Verfahrensgang
LG Arnsberg (Urteil vom 20.12.2004) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 20. Dezember 2004 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist; jedoch bleiben die Feststellungen zum Tatgeschehen bestehen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des fahrlässigen Vollrausches (§ 323 a StGB i.V.m. §§ 113, 223 StGB) wegen nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die die Maßregelanordnung betreffende Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge im wesentlichen Erfolg.
Der Angeklagte hat die ihm vorgeworfene Tat im August 2003 begangen, wobei seine Steuerungsfähigkeit infolge eines hirnorganischen Psychosyndroms sowie einer schizophrenen Psychose erheblich vermindert, möglicherweise sogar aufgehoben war, ohne daß es insoweit auf den Grad seiner alkoholischen Beeinflussung von 2,4 ‰ zur Tatzeit ankam [UA 8, 15].
Die Feststellungen zum Tatgeschehen weisen keinen Rechtsfehler auf. Die Annahme erheblich verminderter, möglicherweise sogar ausgeschlossener Schuldfähigkeit begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Ohne Rechtsfehler ist das Landgericht ferner davon ausgegangen, daß die für die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB weitere Voraussetzung eines fortdauernden Zustandes beim Angeklagten gegeben ist.
Gleichwohl hat der Maßregelausspruch keinen Bestand, weil die Strafkammer die für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vorausgesetzte Gefährlichkeitsprognose nicht ausreichend begründet hat.
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, daß der Täter infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde (vgl. BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 11 und 26). Diese Voraussetzung hat das Landgericht, dem Sachverständigen folgend, für gegeben angesehen. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß infolge des fortdauernden Zustandes des Angeklagten „massiv aggressive Entgleisungen zum Nachteil von Unbeteiligten” [UA 16] – wie bei der vorliegenden Anlaßtat – wahrscheinlich seien, da es eher durch Zufall zu erklären sei, daß bisher nicht mehr passiert sei. Für die Gefährlichkeit komme es nicht entscheidend darauf an, daß der Angeklagte in der Vergangenheit trotz bestehender Erkrankung noch keine schwerwiegenden Straftaten begangen habe. Im übrigen hätten auch die bisher meist ohne Tätlichkeiten ausgetragenen Streitigkeiten zu einem Angriff des Angeklagten führen können. Schließlich hat die Strafkammer ihre Prognose auch darauf gestützt, daß der Angeklagte infolge seines Anfallsleidens mit hoher Wahrscheinlichkeit künftig erneut als hilfslose Person in ein Krankenhaus verbracht werden müsse und es wahrscheinlich sei, daß es dort zu massiven Ausschreitungen kommen könnte, die keinesfalls immer so glimpflich wie in der Vergangenheit enden müßten.
Abgesehen davon, daß die letztere Erwägung nur eine Vermutung darstellt, belegt die Begründung des Landgerichts auch im übrigen lediglich die bloße Möglichkeit, nicht jedoch die vom Gesetz vorausgesetzte bestimmte Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten. Trotz seiner Erkrankung, die bereits bei seiner Übersiedlung nach Deutschland im Jahre 1993 bestanden hat, hat der Angeklagte bisher keine erheblichen rechtswidrigen Taten begangen; denn auch die Widerstandshandlungen im Oktober 1998 und August 2002 erschöpften sich in der Bedrohung der eingesetzten Polizeibeamten beziehungsweise darin, daß der Angeklagte auf die Beamten zuging, obwohl sie ihn zum Stehenbleiben aufgefordert hatten.
Daß der Täter trotz bestehenden Defekts lange Zeit keine Straftaten begangen hat, ist ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten (vgl. BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27). Unter Umständen kann allerdings schon die erste Straftat die Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit belegen; jedoch bedarf die Gefährlichkeitsprognose dann besonderer Prüfung, wenn es sich – wie hier – um eine eher geringfügige Anlaßtat handelt (vgl. Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 63 Rdn. 14 m.w.N.). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht; insbesondere läßt es Ausführungen dazu vermissen, warum künftig erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien. Das vom Angeklagten während der Unterbringung gezeigte Verhalten kann, wie das Landgericht nicht verkannt hat, nur eingeschränkt bei der Prognoseentscheidung berücksichtigt werden (vgl. BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 26); es beschränkte sich auf Beschimpfungen der behandelnden Ärztin und verbale Drohungen gegenüber einem Pfleger und hatte seine Ursache in der durch die Unterbringung bestehenden besonderen, die Kontakte zu Bezugspersonen erschwerenden Situation.
Die Frage der Unterbringung des Angeklagten bedarf daher umfassender neuer Prüfung.
Unterschriften
Maatz, Kuckein, Athing, Solin-Stojanović, Sost-Scheible
Fundstellen
Haufe-Index 2556894 |
NJW 2005, 3588 |
NStZ-RR 2005, 303 |
StV 2005, 545 |