Leitsatz (amtlich)
Die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen ist nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG regelmäßig schon dann geboten, wenn der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt (im Anschluss an BGH v. 15.1.2014 - XII ZB 289/13, FamRZ 2014, 648; v. 7.8.2013 - XII ZB 223/13, FamRZ 2013, 1648; v. 28.9.2011 - XII ZB 16/11, FamRZ 2011, 1866; v. 4.8.2010 - XII ZB 167/10, FamRZ 2010, 1648).
Normenkette
FamFG § 276 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 1, Abs. 2
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Beschluss vom 14.03.2014; Aktenzeichen 13 T 2/14) |
AG Fürth (Entscheidung vom 25.11.2013; Aktenzeichen XVII 898/13) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 3) wird der Beschluss der 13. Zivilkammer des LG Nürnberg-Fürth vom 14.3.2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 5.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Das AG hat für die inzwischen 84-jährige Betroffene eine Betreuung für die Aufgabenkreise Widerruf der Vollmacht, Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, Wohnungsangelegenheiten, Abschluss, Änderung und Kontrolle der Einhaltung eines Heim-Pflegevertrages sowie Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post und der Entscheidung über den Fernmeldeverkehr eingerichtet. Für den Bereich der Vermögenssorge hat es einen Einwilligungsvorbehalt angeordnet.
Rz. 2
Anlass für die Einrichtung der Betreuung war die Überlassung eines Geldbetrages i.H.v. 11.300 EUR seitens der Betroffenen an einen ihr nur flüchtig bekannten jungen Mann. Zur Betreuerin ist eine ihrer Töchter, die Beteiligte zu 3), bestellt worden. Die Betroffene, die die Betreuung ablehnt, hatte einer weiteren Tochter, der Beteiligten zu 1), am 16.10.2011 eine Vorsorgevollmacht für Gesundheits- und Aufenthaltsangelegenheiten erteilt.
Rz. 3
Das LG hat die Beschwerde der Betreuerin gegen die erstinstanzliche Entscheidung zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde erstrebt die Betreuerin weiterhin die Aufhebung der Betreuung.
II.
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das LG.
Rz. 5
1. Das LG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Nach dem Gutachten des Sachverständigen Z. leide die Betroffene an einer psychischen Erkrankung in Form einer leicht- bis mittelgradigen vaskulären Demenz. Zu einer freien Willensbestimmung sei sie nicht in der Lage. Die Vorsorgevollmacht stehe einer Betreuung auch für die Bereiche Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung nicht entgegen, denn die Beteiligte zu 1) lehne eine Tätigkeit als Vorsorgebevollmächtigte ab, falls die Beteiligte zu 3) die Betreuung übernehme. Um widersprechende Handlungen der Bevollmächtigten und der Betreuerin zu vermeiden, sei der Widerruf der Vorsorgevollmacht erforderlich. Demzufolge sei der entsprechende Aufgabenkreis zu Recht in die Betreuung aufgenommen worden. Von einer erneuten Anhörung der Betroffenen könne abgesehen werden, da diese von dem AG durchgeführt worden sei und aufgrund der Kürze der Zeit sowie der Erkrankung der Betroffenen neue Erkenntnisse nicht zu erwarten seien.
Rz. 6
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Rz. 7
a) Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die Bestellung eines Verfahrenspflegers verfahrensfehlerhaft unterblieben ist.
Rz. 8
aa) Gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist. Nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG ist die Bestellung in der Regel erforderlich, wenn Gegenstand des Verfahrens die Bestellung eines Betreuers zur Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenen oder die Erweiterung des Aufgabenkreises hierauf ist. Gemäß § 276 Abs. 2 Satz 1 FamFG kann von der Bestellung in den Fällen des Abs. 1 Satz 2 abgesehen werden, wenn ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung des Verfahrenspflegers offensichtlich nicht besteht. Nach § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG ist die Nichtbestellung zu begründen. Dabei unterfällt es der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht, ob die den Tatsacheninstanzen obliegende Entscheidung ermessensfehlerfrei getroffen worden ist (BGH v. 15.1.2014 - XII ZB 289/13, FamRZ 2014, 648 Rz. 6 f.; v. 7.8.2013 - XII ZB 223/13, FamRZ 2013, 1648 Rz. 10; vom 28.9.2011 - XII ZB 16/11, FamRZ 2011, 1866 Rz. 8; v. 4.8.2010 - XII ZB 167/10, FamRZ 2010, 1648 Rz. 9 f.).
Rz. 9
bb) Nach diesen Maßgaben ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen regelmäßig schon dann geboten, wenn der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt. Für einen in diesem Sinne umfassenden Verfahrensgegenstand spricht, dass die Betreuung auf einen Aufgabenkreis erstreckt wird, der in seiner Gesamtheit alle wesentlichen Bereiche der Lebensgestaltung des Betroffenen umfasst. Selbst wenn dem Betroffenen nach der Entscheidung letztlich einzelne restliche Bereiche zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung verblieben sind, entbindet dies jedenfalls dann nicht von der Bestellung eines Verfahrenspflegers, wenn die verbliebenen Befugnisse dem Betroffenen in seiner konkreten Lebensgestaltung keinen nennenswerten eigenen Handlungsspielraum belassen (BGH v. 15.1.2014 - XII ZB 289/13, FamRZ 2014, 648 Rz. 6; v. 7.8.2013 - XII ZB 223/13, FamRZ 2013, 1648 Rz. 11; v. 28.9.2011 - XII ZB 16/11, FamRZ 2011, 1866 Rz. 9; v. 4.8.2010 - XII ZB 167/10, FamRZ 2010, 1648 Rz. 13).
Rz. 10
cc) Gemessen hieran ist im vorliegenden Fall das Regelbeispiel gem. § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG erfüllt, wie bereits der Blick auf den von der Betreuung umfassten Aufgabenkreis verdeutlicht. Die Betreuerin hat in allen wesentlichen Lebensbereichen maßgeblichen Einfluss auf die Lebensgestaltung der Betroffenen.
Rz. 11
dd) Da die Interessen der Betroffenen im Betreuungsverfahren nicht von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten gem. § 276 Abs. 4 FamFG vertreten worden sind, hätte nach § 276 Abs. 2 Satz 1 FamFG nur unter den bereits genannten Voraussetzungen von der Bestellung eines Verfahrenspflegers abgesehen werden können. Eine Verfahrenspflegschaft ist nur dann nicht anzuordnen, wenn sie nach den gegebenen Umständen einen rein formalen Charakter hätte (BGH v. 7.8.2013 - XII ZB 223/13, FamRZ 2013, 1648 Rz. 13; v. 28.9.2011 - XII ZB 16/11, FamRZ 2011, 1866 Rz. 13 und vom 4.8.2010 - XII ZB 167/10, FamRZ 2010, 1648 Rz. 15). Ob es sich um einen solchen Ausnahmefall handelt, ist anhand der gem. § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG vorgeschriebenen Begründung zu beurteilen.
Rz. 12
ee) Zu Recht beanstandet die Rechtsbeschwerde, dass der angefochtene Beschluss des LG - wie bereits die Entscheidung des AG - eine Begründung für die unterbliebene Bestellung eines Verfahrenspflegers nicht enthält. Deshalb lässt sich weder feststellen, aus welchen Erwägungen von der Anordnung einer Verfahrenspflegschaft abgesehen worden ist, noch dass diese Entscheidung ermessensfehlerfrei zustande gekommen wäre. Der angefochtene Beschluss ist demzufolge verfahrensfehlerhaft ergangen.
Rz. 13
b) Die Entscheidung des LG beruht auf dem Verfahrensfehler. Denn es lässt sich nicht ausschließen, dass das Beschwerdegericht nach Hinzuziehung eines Verfahrenspflegers aufgrund dessen Stellungnahme zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
Rz. 14
3. Deshalb ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das LG zurückzuverweisen. Dieses wird einen Verfahrenspfleger zu bestellen und nach dessen Stellungnahme erneut zu entscheiden haben.
Rz. 15
4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
Rz. 16
Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, ist die Übertragung des Aufgabenkreises Widerruf der Vollmacht auf eine (Kontroll-)Betreuerin an besondere Voraussetzungen geknüpft, die insb. dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragen (BGH v. 23.9.2015 - XII ZB 624/14, FamRZ 2015, 2163 Rz. 14 ff.; v. 28.7.2015 - XII ZB 674/14, FamRZ 2015, 1702 Rz. 33 ff.). Mit diesen Voraussetzungen wird sich das LG ebenfalls auseinanderzusetzen haben.
Rz. 17
5. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Fundstellen
NJW 2016, 1828 |
NJW 2016, 8 |
FamRZ 2016, 970 |
FuR 2016, 402 |
FGPrax 2016, 169 |
BtPrax 2016, 151 |
JZ 2016, 380 |
MDR 2016, 727 |