Verfahrensgang
LG Leipzig (Urteil vom 21.06.2011) |
Tenor
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 21. Juni 2011 nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben, soweit die Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist; die Maßregelanordnung entfällt.
2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
3. Die Entscheidung über die Entschädigung der Angeklagten wegen zu Unrecht erlittener einstweiliger Unterbringung bleibt dem Landgericht vorbehalten.
4. Der Unterbringungsbefehl des Landgerichts Leipzig vom 22. September 2010 wird aufgehoben. Die Angeklagte ist in dieser Sache sofort aus der einstweiligen Unterbringung zu entlassen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat die Angeklagte vom Vorwurf der – im Zustand verminderter Schuldfähigkeit begangenen – gefährlichen Körperverletzung in drei Fällen freigesprochen und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Auf die Revision der Angeklagten hebt der Senat – entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts – die Unterbringungsanordnung auf; diese entfällt.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet die Angeklagte spätestens seit dem Jahr 2006 an einer chronischen schizophrenen Psychose. Aufgrund dieser Erkrankung beging sie im Zustand der Schuldunfähigkeit folgende Taten:
Rz. 3
Im Juni 2008 versetzte sie einer im Leipziger Hauptbahnhof beschäftigten Reinigungskraft einen „kräftigen Faustschlag” in das Gesicht und warf später eine gefüllte Bierflasche, die sie zufällig im Bereich eines Abfallbehälters bemerkt hatte, „auf Hüfthöhe in Richtung der mehrere Meter entfernten Geschädigten” (UA S. 8). Außerdem schlug sie mehrfach mit einem dünnen Kunststoffbeutel nach ihr, in dem sich verpackte Imbissgerichte befanden.
Rz. 4
Im Januar 2009 beschmierte sie einen auf der Straße abgestellten Pkw im Bereich der Türgriffe mit Hundekot. Als sie von der Fahrzeugbesitzerin zur Rede gestellt wurde, beschimpfte sie diese, spuckte der ihr folgenden Frau ins Gesicht und schlug mit einer Lederhandtasche kräftig auf sie ein.
Rz. 5
In beiden Fällen sah die Strafkammer den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) als nicht belegt an, sondern würdigte die Taten als vorsätzliche Körperverletzungen. Hinsichtlich des weiteren Anklagepunktes wurde die Angeklagte aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine Misshandlung oder Gesundheitsbeschädigung des betroffenen Zeugen nicht nachweisbar war.
Rz. 6
2. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat Rechtsfehler insoweit ergeben, als das Landgericht die Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet hat. Diese hat keinen Bestand.
Rz. 7
Der Generalbundesanwalt hat hierzu zutreffend Folgendes ausgeführt:
„Die von der Angeklagten begangenen Taten siedeln allesamt im unteren Bereich der Kriminalität. Festgestellt sind ausnahmslos Beleidigungen und Körperverletzungshandlungen leichterer Art, deren Folgen in allen Fällen binnen Stunden, spätestens jedoch nach wenigen Tagen, vollständig abgeklungen waren.
Soweit die Angeklagte dabei auf ihr zur Verfügung stehende Gegenstände zurückgegriffen hatte, handelte es sich jeweils entweder um solche Tatobjekte, die für sich genommen kaum geeignet waren, erhebliche Verletzungen hervorzurufen (dünner Kunststoffbeutel mit verpackten Imbissgerichten, lederne Handtasche, mäßig heißer Tee), oder aber ihr Einsatz beschränkte sich auf solche Handlungen, die eine Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens von vornherein nicht erwarten ließen (Schlagen mit dünnem Imbissbeutel „seitwärts in Hüfthöhe” – UA S. 16; [nicht ausschließbar leichter] Wurf einer gefüllten Bierflasche gegen die Hüfte des Opfers ohne Verursachung von Schmerzen oder Verletzungen – UA S. 15).
Zwar hat sich das sachverständig beratene Landgericht – insoweit rechtsfehlerfrei – davon überzeugt, dass von der Angeklagten infolge ihres psychischen Zustands künftig weitere Rechtsverstöße zu erwarten sind, die nach Art und Schwere den festgestellten Taten entsprechen. Eine Gefahr der Begehung „erheblicher rechtswidriger Taten”, das heißt die Wahrscheinlichkeit höheren Grades für schwere Störungen des Rechtsfriedens (vgl. dazu BGH, Urteil vom 22. Juni 2006 – 3 StR 89/06 –, NStZ-RR 2006, 265; BGH, Urteil vom 27. November 2008 – 3 StR 450/08 –, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 30), ist damit jedoch nicht belegt.
An dieser Einschätzung ändert auch nichts, dass das Landgericht „kriminalprognostisch auch gravierende Körperverletzungsdelikte gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB” (UA S. 21) für möglich hält. Denn der zur Begründung dieser Erwartung herangezogene Umstand, die Angeklagte habe bei Begehung der ihr vorgeworfenen Handlungen auch gefährliche Werkzeuge eingesetzt und auf mögliche Verletzungen ihrer Opfer keine Rücksicht genommen (UA S. 21), steht zu den eingangs dargelegten Feststellungen in einem unauflöslichen Widerspruch und ist deshalb von vornherein nicht geeignet, eine die Maßregelanordnung rechtfertigende Gefahrprognose zu stützen.”
Rz. 8
3. Der Senat schließt aus, dass sich noch weitergehende Feststellungen zur Gefährlichkeit der Angeklagten treffen lassen. Er hebt daher den Maßregelausspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO auf und lässt die Maßregel wegfallen (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Mai 2005 – 4 StR 85/03, BGHR StPO § 354 Abs. 1 Sachentscheidung 8).
Rz. 9
4. Mit dem Maßregelausspruch ist auch die Grundlage für die einstweilige Unterbringung entfallen (§ 126a Abs. 2 Satz 1, § 126 Abs. 3 StPO).
Rz. 10
5. Die gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG nach Billigkeitsgesichtspunkten zu treffende Entscheidung über eine Entschädigung der Angeklagten wegen zu Unrecht erlittener einstweiliger Unterbringung bleibt dem Landgericht vorbehalten.
Unterschriften
Basdorf, Brause, Schaal, Schneider, König
Fundstellen