Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 07.10.2003) |
Tenor
1. Nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 7. Oktober 2003 wird dem Angeklagten auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 7. Oktober 2003 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zu den äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen im Zustand der Schuldunfähigkeit begangener rechtswidriger Taten der Beleidigung, der versuchten Nötigung und der versuchten räuberischen Erpressung in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Seine nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässige Revision führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils.
1. Der Wiedereinsetzungsantrag ist zulässig und begründet. Die Rücknahme der Revision durch den Verteidiger Rechtsanwalt E. vom 1. Dezember 2003 (Eingang 3. Dezember 2003) war nicht wirksam, da es nach seiner Erklärung vom 13. Januar 2004 (Eingang 15. Januar 2004) an einer wirksamen Ermächtigung des Pflichtverteidigers fehlte. Der „Wiedereinsetzungsantrag” des Angeklagten selbst vom 22. Dezember 2003 ging ins Leere, da zu diesem Zeitpunkt die Revisionsbegründungsfrist noch nicht versäumt war. Auf eine mögliche Zulässigkeit des Antrags gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 und 2 StPO kam es daher nicht an. Ersichtlich ging es dem Angeklagten bei seinem unter dem Betreff „Revision nicht zurück” verfaßten Schreiben um die Mitteilung, der Pflichtverteidiger habe die Revision ohne sein Einverständnis zurückgenommen. Ob der Angeklagte den prozessualen Sinn der Worte, er bitte „um Einsetzung in den alten Stand”, überhaupt verstanden hat, erscheint fraglich; nach dem Sinnzusammenhang bezog sich diese Formulierung nicht auf die – noch gar nicht versäumte – Revisionsbegründungsfrist, sondern auf die unwirksame Rechtsmittelrücknahme.
Von der Versäumung der Frist erlangte, soweit ersichtlich, der Verteidiger des Angeklagten erstmals durch das Schreiben des Kammervorsitzenden vom 9. Januar 2004 Kenntnis; bis dahin hielt er die Revision für wirksam zurückgenommen. Sein am 15. Januar 2004 eingegangener Antrag auf Wiedereinsetzung war daher rechtzeitig; eine Glaubhaftmachung war angesichts der offenkundigen Tatsachen nicht erforderlich. Die versäumte Handlung ist mit Erhebung der allgemeinen Sachrüge zugleich nachgeholt worden.
2. Die Sachrüge führt zur Aufhebung des Urteils, weil die Voraussetzungen der Maßregelanordnung nicht rechtsfehlerfrei festgestellt sind.
a) Nach den Feststellungen des Landgericht leidet der Angeklagte, der die Geschädigte seit vielen Jahren in vielfältiger Weise, unter anderem durch die im angefochtenen Urteil rechtsfehlerfrei festgestellten Taten, belästigt, verfolgt und bedroht (sog. „Stalking”), an einer Persönlichkeitsstörung. Das Landgericht hat sich insoweit dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. P. angeschlossen, wonach die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten nicht getrübt, jedoch seine Steuerungsfähigkeit aufgehoben sei (UA S. 15). Hierzu ist in den Urteilsgründen ausgeführt:
„Das hier aufgezeigte Verhalten des Beschuldigten kann nicht mehr als noch nachvollziehbare Reaktion einer Verärgerung über die ablehnende Haltung der Zeugin gewertet werden, wie dies Prof. G. meint. Vielmehr zeigt die dem Stalking zugrunde liegende Motivation des Beschuldigten, daß eine schwere Persönlichkeitsstörung vorliegt (…). In dieser Fixierung auf die Person der Zeugin P. (liegt) ein Ausmaß von Realitätsverkennung vor, das einer Wahnvorstellung gleichwertig ist (…). Der Beschuldigte ist sich durchaus bewußt, sich strafbar zu machen …. Dadurch offenbart sein Verhalten eine so schwere Störung seiner Persönlichkeit, daß die Annahme des § 20 StGB gerechtfertigt ist (…). Das vorhandene Bewußtsein der Strafbarkeit ignoriert der Beschuldigte … aufgrund seiner wahnhaften Verblendung, die sein ganzes Alltagsleben seit Jahren beherrscht” (UA S. 15 f.).
b) Mit diesen Erwägungen sind weder die Voraussetzungen des § 20 StGB noch die des § 21 StGB mit hinreichender Sicherheit dargetan, so daß es schon insoweit an einer Grundlage für die Maßregelanordnung fehlt.
Die Frage, ob bei dem Beschuldigten eine wahnhafte psychische Störung vorliegt, ist im Urteil widersprüchlich und daher unklar behandelt. Es ist einerseits von einer „wahnhaften Verblendung” die Rede, andererseits von einer Verkennung, die „einer Wahnvorstellung gleichwertig” sei. Insoweit bleibt aber schon offen, worin die „Wahnhaftigkeit” der Verkennung liegen sollte: Nach den Feststellungen irrte der Beschuldigte weder darüber, daß die Geschädigte sein Werben insgesamt ablehnte, noch über die Rechtswidrigkeit seines Tuns. Er bildete sich auch nicht etwa ein, die Geschädigte „liebe” ihn, habe dies aber selbst noch nicht zutreffend erkannt. Die Feststellungen belegen vielmehr, daß er sich – mit zunehmender Aggressivität und Bedrohlichkeit – hartnäckig weigerte, die zutreffend erkannte Ablehnung der Geschädigten zu akzeptieren. Hierin allein kann eine „wahnhafte” Realitätsverkennung nicht gesehen werden. Eine solche ergibt sich auch nicht schon daraus, daß der Beschuldigte sich „nach wie vor in der Lage (wähnt), die Zeugin für sich gewinnen zu können” (UA S. 16); denn eine Fehleinschätzung eigener Möglichkeiten erfüllt nicht ohne weiteres die Voraussetzungen eines Wahns.
Zwar hat das Landgericht im Anschluß an den Sachverständigen als Eingangsvoraussetzung des § 20 StGB eine schwere andere seelische Abartigkeit festgestellt. Deren allgemeine Kennzeichnung als „Störung der Persönlichkeit” kann aber eine konkretisierende Darlegung nicht ersetzen, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung auf die Fähigkeit des Beschuldigten auswirkt, sein Verhalten zu steuern (vgl. BGHSt 14, 30, 32; BGHJ NStZ 1996, 401 f.; 1998, 30 f.; 2001, 243 f.; dazu auch Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 20 Rdn. 42, 44 f. m.w.N.).
Aus den Urteilsgründen ergibt sich, daß der zweite vom Landgericht hinzugezogene Sachverständige, Prof. Dr. G., eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit insgesamt, also auch in einem von § 21 StGB vorausgesetzten Maße, abgelehnt hat. Da die Annahme einer die Steuerungsfähigkeit gänzlich aufhebenden Schwere einer Persönlichkeitsstörung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und herrschender Meinung eine seltene Ausnahme darstellt (vgl. BGH NJW 1997, 3101; 1998, 2752; BGH NStZ 1991, 31 f.; Jähnke in LK 11. Aufl. § 20 Rdn. 64; Tröndle/Fischer aaO § 20 Rdn. 42; jeweils m.w.N.), hätte es hier einer genauen Darlegung der Ergebnisse beider Gutachten sowie der Gründe bedurft, warum sich das Landgericht dem Sachverständigen Prof. Dr. P. angeschlossen und solch einen Ausnahmefall hier als gegeben angesehen hat. Hierbei wäre auch von Belang gewesen, ob und wenn ja welche Erfahrungen und Erkenntnisse des psychiatrischen Krankenhauses vorlagen, in welchem der Beschuldigte vier Monate lang vorläufig untergebracht war. Insoweit teilt das Urteil nur mit, der Unterbringungsbefehl sei im August 2003 wieder in einen Haftbefehl umgewandelt worden (UA S. 12).
3. Das Urteil kann daher keinen Bestand haben, da schon die Voraussetzungen der vom Landgericht angenommenen Schuldunfähigkeit nicht rechtsfehlerfrei festgestellt sind. Ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler läßt sich nicht ausschließen; auch die Voraussetzungen des § 21 StGB lassen sich den Urteilsgründen nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, so daß schon deshalb eine eigene Sachentscheidung des Senats ausscheidet.
Das Verbot der Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 StPO) steht der Zurückverweisung nicht entgegen. Zwar könnte, da allein der Beschuldigte Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt hat, auch bei Feststellung seiner – uneingeschränkten oder erheblich verminderten – Schuldfähigkeit durch den neuen Tatrichter eine Strafe gegen den Beschuldigten nicht verhängt werden. Eine Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB sowie ein Schuldspruch wegen der festgestellten rechtswidrigen Taten wären aber auch dann möglich, wenn eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit auf rechtsfehlerfreier Grundlage sicher festgestellt werden könnte. Hierfür sprechen nach den bisherigen Feststellungen erhebliche Anhaltspunkte; die Feststellung obliegt jedoch dem Tatrichter.
4. Die Feststellungen zu den äußeren Sachverhalten konnten aufrechterhalten werden, da sie von dem Rechtsfehler nicht berührt sind.
Unterschriften
Rissing-van Saan Detter Ri'inBGH Otten ist urlaubsbedingt an der Unterschrift gehindert. Rissing-van Saan Rothfuß Fischer
Fundstellen
Haufe-Index 2557810 |
StraFo 2004, 390 |
R&P 2005, 85 |