Verfahrensgang
LG Paderborn (Beschluss vom 05.03.2008) |
LG Paderborn (Urteil vom 27.11.2007) |
Tenor
1. Dem Angeklagten Ruslan K. wird auf seinen Antrag nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 27. November 2007 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Die Kosten der Wiedereinsetzung hat der Angeklagte zu tragen.
Der Beschluss des Landgerichts Paderborn vom 5. März 2008, durch den die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen wurde, ist damit gegenstandslos.
2. Die Revisionen der Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil des Landgerichts werden verworfen.
3. Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten Elberd K. die Kosten und Auslagen des Revisionsverfahrens aufzuerlegen. Der Angeklagte Ruslan K. trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Beide Angeklagten haben die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten Elberd K. wegen Totschlags – unter Einbeziehung einer Vorverurteilung – zu einer einheitlichen Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt sowie den Angeklagten Ruslan K. wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten. Die Revisionen der Angeklagten, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen, haben keinen Erfolg.
Rz. 2
1. Die von beiden Angeklagten erhobene Rüge, das Urteil sei entgegen § 260 Abs. 1 StPO im unmittelbaren Anschluss an die Plädoyers der Verteidiger und das letzte Wort der Angeklagten verkündet worden, ohne dass sich das Gericht zur Beratung zurückgezogen habe, ist unbegründet.
Rz. 3
a) Zwar weist das Sitzungsprotokoll eine Unterbrechung der Hauptverhandlung zum Zwecke der Urteilsberatung nicht aus. Damit steht der gerügte Verfahrensverstoß jedoch nicht fest. Denn die Beratung selbst ist nicht Gegenstand der formellen Beweiskraft gemäß § 274 StPO. Die Beratung ist geheim und schon deshalb nicht Bestandteil der Hauptverhandlung; an ihr nimmt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle nicht teil (BGHSt 5, 294; BGH NStZ 1987, 472; BGH, Beschluss vom 23. November 2000 – 3 StR 428/00). Auch eine Unterbrechung der Hauptverhandlung zum Zwecke der Beratung ist keine „für die Hauptverhandlung vorgeschriebene Förmlichkeit” i.S.d. § 274 StPO. Eine Beratung kann jederzeit vor, während und nach einer Sitzung erfolgen, ohne dass dies jeweils explizit im Protokoll zu vermerken wäre. Im Übrigen sieht § 272 Nr. 1 StPO nur vor, dass der Tag der Verhandlung ins Protokoll aufgenommen wird, nicht aber etwa die genaue Uhrzeit, die genaue Dauer oder etwaige Unterbrechungen (vgl. auch BGH VRS 32, 143).
Rz. 4
b) Die Frage, ob vor Urteilsverkündung eine Beratung des Gerichts stattgefunden hat, war daher im Freibeweis zu klären. Die vom Senat eingeholten Stellungnahmen sämtlicher Beteiligter einschließlich der Instanzverteidiger hat indes ergeben, dass die Hauptverhandlung nach dem letzten Wort der Angeklagten zum Zwecke der Urteilsberatung unterbrochen wurde. Die Richter und Schöffen haben darüber hinaus übereinstimmend mitgeteilt, dass in dieser Zeit tatsächlich eine umfassende Beratung stattgefunden habe.
Rz. 5
2. Die Rüge des Angeklagten Elberd K., mit der er die Verletzung von § 265 StPO geltend macht (Ziffer 2.4. der Revisionsbegründung), greift ebenfalls nicht durch.
Rz. 6
a) Der Rüge liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: In der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage war den (drei) Angeklagten eine gemeinschaftlich begangene Körperverletzung mit Todesfolge gemäß §§ 227, 25 Abs. 2 StGB zur Last gelegt worden (der dritte Angeklagte – Orzeho K. – ist wegen gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen; er hat keine Revision eingelegt). Dabei ging die Anklage davon aus, dass sämtliche Angeklagte an einer tätlichen Auseinandersetzung mit dem Tatopfer beteiligt waren, in deren Verlauf einer von ihnen das Opfer mit Messerstichen tödlich verletzte. Welcher der Angeklagten zugestochen hatte, ließ die Anklage offen. Im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen heißt es: „Da bislang nicht festgestellt werden kann, wer den tödlichen Stich führte, kam eine Anklageerhebung wegen Totschlags nicht in Betracht”. In der Hauptverhandlung erging an die Angeklagten folgender Hinweis: „In Betracht kommen auch jeweils Bestrafungen wegen gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 + 4 StGB sowie Bestrafungen wegen Totschlags gem. § 212 gegebenenfalls 213 StGB”. Im Urteil ist festgestellt, dass der Angeklagte Elberd K. die tödlichen Messerstiche führte.
Rz. 7
b) Die Revision beanstandet, dass das Gericht im Urteil einen Sachverhalt zu Grunde gelegt habe, der wesentlich von der Anklage und dem Eröffnungsbeschluss abweiche, ohne dass der Beschwerdeführer auf diese Veränderung zuvor hingewiesen worden sei. Im Übrigen sei er nicht darauf hingewiesen worden, dass eine Verurteilung wegen Totschlags in Alleintäterschaft erwogen werde.
Rz. 8
c) Die Rüge bleibt ohne Erfolg. Zutreffend ist zwar der rechtliche Ansatz der Revision: Die Annahme von Alleintäterschaft anstelle von Mittäterschaft ist hinweispflichtig (BGHR StPO § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 5 und 6). Dieser Pflicht ist hier jedoch Genüge getan. Der protokollierte Hinweis des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung zielte hinreichend deutlich auf eine mögliche Verurteilung wegen Totschlags in Alleintäterschaft ab. Denn in ihm ist von gemeinschaftlich begangenem Totschlag gerade nicht die Rede. Auf § 25 Abs. 2 StGB ist nicht Bezug genommen. Dadurch, dass der Hinweis ausweislich des Protokolls an alle Angeklagte („jeweils”) gerichtet und im Plural („Bestrafungen”) gefasst war, wurde jedem der Angeklagten vor Augen geführt, dass er als derjenige identifiziert werden konnte, der die Messerstiche geführt und damit den Totschlag begangen hatte. Dabei sollte der Beweiswürdigung der Strafkammer über diese Frage nicht „vorgegriffen” werden, zumal die Beweisaufnahme noch nicht abgeschlossen war. Nichts anderes ergibt sich schließlich aus dem Zusammenhang mit der zugelassenen Anklage. Die Annahme von Mittäterschaft in der Anklage bezog sich auf einen anderen Tatbestand, nämlich den der Körperverletzung mit Todesfolge. Die Begründung, mit der dort im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen die Annahme eines Tötungsdeliktes abgelehnt wurde, zeigt, dass eine gemeinschaftlich begangene Tötung gerade nicht in Betracht gezogen worden war. Auch vor dem Hintergrund der Anklage war der rechtliche Hinweis mithin nicht missverständlich.
Rz. 9
3. Auch im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat.
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Athing, Ernemann, Mutzbauer
Fundstellen
Haufe-Index 2564963 |
NStZ 2009, 105 |
wistra 2009, 33 |
NStZ-RR 2011, 230 |
StRR 2008, 442 |