Verfahrensgang
LG Paderborn (Urteil vom 11.10.2019; Aktenzeichen 10 Js 346/18 1 Ks 19/19) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 11. Oktober 2019 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags und vorsätzlichen unerlaubten Waffenbesitzes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und den Vorwegvollzug eines Teils der Freiheitsstrafe bestimmt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen begegnete der Angeklagten am Tattag zwischen 23:52 und 0:00 Uhr beim Ausführen eines Hundes zufällig dem mit ihm seit Jahren verfeindeten Geschädigten. Dieser beschimpfte den Angeklagten, packte ihn an der Jacke und versetzte ihm einen Kopfstoß. Im Verlauf der folgenden Auseinandersetzung mit wechselseitigen Faustschlägen ergriff der Angeklagte ein Messer und stach damit unter billigender Inkaufnahme tödlicher Verletzungen mehrfach mit erheblicher Wucht gezielt auf den Körper des unbewaffneten Geschädigten ein. Er fügte diesem sieben Stich- und Schnittverletzungen zu; zwei Stiche verletzten den Geschädigten derart, dass dieser binnen weniger Minuten am Ort des Geschehens verstarb (Fall II.1. der Urteilsgründe). Anschließend begab sich der Angeklagte zurück nach Hause und versteckte zwei bis dahin in seinem Zimmer gelagerte Schlagringe im Gartenhaus auf dem elterlichen Grundstück, wo sie wenige Tage später bei einer Durchsuchung aufgefunden wurden (Fall II.2. der Urteilsgründe).
Rz. 3
2. Das Landgericht hat im Fall II.1. der Urteilsgründe einen minder schweren Fall des Totschlags nach § 213 1. Alt. StGB angenommen, da der Angeklagte durch die Provokation und Misshandlung durch den Getöteten zum Zorn gereizt und auf der Stelle zur Tat hingerissen wurde. Im Fall II.2. der Urteilsgründe hat es auf einen Verstoß gegen § 52 Abs. 3 Nr. 1, § 2 Abs. 3 WaffG i.V.m. Anlage 2 Abschnitt 1 Nr. 1.3.2 zum WaffG erkannt.
Rz. 4
3. Die getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch. Auch der Strafausspruch ist frei von durchgreifenden Rechtsfehlern zum Nachteil des Angeklagten.
Rz. 5
4. Dagegen hält die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) rechtlicher Prüfung nicht stand.
Rz. 6
a) Das Landgericht hat insoweit – sachverständig beraten – beim Angeklagten zur Tatzeit eine Abhängigkeit von Alkohol mit episodischem Substanzgebrauch und einer Abhängigkeit von Cannabinoiden mit ständigem Substanzgebrauch angenommen und darin einen Hang im Sinne des § 64 StGB gesehen. Am Tattag rauchte er bis etwa drei Stunden vor der Tat mehrere Joints mit insgesamt 1,2 bis 1,5 Gramm Cannabis. Aufgrund des Umstandes, dass der Angeklagte am Tattag unter dem Einfluss von Cannabis stand, sei auch von dem Bestehen eines symptomatischen Zusammenhanges zwischen der Tat und dem Hang auszugehen, denn nach den Ausführungen des Sachverständigen „könne auch der unbegrenzte Konsum von Cannabis zu einer Enthemmung führen und sich in einer Neigung zu aggressivem Verhalten zeigen.”
Rz. 7
b) Die Feststellungen tragen die Annahme des Landgerichts nicht, die abgeurteilte Tat zu II.1. der Urteilsgründe habe Symptomwert für den Hang des Angeklagten zum übermäßigen Konsum von Cannabis.
Rz. 8
aa) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt setzt nach § 64 Satz 1 StGB voraus, dass die Anlasstat im Rausch begangen wurde oder zumindest mitursächlich auf den Hang zurückgeht, wobei die erste auf die Intoxikationswirkung des Rauschmittels abstellende Alternative einen Unterfall der zweiten Alternative darstellt. Erforderlich ist, dass die konkrete Tat in dem Hang ihre Wurzel findet, sie also Symptomwert für den Hang des Täters zum Missbrauch von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln hat, indem sich in ihr seine hangbedingte Gefährlichkeit äußert (vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2014 – 4 StR 572/13, Rn. 4 mwN). Im Rausch begangen bedeutet dabei, dass die Tat während des für das jeweilige Rauschmittel typischen, die geistig-psychischen Fähigkeiten beeinträchtigenden Intoxikationszustands begangen sein muss. Handelt es sich bei der Anlasstat um eine Konflikttat oder um eine Tat nach einer vorausgegangenen Provokation durch das Tatopfer, liegt ein symptomatischer Zusammenhang wenig nahe (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 2011 – 1 StR 120/11, Rn. 26 mwN). Da die Unterbringung nach § 64 StGB eine den Angeklagten beschwerende Maßregel darstellt, muss der Zusammenhang bei einer Anordnung sicher feststehen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2014 – 4 StR 572/13, Rn. 4 mwN).
Rz. 9
bb) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Soweit die Strafkammer darauf abhebt, dass der unbegrenzte Konsum von Cannabis zu einer Enthemmung führen und sich in einer Neigung zu aggressivem Verhalten zeigen „könne”, handelt es sich nicht um die sichere Feststellung einer in der konkreten Tatsituation auch tatsächlich gegebenen Mitursächlichkeit des bereits mehreren Stunden zurückliegenden Cannabiskonsums. Die an anderer Stelle, nämlich bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB, getroffene Feststellung, wonach bei dem Angeklagten keine schwere Intoxikation und keine Auffälligkeiten in der Motorik, dem Auffassungsvermögen und dem „affektiven Bereich” zu beobachten gewesen seien, spricht eher gegen die Annahme einer Tatbegehung „im Rausch”. Auch im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht lediglich konzediert, dass der Angeklagte infolge seines Cannabiskonsums „enthemmt gewesen sein mag.” Schließlich hätte es angesichts der Provokation des Tatopfers, die den Angeklagten zum Zorn reizte und die spontane Gewalttat auslöste, näherer Darlegung bedurft, welche besonderen Anhaltspunkte die Annahme begründen, der Hang des Angeklagten und seine darauf beruhende Gefährlichkeit seien gleichwohl in der Anlasstat zum Ausdruck gekommen, zumal der Angeklagte auch schon früher mit Gewaltdelikten in Erscheinung getreten ist. Damit ist der erforderliche Symptomcharakter der Tat nicht hinreichend belegt.
Rz. 10
5. Da weitergehende Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 64 StGB nicht ausgeschlossen sind, bedarf die Frage der Anordnung der Maßregel neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatgericht insgesamt – unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) – eine neue Überprüfung der Maßregelvoraussetzungen zu ermöglichen. Die Aufhebung der Unterbringungsanordnung nach § 64 StGB entzieht der Entscheidung nach § 67 Abs. 2 StGB die Grundlage.
Unterschriften
Quentin, Bender, Hoch, Sturm, Rommel
Fundstellen
Haufe-Index 14067143 |
StV 2021, 249 |