Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 06.06.2011) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 6. Juni 2011 nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben
- mit den zugehörigen Feststellungen, soweit der Angeklagte wegen Inverkehrbringens von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln verurteilt worden ist; ausgenommen sind die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, die bestehen bleiben,
- im Gesamtstrafausspruch.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Inverkehrbringens von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in 84 Fällen und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts verkaufte der Angeklagte im Zeitraum August 2009 bis August 2010 in 83 Fällen anabole Steroide, Wachstumshormone und sonstige Dopingmittel sowie Medikamente in unterschiedlichen Kombinationen im Wege des Versandhandels an zahlreiche Abnehmer und erzielte dabei einen Gesamterlös von etwa 18.000 EUR. Außerdem verwahrte er am 1. Oktober 2010 in einem gemieteten Lagerraum, daneben auch in seiner Wohnung und in seinem Pkw zahlreiche zum Verkauf bestimmte Dopingmittel und Medikamente mit einem geschätzten Schwarzmarkt-Verkaufswert von insgesamt 25.000 bis 40.000 EUR (Einsatzstrafe: drei Jahre Freiheitsstrafe).
Rz. 3
Das Landgericht hat das den Versandhandel mit Medikamenten betreffende Verhalten des Angeklagten als Inverkehrbringen von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in 84 Fällen gemäß §§ 95 Abs. 1 Nr. 2a und 4 AMG, 52, 53 StGB gewertet und in allen Fällen die Voraussetzungen der Gewerbsmäßigkeit gemäß § 95 Abs. 3 Nr. 2b AMG bejaht.
Rz. 4
2. Während die Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung – im Schuld- und Strafausspruch – rechtsfehlerfrei ist, hält die Annahme von 84 materiellrechtlich selbständigen Taten nach § 95 Abs. 1 Nr. 2a und 4 AMG sachrechtlicher Überprüfung nicht stand.
Rz. 5
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Bewertungseinheit im Betäubungsmittelstrafrecht, die für die gleichgelagerte Konstellation des Inverkehrbringens von Arzneimitteln entsprechend gilt (BGH, Urteil vom 25. April 2001 – 2 StR 374/00, NJW 2001, 2812, 2815, insoweit in BGHSt 46, 380 nicht abgedruckt), ist eine einheitliche Tat anzunehmen, wenn ein und derselbe Güterumsatz Gegenstand der strafrechtlichen Bewertung ist (BGH, Beschluss vom 7. Januar 1981 – 2 StR 618/80, BGHSt 30, 28; Urteil vom 23. März 1995 – 4 StR 746/94, BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 4; Beschluss vom 26. Mai 2000 – 3 StR 162/00, BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 20). Dies kann auch gegeben sein, wenn – wie im vorliegenden Fall – verschiedenartige Präparate Gegenstand der zu beurteilenden Geschäfte sind, etwa wenn diese „im Gesamtpaket” erworben werden (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juli 2001 – 4 StR 110/01, NStZ-RR 2002, 52).
Rz. 6
Hierbei setzt die Annahme einer Bewertungseinheit allerdings konkrete Anhaltspunkte dafür voraus, dass bestimmte Einzelverkäufe aus einer einheitlich erworbenen Gesamtmenge herrühren. Eine lediglich willkürliche Zusammenfassung ohne ausreichende Anhaltspunkte kommt nicht in Betracht; auch der Zweifelssatz gebietet in solchen Fällen nicht die Annahme einer einheitlichen Tat (BGH, Beschluss vom 26. Mai 2000 – 3 StR 162/00, BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 20; Beschluss vom 26. Juli 2001 – 4 StR 110/01, NStZ-RR 2002, 52; Urteil vom 16. November 2005 – 2 StR 296/05, NStZ-RR 2006, 55; Beschluss vom 2. September 2010 – 2 StR 388/10). Dies gilt entsprechend für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln (BGH, Urteil vom 8. Dezember 2009 – 1 StR 277/09, BGHSt 54, 243). Auch insoweit kann – wenngleich der Erwerb nach der Legaldefinition des § 4 Abs. 17 AMG noch nicht als Tathandlung anzusehen ist – auf die Erwerbshandlungen abgestellt werden. Denn durch diese wird ein Vorrat angelegt und damit das gemäß § 4 Abs. 17 AMG als Inverkehrbringen anzusehende Vorrätighalten zum Verkauf begründet.
Rz. 7
b) Im vorliegenden Fall sprechen gravierende – von der Strafkammer außer Acht gelassene – Anhaltspunkte dafür, dass die vom Angeklagten in den Fällen 1 bis 83 an Abnehmer veräußerten Doping- und Arzneimittel ebenso wie die im Fall 84 vorrätig gehaltenen Substanzen aus einer in einem oder in wenigen Einzelakten erworbenen Gesamtmenge stammen. Der beim Angeklagten am 1. Oktober 2010 sichergestellte Vorrat wies einen so erheblichen Umfang auf, dass er hieraus eine Vielzahl von Geschäften in der Größenordnung der festgestellten Einzelverkäufe hätte bestreiten können; der geschätzte Gesamtwert übersteigt sogar deutlich den Gesamtumsatz aus den festgestellten Einzelverkäufen. Dies lässt es bereits als ausgeschlossen erscheinen, dass der Angeklagte – wie das Landgericht annimmt – lediglich der Kundennachfrage entsprechend die Präparate bei seinen Lieferanten abgerufen und dann weiterverkauft hat. Bezieht man ferner den Umstand in die Bewertung ein, dass der Angeklagte (ausweislich der in den Urteilsgründen aufgeführten Kauf- oder Bestelldaten) vielfach kurz hintereinander, oftmals am selben Tag, an verschiedene Abnehmer zum Teil die gleichen Doping- bzw. Arzneimittel veräußert hat, liegt ein Abverkauf eines zuvor angelegten größeren Vorrats nahe.
Rz. 8
Die von der Strafkammer gegen die Annahme eines größeren Vorrats angeführte Erwägung zur Verderblichkeit der in Ampullen abgegebenen Hormonpräparate ist nicht geeignet, die Feststellung einer Vielzahl von Erwerbshandlungen zu begründen. Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, in welchem Zeitraum es zum Verderb der Substanzen kommt und inwieweit hierdurch jegliche Verwendung der Präparate ausgeschlossen ist. Auch die Überlegung, der vom Angeklagten genannte Preis für den behaupteten einmaligen Erwerb der Gesamtmenge lasse sich nicht mit den Feststellungen zum Umsatz und zum Wert der beschlagnahmten Präparate vereinbaren, überzeugt nicht. Die Strafkammer setzt sich nämlich nicht mit der Frage auseinander, wie sich die bei Abnahme einer derart umfangreichen Menge von einem „Großhändler” zu zahlenden Beträge üblicherweise zu den im Rahmen von Einzelverkäufen zu erzielenden Preisen verhalten. Zudem ließe sich hiermit allenfalls die Annahme einer einzigen, nicht aber diejenige einiger weniger Erwerbshandlungen widerlegen. Das von einer Kamera festgehaltene Herbeischaffen weiterer Arzneimittel deutet zwar auf zumindest einen weiteren Erwerbsvorgang hin; allerdings ist das im Urteil hierzu angegebene Datum offensichtlich unzutreffend, so dass nicht beurteilt werden kann, ob dieser ergänzende Erwerb vor Beginn der Verkaufshandlungen stattfand. In diesem Fall wäre trotz zweier Erwerbshandlungen eine Bewertungseinheit anzunehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juni 2011 – 3 StR 485/10, insoweit in StraFo 2011, 356 nicht abgedruckt).
Rz. 9
Allerdings geht die Strafkammer im Ansatz zu Recht davon aus, dass die längeren Verkaufspausen zwischen Dezember 2009 und Mai 2010 sowie zwischen Mai 2010 und Juli 2010 auf weitere Erwerbshandlungen hindeuten können. Insoweit wäre jedoch unter Berücksichtigung der von der Strafkammer außer Acht gelassenen Gesichtspunkte eine Gesamtwürdigung erforderlich gewesen, zumal es für die Verkaufspausen auch andere Erklärungen geben kann und sich das Urteil nicht dazu äußert, wie der Angeklagte, der sich offenbar umfangreich eingelassen hat, diesen Umstand erklärt hat.
Rz. 10
Zudem lassen lediglich zwei Verkaufspausen keinesfalls den Schluss zu, der Angeklagte habe sämtliche verkauften Einzelmengen jeweils zuvor einzeln erworben. Allein die Feststellung, dass entgegen der Einlassung des Angeklagten nicht von einer einzigen Erwerbsmenge ausgegangen werden kann, entbindet den Tatrichter nicht von der Prüfung, ob die jeweiligen Einzelverkäufe mehreren größeren Erwerbsmengen entstammen und daher zu mehreren selbständigen Taten im Sinne von Bewertungseinheiten zusammenzufassen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2002 – 3 StR 491/01, BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 21). Liegen wie hier konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass die Einzelverkäufe jeweils größeren Einkaufsmengen entstammen und deshalb aus Rechtsgründen zu einer Bewertungseinheit zusammengefasst werden müssen, hat das Tatgericht dann, wenn sich Feststellungen zu Zahl und Frequenz der Einkäufe sowie der Zuordnung der einzelnen Verkäufe zu ihnen nicht treffen lassen, eine an den Umständen des Falles orientierte Schätzung vorzunehmen (BGH aaO).
Rz. 11
3. Die Schuldsprüche wegen der Straftaten nach § 95 AMG können deshalb keinen Bestand haben. Dies schließt auch die vom Landgericht an sich rechtsfehlerfrei bejahte Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 4 AMG (verbotenes Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln) ein, da beide Tatbestände zueinander in Tateinheit stehen. Im Hinblick auf ihre unterschiedliche Schutzrichtung ist das Landgericht insoweit zutreffend von Idealkonkurrenz (§ 52 StGB) ausgegangen. Damit konnte der Schuldspruch – mit Ausnahme der hiervon nicht berührten Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung – insgesamt keinen Bestand haben (vgl. BGH, Urteil vom 29. August 2007 – 5 StR 103/07 Rn. 51, in NStZ 2008, 87 insoweit nicht abgedruckt). Das Verhältnis der einzelnen für sich genommen rechtsfehlerfrei festgestellten Handlungen zueinander bedarf jedoch einer erneuten umfassenden tatgerichtlichen Bewertung. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, namentlich zu den Einzelverkäufen (Fälle 1 bis 83) und den vom Angeklagten vorrätig gehaltenen Doping- und Arzneimitteln sind von dem Wertungsfehler nicht betroffen und können bestehen bleiben, wobei ergänzende hierzu nicht in Widerspruch stehende Feststellungen zulässig sind.
Rz. 12
Da der Schuldspruch insgesamt aufgehoben wird, braucht der Senat nicht zu vertiefen, ob die im Urteil nicht näher erläuterten Stoffe Liothyronin (UA S. 12) und Yohimbin (UA S. 22) Dopingmittel (§ 6a Abs. 2 AMG) darstellen und verschreibungspflichtig sind (vgl. § 43 Abs. 3 AMG). Dies wird gegebenenfalls noch auszuführen sein.
Rz. 13
4. Für die neu vorzunehmende Strafzumessung weist der Senat darauf hin, dass Inverkehrverbringen von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 lit. a AMG zwar das „Bodybuilding” und generell den Freizeitsport umfasst (BGH, Beschluss vom 5. August 2009 – 5 StR 248/09, BGHR AMG § 95 Abs. 1 Nr. 2a Dopingmittel 1). Denn jedenfalls vorrangiges Schutzgut dieser Bestimmungen ist die Gesundheit (BT-Drucks. 13/9996 S. 13; vgl. auch Volkmer in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Aufl., AMG § 95 Rn. 84; Raum in Kügel/Müller/Hofmann, AMG § 95 Rn. 17; Eschelbach in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 95 AMG Rn. 15; König in Grenzen des Paternalismus, Hrsg. Fateh-Moghadam/Sellmaier/Vossenkuhl, 2010, S. 267, 272 f., 277 ff.). Im Rahmen der konkreten Strafzumessung wird aber auch zu bedenken sein, ob die Dopingmittel – über die Selbstgefährdung des Einnehmenden hinaus – auch zu Wettkampfzwecken bestimmt waren, wodurch die Chancengleichheit und Fairness im Sport, unter Umständen auch Belange von möglichen Konkurrenten beeinträchtigt sein könnten. Zudem ist im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen, dass nur ein Teil der vom Angeklagten vertriebenen Arzneimittel zu Dopingzwecken im Sinne des § 6a AMG gedient haben, mithin nur hinsichtlich dieses Teils die Verwirklichung von zwei Straftatbeständen gegeben ist (vgl. BGH aaO Rn. 9).
Unterschriften
Raum, Brause, Schaal, Schneider, König
Fundstellen
Haufe-Index 2874238 |
NStZ 2012, 218 |
PharmaR 2012, 158 |
StRR 2012, 153 |
StRR 2012, 83 |
A&R 2012, 128 |