Entscheidungsstichwort (Thema)
Syndikusanwalt als Notaramtsbewerber. Auswahlverfahren. Sonderpunkte für besonders qualifizierte, notarspezifische Tätigkeiten
Leitsatz (amtlich)
Zur Möglichkeit der Vergabe von Sonderpunkten wegen den Bewerber für das Notaramt besonders qualifizierender Tätigkeiten im Rahmen einer - als "Rechtsanwaltstätigkeit" eigentlich nicht anrechenbaren - Beschäftigung als sog. Syndikusanwalt.
Normenkette
BNotO § 6 Abs. 3 S. 1 u. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Senats für Notarsachen des KG in Berlin v. 11.12.2002 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und die dem Antragsteller im Beschwerderechtszug entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 50.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der 1962 geborene Antragsteller wurde im September 1990 zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsanwalt bei dem AG und LG F. zugelassen. In der Zeit v. 3.8.1992 bis zum 31.12.1995 war er als weiterhin zugelassener Rechtsanwalt im Rahmen des "Anwaltsprojekts II" des Bundesministeriums für Justiz - Einsatz von Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen zur beschleunigten Abwicklung offener Vermögensfragen bei Landkreisen und kreisfreien Städten in den neuen Ländern - auf der Grundlage von Honorarverträgen beim Landkreis E. -E. (vormals: Landkreis F.) in B. tätig. Seit Mai 1996 ist er als Rechtsanwalt beim LG Berlin und beim KG zugelassen.
Der Antragsteller bewarb sich um eine der im Amtsblatt für Berlin v. 31.3.2000 - mit am 2.5.2000 ablaufender Bewerbungsfrist - ausgeschriebenen 60 Notarstellen. Mit Bescheid v. 25.10.2001 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass beabsichtigt sei, die zu besetzenden Notarstellen anderen Bewerbern zu übertragen. Seine fachliche Eignung sei mit 99,65 Punkten zu bewerten, wobei die Tätigkeit beim Landkreis E. -E. nicht als hauptberufliche Anwaltstätigkeit angerechnet worden sei. Die in der Besetzungsliste auf den Plätzen 1 bis 60 geführten Bewerberinnen und Bewerber hätten Punktzahlen von 123,45 (Rang 1) bis 100,35 (Rang 60) erreicht.
Mit seinem hiergegen gerichteten, mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Antragsteller geltend gemacht, bei gebotener verfassungskonformer Auslegung des § 6 Abs. 3 S. 3 BNotO müsse auch die vorliegende Tätigkeit als Syndikusanwalt für den Landkreis in B. als hauptberufliche Rechtsanwaltstätigkeit angerechnet werden.
Das KG (Notarsenat) hat den Hauptantrag des Antragstellers, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm eine Notarstelle zu übertragen, zurückgewiesen, jedoch auf den Hilfsantrag des Antragstellers die Antragsgegnerin verpflichtet, den Antrag auf Bestellung zum Notar unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden, und der Antragsgegnerin zugleich im Wege einstweiliger Anordnung aufgegeben, eine der ausgeschriebenen Notarstellen bis zur Neubescheidung des Antrags freizuhalten. Das KG hat den Standpunkt vertreten, zwar sei die Anstellung des Antragstellers beim Landkreis E. -E. nicht einer hauptberuflichen Anwaltstätigkeit gleichzustellen, im Hinblick auf die Art seiner Tätigkeit müsse aber geprüft werden, ob die Vergabe von Sonderpunkten (Ziff. III 12 f. AVNot) gerechtfertigt sei. Mit der sofortigen Beschwerde bekämpft die Antragsgegnerin die Entscheidung des KG, soweit dieses den Anträgen des Antragstellers entsprochen hat.
II.
Die gem. § 111 Abs. 4 BNotO i. V. m. § 42 Abs. 4 BRAO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Kammergericht hat zutreffend das vom Antragsteller mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung verfolgte Hilfsbegehren - auf Neubescheidung der Notarbewerbung des Antragstellers - für begründet erachtet; der Bescheid der Antragsgegnerin v. 25.10.2001 ist insoweit zu beanstanden, als darin die Zuerkennung von Sonderpunkten für den Antragsteller nicht geprüft worden ist.
1. a) Allerdings ist, wie das KG dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung zutreffend entgegengehalten hat, der Ausgangspunkt der Antragsgegnerin in dem Bescheid v. 25.10.2001 rechtsfehlerfrei, dass dem Antragsteller die Zeit seiner Beschäftigung beim Landkreis E. -E. im Rahmen des Projekts zur beschleunigten Abwicklung offener Vermögensfragen nicht als hauptberufliche Tätigkeit "als Rechtsanwalt" i. S. v. § 6 Abs. 3 S. 3 BNotO bzw. der Ziff. III. 12. b) der Berliner Allgemeinen Verfügung über Angelegenheiten der Notare (AVNot) v. 22.4.1996 angerechnet werden kann.
aa) Als beim Landkreis gegen Entgelt fest angestellter Rechtsanwalt war der Antragsteller in dem maßgeblichen Zeitraum August 1992 bis Dezember 1995 ein Syndikusanwalt (vgl. § 46 BRAO). Unter einem solchen versteht man einen zugelassenen Rechtsanwalt, der gleichzeitig auf Grund Dienstvertrags gegen feste Vergütung bei einem Unternehmen oder Verband als ständiger Rechtsberater tätig ist (vgl. BGH v. 25.2.1999 - IX ZR 384/97, BGHZ 141, 69 [71] = MDR 1999, 640; BT-Drucks. III/120, 77). Der Syndikusanwalt hat zwei Arbeitsbereiche: Einen als Arbeitnehmer, der keine Unabhängigkeit besitzt, sondern dem Prinzip der Über- und Unterordnung unterliegt (BGHZ 33, 276 [279]; BGH v. 25.2.1999 - IX ZR 384/97, BGHZ 141, 69 [71] = MDR 1999, 640), und einen als freier, unabhängiger Anwalt.
Im vorliegenden Zusammenhang ist entscheidend, dass der Syndikusanwalt bei seiner Tätigkeit als Syndikus für seinen Dienstherrn - gleich ob es sich bei diesem um einen privaten oder um einen öffentlich-rechtlich korporierten Arbeitgeber handelt - nicht dem anwaltlichen Berufsbild entspricht, wie es in der Vorstellung der Allgemeinheit besteht, nämlich dem des unabhängigen freiberuflich tätigen Rechtsanwalts (BGHZ 33, 276 [280]; BGH v. 25.2.1999 - IX ZR 384/97, BGHZ 141, 69 [76 f.] = MDR 1999, 640; Beschl. v. 13.3.2000 - AnwZ (B) 25/99, MDR 2000, 671 = NJW 2000, 1645; Beschl. v. 18.6.2001 - AnwZ (B) 41/00, MDR 2001, 1195 = NJW 2001, 3130; vgl. auch BVerfG v. 4.11.1992 - 1 BvR 79/85, 1 BvR 643/87, 1 BvR 442/89, 1 BvR 238/90, 1 BvR 1258/90, 1 BvR 772/91, 1 BvR 909/91, BVerfGE 87, 287 [295, 327] = MDR 1993, 276). Dies hat auch der Senat für Notarsachen des BGH ausdrücklich im Hinblick auf das Erfordernis der örtlichen Wartezeit im Sinne einer hauptberuflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt als Voraussetzung für den Notarberuf (vgl. jetzt: § 6 Abs. 2 Nr. 2 BNotO) ausgesprochen (BGH, Beschl. v. 20.1.1969 - NotZ 7/68, DNotZ 1969, 310).
bb) Nichts anderes gilt, soweit die hauptberufliche Tätigkeit als Rechtsanwalt bei der Auswahl mehrerer geeigneter Bewerber für den Notarberuf angemessen zu berücksichtigen ist (§ 6 Abs. 3 S. 3 BNotO). Das Gesetz benützt in diesem Zusammenhang dieselben Begriffe ("hauptberuflich als Rechtsanwalt tätig ...") wie in § 6 Abs. 2 Nr. 2 BNotO. Es gibt auch keinen sachlichen Grund, in dem einen oder dem anderen Zusammenhang dieselben Begriffe mit ihrem eindeutigen überkommenen Inhalt unterschiedlich zu verstehen. Es wird das einemal wie das anderemal angeknüpft an das Bild des unabhängigen, freiberuflich tätigen Rechtsanwalts. Dabei wird eben diese Art der Tätigkeit bei beiden Tatbeständen hauptberuflich vorausgesetzt. Das Regelerfordernis des Nachweises einer bestimmten Dauer hauptberuflicher Tätigkeit als freier, unabhängiger Anwalt als Voraussetzung für die Bestellung des Anwaltsnotars (§ 6 Abs. 2 Nr. 2 BNotO) soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers sicherstellen, dass der Bewerber um das (Anwalts-)Notariat die organisatorischen Voraussetzungen für die Geschäftsstelle geschaffen und dass er umfangreiche Erfahrungen mit einer Vielzahl von Rechtsuchenden und Vertrautheit mit den örtlichen Verhältnissen erlangt hat (BT-Drucks. 11/600, 10). Gleichermaßen erschien dem Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Dauer der Rechtsanwaltstätigkeit als Auswahlkriterium (§ 6 Abs. 3 S. 3 BNotO) die Berücksichtigung nur einer als Hauptberuf ausgeübten anwaltlichen Tätigkeit gerechtfertigt, wobei allerdings in der Begründung zum Gesetz das Abstellen auf die "hauptberufliche" Tätigkeit als Rechtsanwalt auch damit erklärt wurde, dass die Verbindung der Berufe des Rechtsanwalts und Notars auch dazu bestimmt sei, die wirtschaftliche Stellung der freiberuflichen Anwaltschaft zu stützen (BT-Drucks. 11/6007, 11).
Auch der Umstand, dass erfahrungsgemäß nicht alle niedergelassenen Rechtsanwälte unter Bedingungen arbeiten, die eine selbständige und unabhängige Aufgabenerfüllung gewährleisten (vgl. Henssler/Prütting, BRAO, § 46 Rz. 8), ändert nichts daran, dass bei der gebotenen generalisierenden Betrachtung der freiberufliche Rechtsanwalt vom Syndikusanwalt abzugrenzen ist und nur die (hauptberufliche) Tätigkeit des Ersteren im Rahmen des § 6 Abs. 3 S. 3 BNotO Berücksichtigung finden kann. An diesem Verständnis des § 6 Abs. 3 S. 3 BNotO wie des § 6 Abs. 2 Nr. 2 BNotO hat sich bis heute nichts geändert. Der Versuch bestimmter standespolitischer Kreise, durch eine Textänderung des § 46 BRAO "klarzustellen", dass Syndikusanwälte auch bei ihrer Tätigkeit für den Arbeitgeber rechtsanwaltlich tätig werden, fand im Parlament keine Mehrheit (vgl. BGH v. 25.2.1999 - IX ZR 384/97, BGHZ 141, 69 [76 f.] = MDR 1999, 640; BT-Drucks. 12/7656, 49).
Schließlich geben auch die Beschlüsse des BGH v. 18.6.2001 (BGH, Beschl. v. 18.6.2001 - AnwZ (B) 41/00, MDR 2001, 1195 = NJW 2001, 3130) und 13.1.2003 (BGH, Beschl. v. 13.1.2003 - AnwZ (B) 25/02, MDR 2003, 659 = BGHReport 2003, 464 = NJW 2003, 883) keinen Anhalt für eine andere Sicht. In der erstgenannten Entscheidung wird der Grundsatz bekräftigt, dass der Syndikusanwalt innerhalb seines festen Geschäftsverhältnisses nicht anwaltlich tätig wird. Im Blick auf die Fachanwaltszulassung hat der BGH in dieser Entscheidung ausgesprochen, dass bei der Gewichtung der Fälle, die der Bewerber um eine Fachanwaltsbezeichnung für den Erwerb besonderer praktischer Erfahrungen nach § 5 FAO nachweisen muss, dann, wenn er schon eine erhebliche Zahl nicht unbedeutender Mandate im Rahmen selbständiger Tätigkeit wahrgenommen hat, die weiteren Erfahrungen als Syndikusanwalt auf dem betreffenden Fachgebiet berücksichtigt werden. In dem Beschl. v. 13.1.2003 hat der Anwaltssenat ausgesprochen, dass bei der Prüfung des für die Verleihung für das Arbeitsrecht erforderlichen Nachweises besonderer praktischer Erfahrungen im Arbeitsrecht (§ 5 FAO) neben den in freier anwaltlicher Tätigkeit bearbeiteten Fällen auch solche Fälle zu berücksichtigen sind, in denen der Rechtsanwalt als Syndikus eines Arbeitgeber- oder Unternehmerverbandes die arbeitsrechtliche Beratung und Prozessvertretung (§ 11 ArbGG) von Mitgliedern des Verbandes weisungsunabhängig durchgeführt hat. Die diese beiden Entscheidungen des BGH zur Verleihung von Fachanwaltsbezeichnungen begründenden Erwägungen lassen sich auf den Fragenkreis der Anrechnung von Rechtsanwaltstätigkeit bei der Auswahl von Notarbewerbern gem. § 6 Abs. 3 S. 3 BNotO nicht übertragen.
b) Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller in dem maßgeblichen Zeitraum außerhalb seiner Beschäftigung als Syndikusanwalt - bei 40 wöchentlichen Pflichtstunden während der normalen Dienstzeiten beim Landkreis und regelmäßigen Wochenendheimfahrten nach F. - in einem solchen Umfang als freipraktizierender Rechtsanwalt tätig geworden wäre, dass insoweit auch nur annähernd von einer "hauptberuflichen" Rechtsanwaltstätigkeit gesprochen werden könnte. Die von ihm ursprünglich genannten je zehn Wochenstunden für "anwaltliche Beratung des Landkreises F. bzw. E. -E. " und die Betreuung von Mandanten in F. sind nicht glaubhaft gemacht. Im Beschwerdeverfahren ist der Antragsteller der Feststellung des KG, dass sich hieraus keine hauptberufliche Rechtsanwaltstätigkeit ableiten lasse, nicht näher entgegengetreten.
c) Der Senat folgt dem KG auch darin, dass die in Rede stehende gesetzliche Regelung (§ 6 Abs. 3 S. 3 BNotO) und ihre Handhabung durch die Justizverwaltung (AVNot Ziff. III. 12. b) weder im Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG noch auf Art. 3 Abs. 1 GG durchgreifenden Bedenken unterliegt. Wie das KG zutreffend ausführt, liegt § 6 Abs. 3 S. 3 BNotO die berechtigte Annahme zu Grunde, dass ein Bewerber typischerweise umso mehr praktische Erfahrung in der eigenverantwortlichen Rechtsberatung und Rechtsbesorgung, seiner Sicherheit im Umgang mit rechtsuchenden Bürgern und dem Verständnis für ihre Anliegen sowie der Fähigkeit zur reibungslosen Organisation seiner Kanzlei gesammelt haben wird, und deshalb umso geeigneter für das Amt des Notars erscheint, je länger er hauptberuflich als selbständiger Anwalt tätig gewesen ist. Zugleich durfte der Gesetzgeber, wie das KG ebenfalls hervorhebt, davon ausgehen, dass freiberuflich tätige Rechtsanwälte im Vergleich zu Syndikusanwälten regelmäßig über eine deutlich größere Bandbreite an Erfahrungen im Umgang mit dem rechtsuchenden Publikum verfügen, und dass eine längere Dauer der durch Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit geprägten Ausübung des Anwaltsberufs zusätzlich für das Amt eines Notars qualifiziert.
2. Andererseits hat das KG den Bescheid der Antragsgegnerin mit Recht insoweit beanstandet, als bei der Auswahlentscheidung nicht die Vergabe von Sonderpunkten an den Antragsteller geprüft worden ist.
a) Das Auswahlermessen der Antragsgegnerin wird durch Ziff. III. 12. f.) AVNot dahin beeinflusst, dass im Rahmen der Gesamtentscheidung in Ausnahmefällen bis zu zehn weitere Punkte hinzugerechnet werden können, wenn zusätzliche Umstände, die den Bewerber für das Amt des Notars in ganz besonderer Weise qualifizieren, dies erfordern, um die fachliche Eignung des Bewerbers besser zu kennzeichnen.
Ohne Erfolg verweist die Antragsgegnerin darauf, dass im Streitfall für eine Prüfung der Bewerbung des Antragstellers unter diesem Gesichtspunkt schon deshalb kein Raum gewesen sei, weil der Antragsteller den - wie vom KG dargelegt: In einigen Teilen durchaus "notarspezifischen" - Inhalt seiner Tätigkeit beim Landkreis E. -E. erst nach Ablauf der Bewerbungsfrist im Auswahlverfahren (2.5.2000) mitgeteilt habe (zur Maßgeblichkeit dieses Stichtags vgl. BGH, Beschl. v. 16.3.1998 - NotZ 13/97, MDR 1998, 742 = NJW-RR 1998, 1599 unter 2 b aa; siehe jetzt aber auch § 6b Abs. 4 S. 1 BNotO i. d. F. v. 31.8.1998 [BGBl. I, 2585]). Wie der Antragsteller mit Recht anführt, enthält bereits der von ihm fristgerecht mit den Bewerbungsunterlagen vorgelegte tabellarische Lebenslauf die Angabe, dass der Antragsteller von August 1992 bis Dezember 1995 "beratender Rechtsanwalt beim Amt zur Regelung offener Vermögensfragen des Landkreises ... im Rahmen des Anwaltsprojektes" war. Diese Angabe erforderte zwar (nach dem Stichtag) zusätzliche Erläuterungen, aus denen sich der möglicherweise für die Vergabe von Sonderpunkten nähere eignungsrelevante Sachverhalt ergab. Berücksichtigt man aber, dass der Antragsteller den gesamten in Rede stehenden Zeitraum als "Rechtsanwalts"-Zeit benannt hatte, so muss ihm zugute gehalten werden, dass er diese Tätigkeit bei der Notarbewerbung als anrechnungsfähig einbringen wollte. Das genügte, um dem Erfordernis einer vollständigen Bewerbung zum Stichtag gerecht zu werden. Die weitere Klärung zu diesem Punkt war Sache der Justizverwaltung (vgl. § 64a BNotO).
b) Die Vergabe von Sonderpunkten lässt sich hier auch nicht, wie die Antragsgegnerin meint, mit dem Argument ausschließen, hierbei seien Umstände betroffen, die bereits als Standardkriterien in das Prüfungsschema für die sachliche Eignung (Examensnote, Dauer der hauptberuflichen Anwaltstätigkeit, Fortbildungskurse, Notarvertretungen) Eingang gefunden hätten. Es geht hier um die etwaige zusätzliche Berücksichtigung (eines Teils) von Tätigkeiten, die dem Antragsteller nach dem obigen Ausgangspunkt (zu 1.) nicht als Rechtsanwaltstätigkeit - also bisher: Überhaupt nicht - angerechnet werden sollen. Sollten diese Tätigkeiten (teilweise) den Antragsteller für das Amt des Notars in ganz besonderer Weise qualifizieren, so steht einer Berücksichtigung unter dem Gesichtspunkt der Ziff. III. 9. f.) AVNot nichts im Wege. Auch der von der Antragsgegnerin zitierte Senatsbeschluss v. 25.4.1994 (BGH, Beschl. v. 25.4.1994 - NotZ 19/93, Nds.Rpfl. 1994, 330 [333]) stünde nicht entgegen. In diesem Beschluss hat der Senat es lediglich abgelehnt, der Justizverwaltung im Auswahlverfahren eine "inhaltliche und nicht lediglich auf die Dauer begrenzte Bewertung" der anwaltlichen Berufstätigkeit anzusinnen, schon weil es dafür an einem praktikablen Maßstab fehlt. Um die Bewertung einer (angerechneten) Rechtsanwaltstätigkeit geht es hier nicht, sondern um die Frage, ob der Antragsteller während der nicht angerechneten Zeit als Syndikusanwalt in besonders qualifizierender Weise zusätzliche notarspezifische Eignung erworben hat.
c) Die vom KG für Letzteres zur Sprache gebrachten Gesichtspunkte sind für diese Prüfung nicht von vornherein ungeeignet. Das KG verweist darauf, dass sich aus den Angaben des Antragstellers ergeben habe, dass er während seiner Beschäftigung beim Landkreis schwerpunktmäßig mit Fragen aus dem Grundstücks- und dem Gesellschaftsrecht befasst gewesen sei, also mit Rechtsgebieten, aus denen ein großer Teil der von einem Notar zu beurkundenden Rechtsgeschäfte stamme. Beim Amt für offene Vermögensfragen sei er insbesondere auf dem Gebiet des Grundstücks- und Grundbuchrechts tätig gewesen; er habe zum einen die Mitarbeiter des Amts in diesen Bereichen geschult, zum anderen Rückübertragungsanträge nach dem Vermögensgesetz bearbeitet, Verhandlungen mit Antragstellern, Verfügungsberechtigten und sonstigen Beteiligten in diesen Fällen geführt sowie Entscheidungen über die Erteilung von Genehmigungen nach dem Grundstückverkehrsgesetz getroffen. Daneben habe er das Liegenschaftsamt bei der Veräußerung und dem Erwerb von Grundstücken beraten und schwierige Fälle nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz zur Entscheidung gebracht. Weiterhin sei er auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts tätig gewesen, in dem er den Landkreis bei der Gründung und Ausgestaltung kommunaler Unternehmen betreut und für verschiedene Eigengesellschaften bzw. Eigenbetriebe des Landkreises die Gesellschaftsverträge bzw. Satzungen entworfen habe, wobei es sich nach den Angaben des Landkreises um einen weiteren Tätigkeitsschwerpunkt des Antragstellers gehandelt habe.
Der Senat tritt dem KG darin bei, dass angesichts der Dauer der Tätigkeit von drei Jahren die Annahme, dass der Antragsteller in dieser Zeit Kenntnisse und Erfahrungen gesammelt hat, die ihn für das Amt eines Notars besonders qualifizieren, nicht so fern liegend ist, dass diesbezüglich nicht eine Prüfung durch die Justizverwaltung erforderlich wäre, auch im Hinblick auf die von der Antragsgegnerin selbst genannten Fälle, in denen sie Sonderpunkte vergeben hat. Dass der Antragsteller - der die maßgebliche Zeit als Rechtsanwaltstätigkeit geltend gemacht hatte - nicht von sich aus ausdrücklich Sonderpunkte verlangt hat, ist nicht entscheidend.
III.
Da es bei der den ablehnenden Bescheid der Antragsgegnerin aufhebenden und dieser eine erneute Prüfung der Bewerbung des Antragstellers aufgebenden Entscheidung des KG bleibt, behält auch die vom KG getroffene - nicht selbständig anfechtbare - einstweilige Anordnung (Ziff. 2 des Urteilstenors) ihre Gültigkeit.
Fundstellen
Haufe-Index 965176 |
BGHR 2003, 1183 |
DNotZ 2003, 790 |
MDR 2003, 1322 |
ZNotP 2004, 34 |
BRAK-Mitt. 2003, 239 |