Leitsatz (amtlich)
Kindergeld ist im Sinne des Prozesskostenhilferechts auch nach der zum 1.1.2008 erfolgten Änderung des § 1612b BGB grundsätzlich Einkommen des Beziehers, soweit es nicht zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts eines minderjährigen Kindes zu verwenden ist (Anschluss an BGH v. 26.1.2005 - XII ZB 234/03, FamRZ 2005, 605).
Normenkette
ZPO § 115 Abs. 1 S. 2; SGB XII § 82 Abs. 1 S. 3
Verfahrensgang
OLG Köln (Beschluss vom 25.03.2015; Aktenzeichen II-12 WF 11/15) |
AG Brühl (Entscheidung vom 18.12.2014; Aktenzeichen 33 F 347/12) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten wird der Beschluss des 12. Zivilsenats - Familiensenat - des OLG Köln vom 25.3.2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Antragsgegnerin ist im vorliegenden Scheidungsverbundverfahren vom AG ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden. Bei der Berechnung der wirtschaftlichen Voraussetzungen hat das AG das von der Antragsgegnerin für den Sohn bezogene Kindergeld allein als Einkommen des Kindes angesehen. Der Betrag, mit dem das Kindergeld neben dem Kindesunterhalt den Freibetrag für das Kind übersteigt, ist deswegen nicht als Einkommen der Antragsgegnerin berücksichtigt worden.
Rz. 2
Das OLG hat die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatskasse zurückgewiesen. Dagegen richtet sich deren zugelassene Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.
Rz. 4
1. Nach Auffassung des OLG ist das Kindergeld nicht als Einkommen der Antragsgegnerin zu berücksichtigen. Zwar habe der BGH entschieden, dass Kindergeld, das die um Prozesskostenhilfe nachsuchende Partei beziehe, als deren Einkommen zu berücksichtigen sei, soweit es nicht zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts eines minderjährigen Kindes zu verwenden sei. Eine Anrechnung des Kindergelds als Einkommen des Elternteils verbiete aber nunmehr § 1612b BGB in der seit 1.1.2008 geltenden Fassung. Mit der Neuregelung habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass das Kind einen Anspruch auf die Auszahlung des Kindergelds oder die Erbringung entsprechender Naturalleistungen gegen den Elternteil habe, der das Kindergeld ausgezahlt erhalte. Damit wäre es unvereinbar, das Kindergeld im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe ganz oder anteilig als Einkommen der antragstellenden Partei zu berücksichtigen und sie auf diese Weise dazu zu zwingen, das Kindergeld wider die vom Gesetzgeber getroffene Zweckbestimmung nicht für das Kind, sondern zur Deckung der eigenen Verfahrenskosten zu verwenden.
Rz. 5
Das Kindergeld sei auch nicht hälftig als Einkommen der das Kind betreuenden Antragsgegnerin zu berücksichtigen. Denn neben der zur Anrechnung gelangenden und für den Barunterhalt einzusetzenden Hälfte des Kindergelds solle die weitere Hälfte den betreuenden Elternteil nach der gesetzgeberischen Intention bei der Erbringung der Betreuungsleistung unterstützen. Auch mit dieser Zielsetzung sei es nicht in Einklang zu bringen, das Kindergeld als Einkommen des Elternteils zu berücksichtigen. Das Kindergeld sei damit nur durch Abzug des auf das Kind entfallenden Freibetrags zu berücksichtigen, der vorliegend schon durch den bezogenen Kindesunterhalt ausgeschöpft werde.
Rz. 6
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 7
a) Nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz 2 ZPO gehören zum Einkommen im Sinne der Verfahrenskostenhilfe alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert. Der Senat hat bereits darauf hingewiesen, dass diese Definition mit derjenigen des § 82 Abs. 1 SGB XII wörtlich übereinstimmt und zudem hinsichtlich der vom Einkommen vorzunehmenden Abzüge in § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 ZPO auf § 82 Abs. 2 SGB XII verwiesen wird. Daraus wird deutlich, dass der Einkommensbegriff des § 115 Abs. 1 ZPO an denjenigen des Sozialhilferechts anknüpft. Dies erklärt sich auch daraus, dass Prozesskostenhilfe bzw. Verfahrenskostenhilfe eine Form der Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege darstellt (vgl. BGH v. 26.1.2005 - XII ZB 234/03, FamRZ 2005, 605; Christl FamRZ 2015, 1161 f.). Dementsprechend ist Kindergeld wie im Sozialhilferecht grundsätzlich als Einkommen des Beziehers zu betrachten (vgl. BSG FamRZ 2008, 51, 52 f. m.w.N.). Die gesetzliche Regelung zur grundsätzlichen Anrechnung des gesamten Kindergelds ist verfassungsrechtlich unbedenklich, soweit das Existenzminimum des Kindes gewahrt bleibt (vgl. BVerfG FamRZ 2010, 800 zur Anrechnung des Kindergelds auf das Sozialgeld nach § 28 SGB II).
Rz. 8
Eine Ausnahme gilt nach § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII bezüglich des Existenzminimums minderjähriger Kinder. Soweit das Kindergeld zur Deckung ihres notwendigen Lebensunterhalts benötigt wird, wird es vom Gesetz dem jeweiligen Kind als Einkommen zugerechnet. Dieser Gedanke ist auch im Recht der Prozesskostenhilfe bzw. Verfahrenskostenhilfe zu berücksichtigen (BGH, Beschl. v. 26.1.2005 - XII ZB 234/03, FamRZ 2005, 605, 606; vgl. Christl FamRZ 2015, 1161, 1162).
Rz. 9
b) Entgegen der Auffassung des OLG (ebenso OLG Rostock FamRZ 2013, 648; LAG Berlin-Brandenburg NZFam 2015, 82; Zöller/Geimer ZPO, 31. Aufl., § 115 Rz. 19) ergibt sich aus § 1612b BGB in der seit 1.1.2008 geltenden Fassung kein Korrekturbedarf bezüglich der sozialrechtlich orientierten Einkommensanrechnung nach § 115 Abs. 1 Satz 2 ZPO (so zutreffend OLG Karlsruhe FamRZ 2008, 1960 f.; OLG Bamberg FamRZ 2015, 349, 350; Christl FamRZ 2015, 1161, 1163; Seiler in Thomas/Putzo ZPO, 37. Aufl., § 115 Rz. 2; MünchKomm/ZPO/Wache 5. Aufl., § 115 Rz. 19; Hk-ZPO/Kießling 6. Aufl., § 115 Rz. 12; vgl. bereits BGH v. 5.5.2010 - XII ZB 65/10, FamRZ 2010, 1324 Rz. 29).
Rz. 10
§ 1612b BGB betrifft den zivilrechtlichen Ausgleich des Kindergelds unter den Eltern. Die Eltern sind öffentlich-rechtlich grundsätzlich beide nach §§ 62, 63 EStG kindergeldberechtigt. Da das Kindergeld aber zum Zweck der Verwaltungsvereinfachung nur einem Elternteil als Bezugsberechtigtem ausgezahlt wird (§ 64 EStG), bedarf es eines Ausgleichs zwischen den Eltern, der gem. § 1612b Abs. 1 BGB auf zivilrechtlichem Weg vorwiegend durch Anrechnung auf den Barbedarf des Kindes gewährleistet wird (zum familienrechtlichen Ausgleichsanspruch vgl. BGH v. 20.4.2016 - XII ZB 45/15, FamRZ 2016, 1053 Rz. 10 ff.). Außerdem gewährt § 1612b Abs. 1 Satz 1 BGB in bestimmten Fällen einen Auskehrungsanspruch des Kindes (BT-Drucks. 16/1830, 30; vgl. BGH BGHZ 164, 375 = FamRZ 2006, 99, 102).
Rz. 11
Die Vorschrift regelt mithin zivilrechtlich zu beurteilende Fragen des familienrechtlichen Ausgleichs im Rahmen der Festsetzung des Kindesunterhalts, nicht aber die öffentlich-rechtliche Einkommensanrechnung im Rahmen der Sozialhilfe oder der ihr insoweit entsprechenden Prozesskostenhilfe. Durch die zum 1.1.2008 geänderte Anrechnungsweise hat sich daran nichts geändert, so dass § 1612b BGB nach wie vor keinen Einfluss auf die sozialhilferechtliche Einkommensanrechnung hat. Die Zweckbindung des § 1612b BGB für die Verwendung des Kindergelds hat daher nur familienrechtliche Wirkungen und bleibt auf diese beschränkt. Aus § 1612b Abs. 1 BGB geht zudem hervor, dass eine Zuwendung des Kindergelds an das Kind eines besonderen Zuwendungsakts seitens des das Kindergeld beziehenden Elternteils bedarf (zutreffend OLG Karlsruhe FamRZ 2008, 1960, 1961; vgl. auch § 74 EStG). Dementsprechend sieht das BSG das Kindergeld auch unter der heutigen Rechtslage unverändert als Einkommen des beziehenden Elternteils an (BSGE 113, 221 Rz. 20).
Rz. 12
Das Sozialhilferecht bzw. das Prozesskostenhilferecht einerseits und das Unterhaltsrecht andererseits folgen unterschiedlichen Regeln (BGH, Beschl. v. 26.1.2005 - XII ZB 234/03, FamRZ 2005, 605, 606). Die Zweckbindung in § 1612b Abs. 1 BGB kann mithin nicht dazu führen, eine ausdrückliche sozialhilferechtliche bzw. prozesskostenhilferechtliche Regelung der Bedarfs- und Einkommensermittlung, wie sie in § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2b ZPO und § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII bezüglich des Bedarfs des Kindes und des Kindergelds vom Gesetzgeber getroffen worden ist, durch eine abweichende familienrechtliche Wertung zu ersetzen.
Rz. 13
c) Nach den vorstehenden Grundsätzen ist das Kindergeld vorliegend jedenfalls teilweise als Einkommen der Antragsgegnerin zu berücksichtigen, so dass die Anordnung einer Ratenzahlung in Betracht kommt.
Rz. 14
3. Der angefochtene Beschluss ist deswegen aufzuheben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, schon weil das OLG - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht alle Positionen der Einkommensermittlung abschließend geklärt hat. Auch hat das OLG noch keine Betrachtung vorgenommen, ob das Kindergeld teilweise zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts des Kindes benötigt wird (vgl. BGH v. 26.1.2005 - XII ZB 234/03, FamRZ 2005, 605, 606). Die Sache ist somit an das OLG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 10330992 |
NJW 2017, 9 |
NJW 2017, 962 |
FamRZ 2017, 633 |
FuR 2017, 257 |
JurBüro 2017, 144 |
JZ 2017, 256 |
MDR 2017, 354 |
Rpfleger 2017, 290 |
AGS 2017, 233 |
FF 2017, 176 |
FamRB 2017, 141 |
RVGreport 2017, 155 |
EE 2017, 55 |
FK 2017, 55 |