen Maßstäben gemessen ist von einer prozessualen Handlungsfähigkeit des Angeklagten im Zeitpunkt der Abgabe der Rücknahmeerklärung auszugehen. Zwar hat das sachverständig beratene Landgericht bei dem Angeklagten eine das Tatgeschehen überdauernde paranoide Schizophrenie festgestellt und angenommen, dass aufgrund dieser Störung die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung beider ihm vorgeworfenen Taten erheblich vermindert war (UA S. 50 f.). Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte im Zeitpunkt seiner Rücknahmeerklärung nicht in der Lage war, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Erklärung zu erfassen, sind hingegen nicht ersichtlich. Weder die Urteilsgründe noch das Hauptverhandlungsprotokoll ergeben einen Hinweis darauf, dass der Angeklagte verhandlungsunfähig war und Inhalt und Reichweite seiner von ihm selbst handschriftlich gefertigten Rücknahmeerklärung verkannt haben könnte. Er hat aktiv an der Verhandlung mitgewirkt und sich zum Tatvorwurf eingelassen (UA S. 24 ff.). Hatte das Tatgericht – wie hier – keine Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten, so kann diese grundsätzlich auch vom Revisionsgericht bejaht werden (BGH NStZ 2002, 101 f. [richtig: BGH bei Becker, NStZ-RR 2002, 97, 101 f.]). Darüber hinaus legt das Schreiben des Angeklagten vom 4. November 2017 nahe, dass er die Bedeutung der Rechtsmittelrücknahme beim Abfassen dieses Schreibens kannte. Das Schreiben ist sprachlich korrekt sowie inhaltlich eindeutig abgefasst und gibt die Daten des Urteils samt Aktenzeichen zutreffend wieder. Schließlich stellen weder der Angeklagte noch sein Verteidiger seine prozessuale Handlungsfähigkeit […] in Frage.
- An die wirksame Rücknahme der Revision ist der Angeklagte gebunden; sie ist unwiderruflich und unanfechtbar (st. Rspr., vgl. nur BGH NStZ-RR 2016, 180, 181 m.w.N.). Ein von der Rechtsprechung anerkannter Ausnahmefall (vgl. BGHSt 45, 51, 53) liegt nicht vor.
- Da der Verteidiger des Angeklagten durch das Schreiben vom 6. November 2017 und die Übersendung einer Revisionsbegründungsschrift die Wirksamkeit der Revisionsrücknahme in Zweifel gezogen hat, ist die eingetretene Rechtsfolge durch deklaratorischen Beschluss festzustellen (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 302, Rn. 11a m.w.N.).
- Soweit das Schreiben des Verteidigers des Angeklagten vom 6. November 2017 als erneute Revisionseinlegung auszulegen ist, ist diese unzulässig und gemäß § 349 Abs. 1 StPO zu verwerfen. Die wirksame Rücknahmeerklärung führt zum Verlust des Rechtsmittels (BGH NStZ-RR 2010, 55 f.).”
Rz. 3
Dem stimmt der Senat zu und bemerkt ergänzend, dass – anders als der Verteidiger des Angeklagten in seiner Gegenerklärung meint – die Revisionsrücknahme nicht gleichzeitig im Sinne von § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB widerrufen wurde. Es ist zwar zutreffend, dass eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung per Telefax nach § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB erst zugeht, wenn mit ihrer Kenntnisnahme gerechnet werden kann. Das ist bei einer Übermittlung außerhalb der Geschäftszeiten mit Beginn der nächsten Geschäftszeit der Fall (vgl. zum Ganzen Palandt/Ellenberger, BGB, 77. Aufl., § 130 Rn. 7 mwN). Nach Zugang des Telefaxschreibens am Samstag, den 4. November 2017, begann die nächste Geschäftszeit am Montag, den 6. November 2017, aber spätestens um 9 Uhr morgens. Der Schriftsatz vom 6. November 2017 um 10:16 Uhr war damit verspätet und konnte das Wirksamwerden der Revisionsrücknahme nicht mehr hindern.
Unterschriften
VRiBGH Becker ist wegen Urlaubs gehindert zu unterschreiben. Gericke, Gericke, Berg, Hoch, Leplow
Fundstellen
Haufe-Index 11844723 |
NStZ-RR 2018, 290 |
StV 2018, 798 |
R&P 2019, 61 |