Entscheidungsstichwort (Thema)
fahrlässiger Vollrausch
Leitsatz (amtlich)
Wurde neben der Ablehnung der Strafaussetzung zur Bewährung zugleich eine Maßregel nach den §§ 69, 69 a StGB angeordnet, so ist die Beschränkung der Berufung auf die Frage der Strafaussetzung nur dann unwirksam, wenn sich der Beschwerdeführer gegen insoweit doppelrelevante Feststellungen wendet oder die Bewährungsentscheidung mit der Maßregelanordnung eng verbunden ist, so daß die entstehende Gesamtentscheidung möglicherweise nicht frei von inneren Widersprüchen bleiben würde.
Normenkette
StGB §§ 56, 69, 69a; StPO § 318 S. 1
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OLG |
Tenor
Wurde neben der Ablehnung der Strafaussetzung zur Bewährung zugleich eine Maßregel nach den §§ 69, 69 a StGB angeordnet, so ist die Beschränkung der Berufung auf die Frage der Strafaussetzung nur dann unwirksam, wenn sich der Beschwerdeführer gegen insoweit doppelrelevante Feststellungen wendet oder die Bewährungsentscheidung mit der Maßregelanordnung eng verbunden ist, so daß die entstehende Gesamtentscheidung möglicherweise nicht frei von inneren Widersprüchen bleiben würde.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten u.a. wegen fahrlässigen Vollrauschs und vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr (ohne Bewährung) verurteilt und angeordnet, daß ihm vor Ablauf von drei Jahren keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf. Der Angeklagte hat seine gegen dieses Urteil gerichtete Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch, und hier auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung, beschränkt. Das Landgericht hat das Rechtsmittel verworfen. In seinem Urteil hat es sich nur mit der Strafaussetzung zur Bewährung befaßt; mit der angeordneten Maßregel hat es sich nicht auseinandergesetzt.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er (allgemein) die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht hält die Berufungsbeschränkung für wirksam und möchte die Revision als unbegründet verwerfen. Es sieht sich hieran jedoch durch den Beschluß des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 2. September 1999 – 2 b Ss 229/99 – 89/99 I (NZV 2000, 51 = VRS 98, 36) gehindert. In dieser Entscheidung wird die Rechtsauffassung vertreten, daß zwischen der Frage der Strafaussetzung zur Bewährung und der Anordnung einer Sperrfrist wegen charakterlicher Ungeeignetheit – wie hier – in der Regel ein unlösbarer Zusammenhang bestehe, so daß ein Urteil, das von einer rechtswirksamen Beschränkung der Berufung des Angeklagten auf die Frage der Strafaussetzung ausgegangen sei, auch dann aufgehoben werden müsse, wenn sich mit der Verwerfung der Berufung ein Widerspruch zu der angeordneten Maßregel nicht ergeben habe.
Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht hat deshalb die Sache gemäß § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über folgende Rechtsfrage vorgelegt:
„Ist bei wirksamer Beschränkung der Berufung auf den Strafausspruch die weitere Beschränkung der Berufung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung wirksam, wenn neben der Ablehnung der Strafaussetzung zugleich eine isolierte Sperre gemäß §§ 69 a Abs. 1 Satz 3, 69 StGB angeordnet worden ist?”
Der Generalbundesanwalt hat beantragt zu entscheiden:
„Wurde neben der Ablehnung der Strafaussetzung zur Bewährung zugleich eine Maßregel nach §§ 69, 69 a StGB angeordnet, dann hängt die Wirksamkeit der Beschränkung des Rechtsmittels allein auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung von der Beurteilung des Einzelfalles ab.”
II.
Die Vorlegungsvoraussetzungen sind erfüllt.
1. Die vorgelegte Rechtsfrage ist entscheidungserheblich. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht kann die Revision nicht wie beabsichtigt als unbegründet verwerfen, ohne von tragenden Gründen der Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf abzuweichen. Nach Auffassung dieses Gerichts wäre die Berufungsbeschränkung unwirksam.
2. Die Streitfrage, ob ein Rechtsmittel wirksam auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt werden kann, wenn neben der – ohne Strafaussetzung – verhängten Strafe zugleich eine Maßregel nach den §§ 69, 69 a StGB angeordnet worden ist, wurde vom Bundesgerichtshof bisher noch nicht so eindeutig entschieden, daß das vorlegende Gericht ohne Verstoß gegen seine Vorlagepflicht vom Oberlandesgericht Düsseldorf hätte abweichen können. Das Urteil des 1. Strafsenats vom 7. Februar 1961 (1 StR 598/60 = BGHSt 15, 316), auf das sich das Oberlandesgericht Düsseldorf zur Begründung seiner Rechtsauffassung beruft, betraf die Frage einer wirksamen Rechtsmittelbeschränkung, wenn – bei Verhängung einer Freiheitsstrafemit Bewährung – allein die Anordnung der Maßregel angegriffen wird. Die Entscheidung, in der die Frage der Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung nicht erörtert wird, geht zwar davon aus, daß ein unlösbarer Zusammenhang zwischen beiden Rechtsfolgen nicht bestehe (vgl. auch BGH VRS 18, 347, 348, 350); da jedoch zwischen den Oberlandesgerichten Zweifel über die Reichweite der Entscheidung bestehen, verbleibt es bei der Vorlagepflicht (vgl. BGHSt 34, 90, 92; 34, 94, 97; 45, 140, 142).
3. Die Vorlegungsfrage ist jedoch zu eng gefaßt. Sie betrifft nämlich nicht nur die Anordnung einer isolierten Sperre, sondern stellt sich in gleicher Weise bei einer Entziehung der Fahrerlaubnis mit gleichzeitiger Bestimmung einer Sperrfrist. Der Senat dehnt sie daher hierauf aus, um eine umfassende Entscheidung zu treffen (vgl. BGHSt 43, 277, 282; Hannich in KK 4. Aufl. § 121 GVG Rdn. 46 m.w.N.).
III.
Der Senat beantwortet die Vorlegungsfrage wie aus der Beschlußformel ersichtlich.
1. Umstritten ist zwischen den Oberlandesgerichten lediglich das Regel-Ausnahme-Verhältnis der Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung auf die Strafaussetzungsfrage, wenn neben der Freiheitsstrafe ohne Bewährung zugleich eine Maßregel nach den §§ 69, 69 a StGB angeordnet wurde und Grundlage für diese Anordnung Charaktermängel des Angeklagten sind. Unstreitig ist, daß eine Rechtsmittelbeschränkung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung grundsätzlich möglich ist (s. §§ 318 Satz 1, 344 Abs. 1 StPO; BGHSt 24, 164, 165; BGH NStZ 1982, 285, 286; NJW 1983, 1624; StV 1992, 230; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 318 Rdn. 20 m.w.N.). Allerdings gilt dies nur, wenn – wie bei jeder wirksamen Rechtsmittelbeschränkung – der Beschwerdepunkt nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von dem nicht angefochtenen Teil rechtlich und tatsächlich selbständig geprüft und beurteilt werden kann, ohne daß eine Überprüfung der Entscheidung im übrigen erforderlich ist, und wenn die nach dem Teilrechtsmittel stufenweise entstehende Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleibt (st. Rspr., s. nur BGHSt 24, 185, 187 f.; 29, 359, 364 f.; 38, 362, 363, 364; 39, 208, 209; 41, 57, 59; BGH NStZ-RR 1999, 359).
2. Danach wäre die Beschränkung des Rechtsmittels auf die Frage der Strafaussetzung unzulässig, wenn zwischen der Aussetzungsfrage und der Verhängung der Maßregel nach den §§ 69, 69 a StGB (wegen charakterlicher Mängel) eine untrennbare Wechselbeziehung bestünde oder wenn beiden Entscheidungen im wesentlichen inhaltsgleiche Erwägungen zugrunde lägen und deshalb ohne die Gefahr von Widersprüchen eine selbständige Prüfung allein des angefochtenen Teils nicht möglich wäre (vgl. BGHSt 38, 362, 364; BGH NStZ 1994, 449; BGHR StPO § 344 Abs. 1 Beschränkung 1; OLG Düsseldorf NZV 2000, 214; OLG Stuttgart MDR 1997, 382, 383).
Das ist aber regelmäßig nicht der Fall:
a) Voraussetzung für die Bewilligung von Strafaussetzung zur Bewährung ist die begründete Erwartung, daß der Täter sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen läßt und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (§ 56 Abs. 1 Satz 1 StGB). Bei der zu treffenden Prognoseentscheidung ist eine Gesamtwürdigung vorzunehmen, bei der namentlich die Persönlichkeit des Täters, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen sind, die von der Strafaussetzung für ihn zu erwarten sind (§ 56 Abs. 1 Satz 2 StGB). Die Art der begangenen Straftat ist für die Frage der Strafaussetzung grundsätzlich ohne Bedeutung (vgl. BGHSt 6, 298, 299 f.; Lackner/Kühl StGB 23. Aufl. § 56 Rdn. 9).
Die Anordnung einer Maßregel nach den §§ 69, 69 a StGB setzt voraus, daß der Täter eine rechtswidrige Tat bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat und sich aus der Tat ergibt, daß er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist (§ 69 Abs. 1 Satz 1 StGB). Die Ungeeignetheit muß noch zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung bestehen, und vom Täter müssen weitere Verletzungen der Kraftfahrerpflichten zu erwarten sein (s. BGHSt 7, 165, 175 ff.; 15, 316, 319; BGH StV 1994, 314, 315; 1995, 301; 1999, 18; 1999, 18, 19). Nach der gesetzlichen Bewertung bedarf es in Fällen in denen – wie im Vorlegungsfall – der Täter in § 69 Abs. 2 StGB aufgeführte Verkehrsdelikte begangen hat, regelmäßig keiner (eingehenden) Begründung der charakterlichen Ungeeignetheit (BGH StV 1995, 301).
b) Aus den unterschiedlichen gesetzlichen Voraussetzungen für die Strafaussetzung zur Bewährung einerseits – eine positiveSozialprognose – und die Anordnung einer Maßregel nach den §§ 69, 69 a StGB andererseits – ein (gegenwärtiger)Eignungsmangel und (für die Sperrfrist) eineEignungsprognose – wird deutlich, daß auch die Entscheidungen unterschiedlich ausfallen können (vgl. hierzu Geppert in LK 11. Aufl. § 69 Rdn. 60, 240). Es entspricht daher gefestigter Rechtsprechung, daß sich die Bewilligung von Strafaussetzung zur Bewährung und die Anordnung von Maßregeln nach den §§ 69, 69 a StGB – auch wegen charakterlicher Ungeeignetheit – nicht gegenseitig ausschließen (vgl. BGHSt 15, 316, 318 f. [„scheinbarer Gegensatz”]; s. auch BGH VRS 25, 426, 428; 28, 420, 423; 29, 14, 15; OLG Celle MDR 1956, 693; OLG Düsseldorf NStZ 1997, 495; OLG Hamburg NJW 1963, 459, 460; OLG Hamm DAR 1955, 254, 255; OLG Köln NJW 1956, 113; OLG Stuttgart NJW 1956, 1119 f.; aus der Literatur s. etwa Grethlein DAR 1957, 253, 256; Hentschel, Trunkenheit – Fahrerlaubnisentziehung – Fahrverbot, 8. Aufl., Rdn. 648; Stree in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 56 Rdn. 12, § 69 Rdn. 21; Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 56 Rdn. 2, § 69 Rdn. 5; Lackner/Kühl aaO § 56 Rdn. 7, § 69 Rdn. 4).
Dies wird auch aus dem der Vorlegung zugrunde liegenden Fall deutlich:
Dort wird – sowohl im Urteil des Amtsgerichts als auch in dem des Berufungsgerichts – die Nichtbewilligung der Strafaussetzung zwar auch mit den (unstreitig vorliegenden) Vorstrafen des Angeklagten, maßgeblich und im einzelnen aber damit begründet, daß die „gegenwärtigen Lebensumstände” des Angeklagten eine positive Prognose nicht zuließen. Zur Begründung der (isolierten) Sperre wird in dem Urteil des Amtsgerichts ausgeführt, daß diese wegen der Anlaßtaten (§ 69 Abs. 2 Nr. 2 und 4 StGB) anzuordnen sei; lediglich die Dauer der Sperrfrist wird mit den (einschlägigen) Vorverurteilungen begründet. Ein „unlösbarer Zusammenhang” zwischen den Erwägungen zur Frage der Strafaussetzung und denjenigen zur Anordnung der Sperre ist dem Urteil nicht zu entnehmen.
3. Wenn somit (materiell-rechtlich) eine Trennbarkeit zwischen der Strafaussetzung und der Anordnung der Maßregel besteht, so liegt kein Grund vor, (regelmäßig) eine getrennte Anfechtbarkeit nicht anzuerkennen; denn die dem Rechtsmittelberechtigten in § 318 Satz 1 StPO eingeräumte Verfügungsmacht über den Umfang der Anfechtung gebietet es, den in Rechtsmittelerklärungen zum Ausdruck kommenden Gestaltungswillen im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren (s. BGHSt 14, 30, 36; 29, 359, 364). Das Rechtsmittelgericht kann und darf daher regelmäßig diejenigen Entscheidungsteile nicht nachprüfen, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt wird (BGHSt 24, 185, 188; 29, 359, 364; 38, 362, 364).
4. Der Grundsatz der im Normalfall zulässigen Berufungsbeschränkung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung gilt jedoch nicht uneingeschränkt:
a) Soweit bestimmte Feststellungen doppelrelevant sind (im Vorlegungsfall: die zu den Vorstrafen), ist die Beschränkung des Rechtsmittels dann unwirksam, wenn sich der Beschwerdeführer nach dem erkennbaren Sinn und Ziel seines Rechtsmittels gegen diese Feststellungen wendet (s. BGHSt 29, 359, 368; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 309; OLG Stuttgart MDR 1997, 382, 383). Die Beschränkung ist auch dann unwirksam, wenn die Bewährungsentscheidung mit der Maßregelanordnung „eng verzahnt” ist (vgl. OLG Stuttgart MDR 1997, 382, 383; s. auch BGHSt 38, 362, 363: „untrennbare Wechselwirkung”), so daß deshalb die Gefahr besteht, daß die (stufenweise) entstehende Gesamtentscheidung nicht frei von inneren Widersprüchen bleiben würde (vgl. BGHSt 10, 379, 382 f.).
b) Ob die Beschränkung nach diesen Grundsätzen wirksam ist, hat das Rechtsmittelgericht aufgrund der Umstände des Einzelfalles zu bewerten, wobei die Beurteilung endgültig erst aus der Sicht des Beratungsergebnisses bei Erlaß des Berufungsurteils vorzunehmen ist (s. BGHSt 27, 70, 72; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 24. Aufl. § 318 Rdn. 4 m.w.N.). Da die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen regelmäßig ausgeschlossen sein wird, wenn das (mit nachvollziehbaren Gründen) von einer zulässigen Beschränkung ausgehende Berufungsgericht hierbei zu der Überzeugung gelangt, das auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkte Rechtsmittel sei zu verwerfen, ist die Beschränkung wirksam, selbst wenn eine andere Auffassung zur Frage der Beschränkbarkeit vertretbar ist (vgl. BayObLG VRS 97, 359, 360: Beurteilungsspielraum des Berufungsrichters; sowie OLG Hamburg VRS 60, 209, 210; Geppert aaO Rdn. 240).
Unterschriften
Meyer-Goßner, Maatz, Kuckein, Athing, Solin-Stojanovi[cacute]
Fundstellen
Haufe-Index 599986 |
BGHSt |
BGHSt, 32 |
NJW 2001, 3134 |
JR 2002, 113 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 2001, 1017 |
JuS 2002, 89 |
NZV 2001, 434 |
VersR 2001, 1438 |
NPA 2002, 0 |