Leitsatz (amtlich)
Allein die Gesetzesänderung betreffend den Wegfall des sog. Rentner- bzw. Pensionistenprivilegs (§ 101 Abs. 3 Satz 1 SGB VI a.F., § 57 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG a.F.) rechtfertigt eine auf § 27 VersAusglG gestützte Korrektur des Versorgungsausgleichs zu Lasten des ausgleichsberechtigten Ehegatten nicht (im Anschluss an Senatsbeschluss v. 8.4.2015 - XII ZB 428/12 - zur Veröffentlichung bestimmt).
Normenkette
VersAusglG § 27
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 8. Senats für Familiensachen des OLG Düsseldorf vom 7.4.2014 wird auf Kosten des Antragsgegners zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 1.170 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die im März 1982 geschlossene Ehe der beteiligten Eheleute wurde auf einen im Mai 2012 zugestellten Scheidungsantrag rechtskräftig geschieden. Aus der Ehe sind zwei gemeinsame Kinder hervorgegangen, von denen das eine verstorben, das andere nicht mehr unterhaltsbedürftig ist.
Rz. 2
Der 54-jährige Antragsgegner (im Folgenden: Ehemann) ist Postbeamter, der im Jahr 2004 nach einem Schlaganfall wegen Dienstunfähigkeit in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurde. Er hat in der Ehezeit ein Anrecht auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen i.H.v. 1.289,70 EUR mit einem Ausgleichswert von 644,85 EUR erlangt. Daneben hat der Ehemann Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung mit einem Ehezeitanteil von 2,6266 Entgeltpunkten und einem Ausgleichswert von 1,3133 Entgeltpunkten erworben, aus denen er - wegen fehlender Dreifünftelbelegung mit Pflichtbeitragszeiten (§ 43 SGB VI) - keine Invaliditätsversorgung beziehen kann.
Rz. 3
Die 51-jährige Antragstellerin (im Folgenden: Ehefrau) hat in der Ehezeit Anrechte der gesetzlichen Rentenversicherung i.H.v. 10,5382 Entgeltpunkten mit einem Ausgleichswert von 5,2691 Entgeltpunkten erworben, die zum großen Teil aus Kindererziehungszeiten herrühren.
Rz. 4
Das AG hat den ungekürzten Versorgungsausgleich durchgeführt. Auf die dagegen gerichtete Beschwerde des Ehemanns hat das OLG, dessen Entscheidung in FamRZ 2014, 1463 veröffentlicht ist, den Ausgleichswert der beamtenrechtlichen Versorgung des Ehemanns von 644,85 EUR auf 486,27 EUR herabgesetzt und das weitergehende Rechtsmittel zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Ehemanns, der weiterhin einen vollständigen Ausschluss des Versorgungsausgleichs erstrebt.
II.
Rz. 5
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 6
1. Gemäß § 27 VersAusglG findet der Versorgungsausgleich ausnahmsweise nicht statt, wenn und soweit er grob unbillig wäre. Eine grobe Unbilligkeit liegt nur dann vor, wenn im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände die rein schematische Durchführung des Ausgleichs dem Grundgedanken des Versorgungsausgleichs, nämlich eine dauerhaft gleichwertige Teilhabe beider Ehegatten an den in der Ehezeit insgesamt erworbenen Versorgungsanrechten zu gewähren, dem Gerechtigkeitsgedanken in unerträglicher Weise widersprechen würde. Die im Verfahren der Rechtsbeschwerde ohnehin nur eingeschränkt überprüfbaren (BGH v. 19.9.2012 - XII ZB 649/11, FamRZ 2013, 106 Rz. 16; v. 30.3.2011 - XII ZB 54/09, FamRZ 2011, 877 Rz. 11 m.w.N.) Erwägungen des Beschwerdegerichts zur Anwendung von § 27 VersAusglG stehen im Einklang mit den von der Senatsrechtsprechung entwickelten Grundsätzen und lassen keine Rechtsfehler zu Lasten des Antragsgegners erkennen.
Rz. 7
a) Es ist für sich genommen noch nicht grob unbillig i.S.v. § 27 VersAusglG, wenn der Ausgleichsberechtigte über den ungekürzten Versorgungsausgleich daran partizipiert, dass sich der Wert eines in der Ehezeit von dem Ausgleichspflichtigen erworbenen Anrechts wegen der Besonderheiten des maßgeblichen Versorgungssystems durch den Eintritt der vorzeitigen Invalidität erhöht hat (Senat, Beschl. v. 8.4.2015 - XII ZB 428/12 - zur Veröffentlichung bestimmt; vgl. auch BVerfG FamRZ 2001, 277). Allerdings kann unter Billigkeitsgesichtspunkten eine Herabsetzung des Versorgungsausgleichs (höchstens) auf den ohne Eintritt der vorzeitigen Invalidität geschuldeten Betrag gerechtfertigt sein, wenn ein ausgleichspflichtiger Beamter wegen Dienstunfähigkeit eine durch beamtenrechtliche Zurechnungszeiten (§ 13 BeamtVG) erhöhte Invaliditätsversorgung bezieht und der Ausgleichsberechtigte durch die ungekürzte Teilhabe an diesem Anrecht eine im Verhältnis zum Ausgleichspflichtigen unverhältnismäßig hohe Altersversorgung erlangen würde (vgl. Senatsbeschluss v. 8.4.2015 - XII ZB 428/12 - zur Veröffentlichung bestimmt m.w.N.; grundlegend BGH BGHZ 82, 66, 80 = FamRZ 1982, 36, 41).
Rz. 8
Auf diese Grundsätze hat sich das Beschwerdegericht bezogen, als es den auf der Grundlage des tatsächlich bezogenen Ruhegehalts ermittelten Ausgleichswert der beamtenrechtlichen Versorgung des Ehemanns (644,85 EUR) auf den fiktiv ermittelten Wert (486,27 EUR) herabgesetzt hat, der sich bei einem Verbleib des Ehemanns im aktiven Dienst ergeben hätte. Diese für den Ehemann günstige Beurteilung wird von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen.
Rz. 9
b) Ein darüber hinaus gehender Ausschluss des Versorgungsausgleichs kommt nicht in Betracht. Das Beschwerdegericht hat mit Recht und mit zutreffender Begründung erkannt, dass dies im vorliegenden Fall nicht deshalb geboten ist, weil die laufende Invaliditätsversorgung des Ehemanns in der Zeit, in der die Ehefrau ihrerseits noch nicht verrentet ist, nicht mehr durch das sog. Pensionistenprivileg (§ 57 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG a.F.) vor den Auswirkungen des Versorgungsausgleichs geschützt wird.
Rz. 10
aa) Zwar schlägt sich infolge der Abschaffung des Pensionistenprivilegs die Kürzung der Versorgung bei dem Ausgleichsverpflichteten vorübergehend noch nicht in der Auszahlung von Versicherungsleistungen an den Ausgleichsberechtigten nieder. Dies beruht jedoch auf der dem Versorgungsausgleich zugrunde liegenden Konzeption der sofortigen Verselbständigung der ausgleichsbedingt geteilten Versorgungsanrechte, die infolge der Teilung eigenständigen und voneinander unabhängigen Versicherungsverläufen folgen (BVerfG FamRZ 2015, 389, 391; vgl. bereits BVerfG FamRZ 2014, 1259 Rz. 59). Soweit sich aus der Kürzung der laufenden Versorgung deshalb eine Härte für den von der Einbeziehung seiner Versorgungsanrechte in den Versorgungsausgleich betroffenen Rentner oder Pensionär ergibt, liegt diese Härte in dem auf sofortigen und endgültigen Vollzug gerichteten System des Versorgungsausgleichs begründet. Der Senat hat bereits in seiner früheren Rechtsprechung betont, dass Härteklauseln im Versorgungsausgleich keine generelle Korrektur rein systembedingter Belastungen für den ausgleichspflichtigen Ehegatten ermöglichen, sondern - vorbehaltlich sonstiger Herabsetzungsgründe - grundsätzlich erst dann eingreifen können, wenn die Durchführung des ungekürzten Versorgungsausgleichs zu einem erheblichen und damit grob unbilligen wirtschaftlichen Ungleichgewicht zwischen den Eheleuten führen würde (vgl. BGH v. 14.2.2007 - XII ZB 68/03, FamRZ 2007, 627, 629 m.w.N.). Ohne das Vorliegen dieser Voraussetzungen rechtfertigt die Gesetzesänderung daher für sich genommen eine auf § 27 VersAusglG gestützte Korrektur des Versorgungsausgleichs zu Lasten des Ausgleichsberechtigten nicht (BGH, Beschl. v. 8.4.2015 - XII ZB 428/12 - zur Veröffentlichung bestimmt; vgl. auch Wick Der Versorgungsausgleich 3. Aufl. Rz. 558; Holzwarth FamRZ 2015, 475, 476).
Rz. 11
bb) Das Beschwerdegericht ist rechtsfehlerfrei zu der Beurteilung gelangt, dass die Durchführung des - restlichen - Versorgungsausgleichs nicht zu einem erheblichen und damit grob unbilligen wirtschaftlichen Ungleichgewicht zwischen den beteiligten Eheleuten führen würde. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats grundsätzlich erst dann der Fall, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung über den Versorgungsausgleich klar abzusehen ist, dass zum einen der auf Grundlage einer Vorsorgevermögensbilanz insgesamt ausgleichsberechtigte Ehegatte über so hohes Einkommen bzw. Vermögen verfügen wird, dass seine Altersversorgung voll abgesichert ist, während zum anderen der insgesamt ausgleichspflichtige Ehegatte auf die ehezeitlich erworbenen Versorgungsanrechte zur Sicherung seines Unterhalts dringend angewiesen ist (BGH v. 8.4.2015 - XII ZB 428/12 - zur Veröffentlichung bestimmt; v. 24.4.2013 - XII ZB 172/08, FamRZ 2013, 1200 Rz. 21; v. 5.11.2008 - XII ZB 53/06, FamRZ 2009, 303 Rz. 36 m.w.N.).
Rz. 12
Nach den von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts wird der Vollzug des von ihm angeordneten Versorgungsausgleichs nicht dazu führen, dass der Ehemann mit den ihm verbleibenden Nettobezügen unter das Existenzminimum in Höhe des notwendigen Selbstbehalts eines Nichterwerbstätigen absinkt. Bei seiner Berechnung hat das Beschwerdegericht zu Recht berücksichtigt, dass der Ehemann bei der Beteiligten zu 1) durch einen Antrag nach § 35 VersAusglG eine (teilweise) Aussetzung der Ruhegehaltskürzung erreichen kann, soweit er aus den ihm im Versorgungsausgleich vonseiten der Ehefrau übertragenen Anrechten der gesetzlichen Rentenversicherung keine (Invaliditäts-)Versorgung zu erlangen vermag. Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Annahme des Beschwerdegerichts, dass die - derzeit im Sozialleistungsbezug stehende - Ehefrau angesichts ihrer eingeschränkten Verdienstmöglichkeiten ihre künftige Versorgung wegen Alters oder Invalidität ohne den Zuerwerb von Versorgungsanrechten im Versorgungsausgleich nicht sicherstellen kann.
Rz. 13
2. Die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Gesetzesänderung betreffend den Wegfall des sog. Pensionistenprivilegs ist durch die Rechtsprechung des BVerfG geklärt (BVerfG FamRZ 2015, 389 ff.).
Rz. 14
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gem. § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
Fundstellen
Haufe-Index 7752189 |
EBE/BGH 2015 |
FamRZ 2015, 1004 |
FuR 2015, 3 |
JZ 2015, 370 |
NJW-Spezial 2015, 357 |
NZFam 2015, 722 |