Entscheidungsstichwort (Thema)
Raub
Tenor
1. Dem Angeklagten wird von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anbringung der Verfahrensrüge aus der Revisionsbegründungsschrift vom 29. September 1998 gewährt.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 3. Juli 1998 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit einer Verfahrens- und der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
Nach den Feststellungen drang der Angeklagte gewaltsam in eine Nachbarwohnung ein, schlug mehrmals auf das im Bett liegende Opfer und nahm ihm eine Telefonkarte mit einem Restwert von vier DM weg. Anschließend besprühte er den bereits erheblich verletzten Zeugen mit Tränengas, trat und schlug weiter auf ihn ein und legte ihm schließlich Handschellen an. Mit blutverschmierten Händen begab er sich unter Mitnahme der Telefonkarte zur nächsten Polizeidienststelle und teilte dort mit, der Zeuge habe versucht, bei ihm einzubrechen, deshalb habe er ihn in dessen Wohnung gefesselt und dort zurückgelassen. Die Kammer geht davon aus, daß der Angeklagte infolge psychotischen Erlebens zunächst in der Annahme gehandelt habe, daß der Zeuge versucht habe, in seine – des Angeklagten – Wohnung einzubrechen; insgesamt sei – bei vorhandener Steuerungsfähigkeit – seine Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen, erheblich vermindert gewesen.
Zu den Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB hat die sachverständig beratene Kammer u.a. folgendes ausgeführt: Bei dem Angeklagten bestehe eine andere schwere seelische Abartigkeit in Form eines Abhängigkeitssyndroms durch multiplen Substanzgebrauch, insbesondere Heroin und Kokain. Darüber hinaus liege bei ihm eine krankhafte seelische Störung in Form psychotischen Erlebens vor, die sehr wahrscheinlich auf einer organisch bedingten Persönlichkeits- und Verhaltensstörung, möglicherweise aber auch auf einer Prodromalsymptomatik einer schizophrenen Erkrankung beruhe. Die Psychose sei überdies am Tattag mit einer Wahnsymptomatik einhergegangen, was dazu geführt habe, daß der Angeklagte die Situation zunächst verkannte. Mit Sicherheit könne daher eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit aufgrund erheblich beeinträchtigter Einsichtsfähigkeit, wobei allein das Vorliegen der krankhaften seelischen Störung die Voraussetzungen erfülle, bejaht werden. Gänzlich aufgehoben sei die Einsichtsfähigkeit allerdings nicht gewesen. Dagegen spreche, daß das psychotische Erleben des Angeklagten, wie der Tatablauf zeige, mit krimineller Energie vermischt gewesen sei. Infolge seines Zustandes seien gleiche oder ähnlich schwere Straftaten mit hoher Wahrscheinlichkeit von dem Angeklagten zu erwarten.
Diese Ausführungen des Landgerichts zur erheblich verminderten Schuldfähigkeit reichen nicht aus, um dem Senat die Nachprüfung zu ermöglichen, ob es zu Recht eine erhebliche Verminderung der Schuld bejaht und Schuldunfähigkeit zutreffend ausgeschlossen hat. Da das Landgericht von vorhandener Steuerungsfähigkeit ausgegangen ist, kann die Anwendung des § 21 StGB nicht mit der Feststellung gerechtfertigt werden, die Fähigkeit des Angeklagten, das Unrecht seines Handelns einzusehen, sei erheblich vermindert gewesen. Entscheidend ist vielmehr, ob der Täter trotz generell verminderter Einsichtsfähigkeit die Einsicht im konkreten Fall hatte oder nicht. Erkannte er das Unrecht seiner Tat, handelte er – unbeschadet seiner eingeschränkten Einsichtsfähigkeit im allgemeinen – voll schuldhaft. Im anderen Falle kann § 21 StGB, der insoweit nur eine Sonderregelung des Verbotsirrtums bedeutet, dagegen nur angewendet werden, wenn dem Täter das Fehlen der Unrechtseinsicht vorzuwerfen ist. Kann ein solcher Vorwurf nicht erhoben werden, greift § 20 StGB ein mit der Folge, daß eine Bestrafung ausscheidet (st. Rspr. des Bundesgerichtshofs: vgl. BGHSt 21, 27, 28; BGH NStZ 1985, 309, 1986, 264; BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 1 bis 5; vgl. BGHR StGB § 20 Einsichtsfähigkeit 2).
Dem Urteil läßt sich nicht entnehmen, daß die Strafkammer diesen rechtlichen Ausgangspunkt gesehen hat. Soweit sie davon ausgegangen ist, daß der Angeklagte in Kenntnis und unter bewußter Ausnutzung der Wirkungen seines vorangegangenen Verhaltens den Raub begangen (UA S. 15) und die dem Opfer zugefügten erheblichen Verletzungen aufgrund seiner früher gemachten Erfahrungen (UA S. 15) billigend in Kauf genommen habe, spricht dies eher dafür, daß der Angeklagte die Unrechtseinsicht hatte. Dann würde ihn die Anwendung des § 21 StGB für sich alleine genommen zwar nicht beschweren, die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus müßte dann aber entfallen.
Soweit das Landgericht im einzelnen darlegt, daß seiner Ansicht nach die Einsichtsfähigkeit nicht gänzlich aufgehoben sei, besorgt der Senat, daß das Landgericht bei der Frage der Einsichtsfähigkeit die Beurteilungsmaßstäbe zugrundegelegt hat, die im Zusammenhang einer auf eingeschränkte Steuerungsfähigkeit gestützten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit zu erörtern gewesen wären.
Unterschriften
Kutzer, Blauth, Miebach, Winkler, Pfister
Fundstellen
Haufe-Index 540645 |
NStZ-RR 1999, 207 |