Leitsatz (amtlich)
Die Justizverwaltung handelt nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie das Absehen von der Einhaltung der Regelvoraussetzung der Erfüllung der allgemeinen 5-jährigen Wartezeit im Interesse der Gleichbehandlung aller Bewerber um das Notaramt auf seltene Ausnahmefälle beschränkt.
a) Der über die Bestellung zum Notar entscheidenden Stelle ist ein Ermessensspielraum eingeräumt, in welcher Weise die gesetzlich gebotene Bevorzugung von Schwerbehinderten geschehen soll.
b) Eine etwaige Bevorzugung durch Verkürzung der allgemeinen Wartezeit (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 BNotO) ist aufgrund konkret-individueller Einzelfallprüfung möglich.
Normenkette
BNotO § 6 Abs. 2 Nr. 1; SchwbG § 51
Verfahrensgang
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Senats für Notarsachen bei dem Oberlandesgericht Celle vom 14. Juli 1997 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und die der Antragsgegnerin darin entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 100.000,– DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller, der seit dem 10. Dezember 1991 als Rechtsanwalt zugelassen ist, bewarb sich ebenso wie vier andere Mitbewerber um eine von vier für den Amtsgerichtsbezirk P. in der Niedersächsischen Rechtspflege vom 15. Mai 1996 (S. 101) mit Bewerbungsfrist zum 31. Juli 1996 ausgeschriebenen Notarstellen. Die Antragsgegnerin besetzte drei der Stellen mit Mitbewerbern des Antragstellers, die sämtliche Voraussetzungen nach § 6 BNotO erfüllten. Die Bewerbung des weiteren Konkurrenten lehnte die Antragsgegnerin wegen Nichterfüllung der örtlichen Wartezeit bestandskräftig ab. Mit Bescheid vom 4. März 1997 beschied sie auch die Bewerbung des Antragstellers abschlägig, weil dieser nicht die Regelvoraussetzung einer 5-jährigen Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erfüllte; Anlaß für ein Absehen von der Regelanforderung der allgemeinen Wartefrist hat die Antragsgegnerin nicht in den vom Antragsteller vorgetragenen Umständen gesehen, daß dieser zu 50 % schwerbehindert ist und daß sein als Anwaltsnotar tätiger 74-jähriger Vater, mit dem er in einer Rechtsanwaltssozietät zusammenarbeitet, schwerkriegsbeschädigt ist.
Der hiergegen gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung blieb ohne Erfolg. Mit der sofortigen Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen Antrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihn zum Notar zu bestellen, hilfsweise über seine Bewerbung erneut zu entscheiden, weiter.
Entscheidungsgründe
II.
Die gem. § 111 Abs. 4 BNotO i.V.m. § 42 Abs. 4 BRAO zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu Recht zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Antragsgegnerin ist rechtmäßig.
Der Beistellung des Antragstellers zum Notar hat § 6 Abs. 2 Nr. 1 BNotO entgegengestanden. Im maßgeblichen Zeitpunkt des Eingangs seiner Bewerbung im Juli 1996 war der Antragsteller nur etwas mehr als vier Jahre und sieben Monate als Rechtsanwalt zugelassen; die allgemeine 5-jährige Wartezeit des § 6 Abs. 2 Nr. 1 BNotO lief für ihn erst im Dezember 1996 ab. Nach § 6 Abs. 2 ist der Ablauf der allgemeinen Wartezeit allerdings keine zwingende Bedingung für die Bestellung des Bewerbers zum Notar; die Vorschrift bestimmt einschränkend, daß als Notar „in der Regel” nur bestellt werden „soll”, wer diese Voraussetzung erfüllt. Da es sich lediglich um eine Regelvoraussetzung handelt, kann in besonders begründeten Fällen von deren Einhaltung abgesehen werden (BT-Drucks. 11/6007 S. 10). Hierdurch wird der Justizverwaltung die Möglichkeit eröffnet, bei grundsätzlicher Geltung der schematischstarren, aber nicht zuletzt im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtspraktikabilität notwendigen Wartezeitregelung die erforderlichen Ausnahmen zuzulassen. Die Bestellung eines Bewerbers, der die Regelvoraussetzungen des § 6 Abs. 2 BNotO nicht erfüllt, muß – schon wegen des diesen innewohnenden Elements der Gleichbehandlung aller Mitbewerber – auf seltene Ausnahmefälle beschränkt bleiben und kommt nur dann in Betracht, wenn angesichts eines ganz außergewöhnlichen Sachverhalts die Abkürzung der Regelzeiten aus Gerechtigkeitsgründen oder aus Bedarfsgründen zwingend erscheinen (Sen. Beschl. v. 14. Juli 1997 – NotZ 24/96, DNotZ 1997, 900). Einen solchen besonderen Ausnahmefall hat die Antragsgegnerin in ihrem Ablehnungsbescheid in Verbindung mit dem im gerichtlichen Verfahren ergänzten Sachvortrag ermessensfehlerfrei verneint.
1. Der Antragsteller hat nach den getroffenen Feststellungen die – regelmäßig durch eine 5-jährige anwaltliche Tätigkeit nachzuweisende – praktische Erfahrung jedenfalls nicht so offensichtlich in anderer Weise gewöhnen, daß sich die Verweisung auf die Wartezeit für jeden vernünftigen Betrachter als ein sinnloses Beharren auf Formalien darstellen würde. Auch wenn er bei Eingang seiner Bewerbung bereits etwas mehr als 4 1/2 Jahre als Anwalt zugelassen war, so kann er daneben nicht auch auf andere Tätigkeiten zurückblicken, die ihm zusätzlich in gleicher Weise wie eine anwaltliche Tätigkeit die Möglichkeit eröffnet hätten, praktische Erfahrungen im Umgang mit dem rechtsuchenden Publikum zu sammeln. Zu Unrecht beruft sich der Antragsteller insofern auf seine Ausbildung zum Sparkassen-Kaufmann; sie mag zwar für sein jetziges Berufsfeld durchaus von Nutzen sein, doch fehlt ihr ersichtlich der erforderliche Bezug zu dem praktischen Umgang mit dem rechtsuchenden Publikum. Diese Leistung muß daher bei der Prüfung, ob eine Ausnahme von der Regel des § 6 Abs. 2 Nr. 1 BNotO zugelassen werden kann, außer Betracht bleiben. Dasselbe gilt erst recht für die politische Betätigung des Antragstellers in einem Kreistag sowie als Verbandsvertreter; beide Tätigkeitsfelder folgen – wie schon das Oberlandesgericht zutreffend festgestellt hat – grundsätzlich anderen Regeln und lassen keinen zielgerichteten Bezug zur anwaltlichen Berufstätigkeit des Antragstellers erkennen.
Angesichts dessen ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Antragsgegnerin bei ihrer ablehnenden Entscheidung den Geboten der Gleichbehandlung, Rechtssicherheit und Rechtspraktikabilität, die es gebieten, die Anwendungsbreite der gesetzlichen Bestimmungen für sämtliche Bewerber hinreichend abschätzbar zu machen, den Vorrang gegenüber dem Individualinteresse des Antragstellers an einer Ausnahmeentscheidung zu seinen Gunsten wegen Verfehlung der allgemeinen Wartezeit um „nur” ein knappes halbes Jahr eingeräumt hat.
2. Rechtsbedenkenfrei hat die Antragsgegnerin auch in den vom Antragsteller vorgetragenen persönlichen Verhältnissen keine außergewöhnlichen Gründe gesehen, die ein Absehen von dem Regelerfordernis der 5-jährigen Wartezeit zu seinen Gunsten gerechtfertigt hätten.
Soweit der Antragsteller auf Alter und Kriegsbehinderung seines Vaters verweist, ist nicht ersichtlich, daß zur Behebung von dessen personengebundenen Belastungen oder Beschwernissen gerade die Bestellung des Antragstellers zum Notar geboten wäre; wie das Oberlandesgericht zutreffend ausgeführt hat, gehört es nicht zu den gesetzlichen Zielvorgaben, familien- oder verwandtschaftsbezogen die wirtschaftliche Fortführung von Notariaten durch Nichteinhalten von Regelanforderungen zu sichern.
Auch die vom Antragsteller geltend gemachte 50 %ige Schwerbehinderung (Gehbehinderung infolge einer Wirbelsäulenfehlbildung) hat die Antragsgegnerin – zumindest ergänzend im gerichtlichen Verfahren – ermessensfehlerfrei gewürdigt. Nach § 51 SchwbG 1986 hat der Schwerbehinderte keinen Rechtsanspruch auf eine bevorzugte Zulassung, auch wenn die Vorschrift das Auswahlermessen der zuständigen Stelle erheblich einschränkt; die Zulassung der Schwerbehinderten darf, wenn die übriger Voraussetzungen vorliegen, nur in Ausnahmefällen versagt werden (Gröninger/Thomas, SchwbG 1997, § 51 Rdn. 5). Dies gilt jedoch – wie das Oberlandesgericht zutreffend hervorgehoben hat – erst dann, wenn er über die fachliche Eignung verfügt und die „sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen” erfüllt sind. Da vorliegend die 5-jährige Regelwartezeit als besondere Zulassungsvoraussetzung nicht erfüllt war, stellt es keinen Ermessensfehler dar, wenn die Antragsgegnerin nicht generell für Schwerbehinderte eine Verkürzung dieser allgemeinen Wartezeit vorsieht (vgl. zu dem insoweit bestehenden Ermessensspielraum der Landesjustizverwaltungen: Sen.Beschl. v. 9. Mai 1988 – NotZ 1/88, BGHR BNotO § 4 Abs. 2 Wartezeit 3 zu § 14 Abs. 1 AVNot NRW a.F.; vgl. hierzu auch § 18 Abs. 4 AVNot NRW, der nunmehr eine Bevorzugung Schwerbehinderter nur im Rahmen der Auswahlentscheidung bei gleicher Punktzahl vorsieht). Eine Bevorzugung des Antragstellers nach § 51 SchwbG durch Absehen von der vollständigen Erfüllung der 5-jährigen Wartefrist hat die Antragsgegnerin jedenfalls aufgrund konkret-individueller Einzelfallprüfung rechtsbedenkenfrei verneint. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts – die sich die Antragsgegnerin zu eigen gemacht hat – hat die Schwerbehinderung den Antragsteller in seiner juristischen Ausbildung nicht nachteilig belastet oder beeinträchtigt, so daß ein behinderungsbedingter Zeitverlust, der den Antragsteller gehindert haben könnte, die Wartezeit zu einem früheren Zeitpunkt zu erfüllen, nicht erkennbar ist. Wie die Darstellung seines beruflichen Werdegangs erkennen läßt, hat dieser nach Erlangung der Hochschulreife zunächst (1980 bis 1983) eine Ausbildung zum Sparkassen-Kaufmann absolviert; wenn die dem zugrunde liegende Entscheidung des Antragstellers für seinen späteren beruflichen Werdegang mit Verzögerungen hinsichtlich seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und einem zeitlichen Nachteil für seine Chancen, Notar zu werden, einhergeht, fehlt es an dem erforderlichen Zusammenhang mit körperlichen Beeinträchtigungen, die den besonderen gesetzlichen Schutz des § 51 SchwbG unabdingbar erscheinen ließen. Dieser Bewertung ist der Antragsteller im Beschwerdeverfahren nicht entgegengetreten. Soweit er meint, die abstrakte Tatsache seiner 50 %igen Schwerbehinderung genüge zur Annahme eines die Abkürzung der Regelzeiten rechtfertigenden ganz außergewöhnlichen Sachverhalts, kann dem nicht gefolgt werden. Wie der Senat bereits entschieden hat, reicht eine generell-abstrakte („formelle”) Betrachtungsweise nicht aus; vielmehr ist festzustellen, ob und in welcher Weise die Minderung der Erwerbsfähigkeit den Wettbewerber konkret in seiner beruflichen Tätigkeit behindert (vgl. Sen., Beschl. v. 14. Januar 1991 – NotZ 10/90, BGHR BNotO § 4 Abs. 2 Schwerbehinderter 1 m.w.N.).
3. Entgegen der Ansicht des Antragstellers war es auch nicht ermessensfehlerhaft, die ausgeschriebene vierte Notarstelle im vorliegenden Bewerbungsvorgang unbesetzt zu lassen, weil – abgesehen vom Antragsteller – mangels vollständiger Erfüllung der Bestellungsvoraussetzungen auch kein sonstiger Mitbewerber hierfür in Betracht kam. Insoweit unterliegt es keinen rechtlichen Bedenken, wenn der Antragsgegner den Antragsteller auf eine erneute Bewerbung im Rahmen einer neuen Stellenausschreibung verweist. Nach Mitteilung des Antragsgegners ist die vierte Stelle – entsprechend zulässiger Verwaltungspraxis – mit Rücksicht auf das vorliegende Verfahren bislang (noch) nicht wieder ausgeschrieben worden; die Voraussetzungen für die Ausschreibung einer weiteren Notarstelle sind derzeit nicht gegeben.
Unterschriften
Rinne, Seiffert, Kurzwelly, Schierholt, Grantz
Fundstellen
Haufe-Index 1398931 |
BB 1998, 1371 |
NJW 1999, 221 |
BGHR |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 1998, 594 |
MDR 1998, 1314 |