Entscheidungsstichwort (Thema)
versuchter Totschlag
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 22. September 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchtem Totschlag zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt. Dagegen wendet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Das Rechtsmittel hat Erfolg. Das Landgericht hat nicht erörtert, ob der Angeklagte vom Versuch des Totschlags mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten ist (§ 24 StGB), obwohl nach den getroffenen Feststellungen dazu Anlaß bestand.
1. Der Angeklagte wollte sich auf einer Faschingsfeier am 24./25. Februar 1998 an dem Zeugen S. rächen, von dem er sich gedemütigt fühlte. Zwei Tage zuvor war er von S. am Kragen gepackt und gegen eine Hauswand gedrückt worden, nachdem er zusammen mit anderen Jugendlichen fortwährend leere Flaschen auf die Straße geworfen hatte, die S. gekehrt hatte. Als auf der Feier ein Tumult enstand, lief der Angeklagte mit einem aufgeklappten Butterflymesser, das eine Klingenlänge von 11 cm aufwies, auf S. zu, rief „Ich bring' Dich um” oder „Ich mach' Dich kalt” und trat S. mit solcher Wucht gegen die Brust, daß dieser zu Boden fiel. Nachdem S. wieder aufgestanden war, brachte der Angeklagte ihn mit einem weiteren Tritt erneut zu Fall und versetzte dem am Boden liegenden S. mit dem beschuhten Fuß einen Tritt gegen den Körper. Nunmehr wollte der Zeuge M. die Streitenden trennen, was ihm jedoch nicht gelang, da der Angeklagte ihm mit dem Messer eine Verletzung an der Hand zufügte. Sodann lief der Angeklagte in Richtung Tür, wurde jedoch von S., der inzwischen wieder aufgestanden war, eingeholt. Als der Angeklagte erneut einen Tritt gegen die Brust des S. führen wollte, konnte S. den Angeklagten packen und zu Boden bringen. Spätestens als S. den Angeklagten am Boden überwältigt hatte, möglicherweise aber auch schon vorher, als S. nach einem der Tritte am Boden lag, stach der Angeklagte das Messer mit bedingtem Tötungsvorsatz kraftvoll in den Rücken des S. im unteren Bereich des linken Schulterblattes. Der Stich drang in den Brustraum ein, durchspießte die Thoraxwand, was zu einem lebensbedrohlichen Hämatopneumothorax führte, und endete etwa 5 cm vor dem Herzen. In der Aufregung bemerkte S. den Stich nicht. Er kniete schließlich auf der Brust des Angeklagten und redete auf diesen ein, um ihn zur Aufgabe zu bewegen. Sodann ließ er den Angeklagten los, der aufstand und mit dem Messer in der Hand unbehelligt hinausging.
2. Nach diesen Feststellungen war eine Auseinandersetzung mit der Frage eines strafbefreienden Rücktritts des Angeklagten vom versuchten Totschlag erforderlich. Dabei hätte sich das Landgericht mit den Vorstellungen des Angeklagten nach Abschluß der letzten Ausführungshandlung (sog. „Rücktrittshorizont”, vgl. BGHSt 31, 170, 175; BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 17) befassen und darlegen müssen, ob ein unbeendeter oder beendeter Totschlagsversuch gegeben ist (vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 31). Daß der Angeklagte nach dem Messerstich mit der Möglichkeit gerechnet hätte, die S. beigebrachten Verletzungen könnten zu dessen Tode führen, kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Der Umstand, daß S., der die Verletzung nicht einmal selbst bemerkt hatte, zumindest noch auf dem Angeklagten gekniet und auf diesen eingeredet hat, spricht vielmehr gegen den Eindruck eines tödlich Verletzten und damit gegen einen beendeten Versuch. Rechnet der Täter jedoch (noch) nicht mit dem Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges und war die Vollendung aus seiner Sicht noch möglich, so liegt ein unbeendeter Versuch vor, bei dem das bloße freiwillige Aufgeben der weiteren Tatausführung zur Strafbefreiung nach § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB führt. Den Urteilsfeststellungen kann nicht entnommen werden, daß es dem Angeklagten durch das Eingreifen Dritter oder die Gegenwehr des S. unmöglich war, weiter auf S. einzustechen. Subjektive oder objektive Umstände, die ihn daran gehindert haben könnten (vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Freiwilligkeit 8), sind auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht zu entnehmen.
3. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei wird der neue Tatrichter auch Gelegenheit haben zu erörtern, ob sich der Angeklagte bei der Ausführung des Messerstiches möglicherweise in einer Notwehrlage befunden hat und ob gegebenenfalls seine Verteidigung über das Maß des Erforderlichen hinausgegangen ist.
Unterschriften
Jähnke RiBGH Detter ist infolge Urlaubs verhindert, seine Unterschrift beizufügen. Jähnke, Niemöller, Bode, Otten
Fundstellen