Tenor
Die Sache wird an das Oberlandesgericht Naumburg zurückgegeben.
Tatbestand
A.
Rz. 1
I. Das Amtsgericht Halle-Saalkreis verurteilte den Angeklagten am 8. März 2006 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis sowie „Beförderungserschleichung” in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten. Nach den Feststellungen des Urteils hatte der Angeklagte am 23. September 2005 einen Pkw im öffentlichen Straßenverkehr geführt, ohne im Besitz der dafür erforderlichen Fahrerlaubnis zu sein, sowie am 28. und 29. November 2005 öffentliche Verkehrsmittel in Halle ohne gültigen Fahrschein benutzt. Das Amtsgericht hielt – unter Berücksichtigung von § 47 Abs. 1 StGB – die Verhängung von Freiheitsstrafen gegen den Angeklagten für unerlässlich und setzte für das vorsätzliche Fahren ohne Fahrerlaubnis eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten und für die beiden Fälle der Leistungserschleichung Einzelstrafen von einem bzw. zwei Monaten fest. Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten verwarf das Landgericht Halle durch Urteil vom 15. Februar 2007 als unbegründet. Ergänzend stellte die Strafkammer fest, dass in den Fällen der Leistungserschleichung jeweils nur ein Kurzstreckentarif in Höhe von 1,10 Euro vom Angeklagten zu entrichten gewesen war. Trotz des geringen Werts des zu entrichtenden Beförderungsentgelts und auch in Ansehung des Übermaßverbots sah sich das Berufungsgericht nicht gehindert, auch die wegen der Leistungserschleichung verhängten beiden Einzelstrafen – und die Gesamtstrafe – zu bestätigen, da der Angeklagte mehrfach vorbestraft sei und bereits Freiheitsstrafen verbüßt habe. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er allgemein die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
Rz. 2
II. Das Oberlandesgericht Naumburg beabsichtigt, die Revision des Angeklagten entsprechend dem Antrag des Generalstaatsanwalts in Naumburg nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen. Es erachtet die vom Landgericht verhängten Freiheitsstrafen wegen besonderer Umstände, die in der Persönlichkeit des Angeklagten liegen, zur Einwirkung auf ihn als unerlässlich im Sinne des § 47 Abs. 1 StGB. Die Einzelfreiheitsstrafen und die Gesamtfreiheitsstrafe seien zudem in ihrer Höhe noch angemessen und geeignet, ihrer Bestimmung eines gerechten Schuldausgleichs zu genügen; das Übermaßverbot werde durch sie nicht verletzt.
Rz. 3
Soweit für einen Fall der Leistungserschleichung eine Einzelfreiheitsstrafe von zwei Monaten verhängt wurde, sieht sich das Oberlandesgericht Naumburg an der beabsichtigten Entscheidung durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 9. Februar 2006 – 1 Ss 575/05 – NStZ 2007, 37 gehindert: Das Oberlandesgericht habe den seine Entscheidung tragenden Rechtssatz aufgestellt, die Verhängung einer zweimonatigen Freiheitsstrafe zur Sühne von Tatschuld und Tatunrecht sei bei einer Leistungserschleichung mit einem Schaden von 1,65 Euro – ohne Rücksicht auf die strafrechtliche Vergangenheit eines Angeklagten – unverhältnismäßig und nicht mehr vertretbar, so dass wegen des zu beachtenden Übermaßverbotes eine tatrichterliche Ermessensausübung ausscheide. Das Oberlandesgericht Stuttgart habe deshalb die vom Tatrichter verhängte Freiheitsstrafe von zwei Monaten auf die allein als angemessen angesehene gesetzliche Mindeststrafe von einem Monat zurückgeführt.
Rz. 4
Das Oberlandesgericht Naumburg hat die Sache daher gemäß § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über folgende Frage vorgelegt:
„Stehen das Übermaßverbot und das Gebot schuldangemessenen Strafens der Verhängung einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Monat unabhängig von der strafrechtlichen Vergangenheit des Täters stets entgegen, wenn der Täter einer Erschleichung der Beförderung durch ein Verkehrsmittel ein Entgelt von nicht mehr als 1,10 Euro nicht entrichten wollte?”
Rz. 5
III. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Sache an das Oberlandesgericht Naumburg zurückzugeben; hilfsweise zu beschließen:
„Ob das Übermaßverbot und das Gebot schuldangemessenen Strafens der Verhängung einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Monat entgegensteht, wenn der Täter einer Erschleichung der Beförderung durch ein Verkehrsmittel ein Entgelt von nicht mehr als 1,10 Euro nicht entrichten wollte, kann nur nach Lage des Einzelfalles unter Berücksichtigung aller für die Strafzumessung erheblicher Faktoren beurteilt werden”.
Entscheidungsgründe
B.
Rz. 6
Die Sache ist an das Oberlandesgericht Naumburg zurückzugeben. Die Vorlegungsvoraussetzungen des § 121 Abs. 2 GVG sind nicht gegeben, weil sich die vom Oberlandesgericht Naumburg beabsichtigte Abweichung auf die Bewertung von Tatsachen, nicht aber auf eine Rechtsfrage bezieht. Durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart ist das vorlegende Oberlandesgericht daher nicht gehindert, in dem von ihm zu entscheidenden Fall ungeachtet einer Ähnlichkeit der zu beurteilenden Sachverhalte die Revision des Angeklagten zu verwerfen.
Rz. 7
Der Generalbundesanwalt hat dazu u.a. ausgeführt:
„Die Entscheidung, unter welchen Umständen die Grenzen schuldangemessenen Strafens überschritten sind und dadurch das Übermaßverbot verletzt ist, gehört zur Strafzumessung und ist als tatrichterliche Wertung tatsächlicher Umstände eine Frage des Einzelfalls, die der Klärung im Wege eines Vorlageverfahrens nicht zugänglich ist (vgl. BGHSt 27, 212, 214ff; NStZ 1983, 261, 262; 1988, 270f; Franke in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 121 GVG Rdnr. 59; KK-Hannich 5. Aufl. StPO § 121 GVG Rdnr. 36); darauf, dass das vorlegende Oberlandesgericht die Frage als Rechtsfrage behandelt hat, kommt es nicht an (vgl. BGHSt 31, 314, 316; NStZ 1995, 409, 410).
(…)
Im Hinblick auf das Wesen der Strafzumessung, die zugleich tatrichterlicher Wertungsakt und Rechtsanwendung auf einen bestimmten Strafzumessungssachverhalt unter vom Gesetzgeber formulierte Strafzumessungskriterien und -leitlinien ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.06.2007 – 2 BvR 1447/05 und 2 BvR 136/05 Rdnr. 78 [= NStZ 2007, 598 ff.]), muss daher in der Regel davon ausgegangen werden, dass sich die Rechtsausführungen der Obergerichte zu den Grenzen schuldangemessenen Strafens nur auf den der Entscheidung zugrunde liegenden Einzelfall beziehen (vgl. BGHSt 27, 212, 215f; 28, 318, 324f; Schäfer Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdnr. 485), mögen sie auch so formuliert sein, dass sie als grundsätzliche Aussage aufgefasst werden könnten (vgl. BGHSt 18, 324, 325f; 28, 165, 166; NStZ 1988, 270f). Denn unterschiedliche Ergebnisse rechtsfehlerfrei angewendeten tatrichterlichen Ermessens bei der Strafzumessung haben mit abweichenden Entscheidungen in Rechtsfragen nichts gemein; die denkbaren Umstände des Einzelfalles sind zu vielschichtig für generelle Aussagen (BGHSt 27, 212, 216; Franke in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 121 GVG Rdnr. 59; KK-Hannich 5. Aufl. StPO § 121 GVG Rdnr. 36; Schäfer Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdnr. 485).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist nicht davon auszugehen, dass das Oberlandesgericht Stuttgart die Verhängung von die Mindeststrafe übersteigenden Freiheitsstrafen unabhängig von der strafrechtlichen Vergangenheit des Täters in Fällen des Erschleichens sehr geringwertiger Leistungen stets als Verstoß gegen das Gebot schuldangemessenen Strafens und gegen das Übermaßverbot bewertet hat.
(…)
Der vom Oberlandesgericht Naumburg aus den Entscheidungsgründen des Oberlandesgerichtes Stuttgart hervorgehobene Satz („Die Verhängung einer zweimonatigen Freiheitsstrafe zur Sühne für Tatschuld und Tatunrecht ist bei einer Leistungserschleichung mit einem Schaden von 1,65 Euro – ohne Rücksicht auf die strafrechtliche Vergangenheit des Angeklagten – unverhältnismäßig und nicht mehr vertretbar.”) ist bei verständiger Würdigung nur Ergebnis [einer] Einzelfallabwägung. Er ist zwar allgemein formuliert, wird in dem ihm vom Oberlandesgericht Naumburg zugemessenen Bedeutungsgehalt vom Oberlandesgericht Stuttgart jedoch nicht begründet. Da er zudem in auf den Einzelfall bezogene Erwägungen eingebettet ist, ist davon auszugehen, dass das Oberlandesgericht Stuttgart die Verhängung von zweimonatiger Freiheitsstrafe für Leistungserschleichungen mit einem Schaden von 1,65 Euro nicht allgemein, sondern nur in dem ihm vorliegenden Verfahren als nicht mehr schuldangemessen erachtete.”
Rz. 8
Dem stimmt der Senat zu. Es entscheidet sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls, ob bei Bagatelldelikten bis zu einer bestimmten Schadensgrenze die gesetzliche Mindeststrafe übersteigende Freiheitsstrafen nicht mehr schuldangemessen sind. Diese Frage ist deshalb einer Vorlegung nach § 121 Abs. 2 GVG nicht zugänglich.
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Athing, Solin-Stojanović, Sost-Scheible
Fundstellen