Verfahrensgang
LG Wiesbaden (Entscheidung vom 26.09.2022; Aktenzeichen 6 KLs - 4440 Js 21644/17) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 26. September 2022 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Körperverletzung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus zwei Vorverurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und festgelegt, dass von dieser Freiheitsstrafe zwei Monate als vollstreckt gelten. Ferner hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Rz. 2
1. Die Überprüfung des Schuld- und Strafausspruchs sowie der Kompensationsentscheidung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Rz. 3
2. Hingegen hat seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt keinen Bestand. Die für die Anordnung der Maßregel erforderliche Erfolgsaussicht ist nicht rechtsfehlerfrei festgestellt.
Rz. 4
a) § 64 Satz 2 StGB setzt die positive Feststellung einer hinreichend konkreten Aussicht für einen Behandlungserfolg voraus. Erforderlich ist insoweit, dass sich in der Persönlichkeit und den Lebensumständen des Verurteilten konkrete Anhaltspunkte für einen erfolgreichen Verlauf der Therapie finden lassen, die diese Feststellung rechtfertigen (st. Rspr.; vgl. etwa Senat, Beschluss vom 10. Juni 2021 - 2 StR 104/21, juris Rn. 18 mwN).
Rz. 5
b) Diesen Maßstab hat das Landgericht verfehlt, indem es unter Hinweis auf die Entscheidung des Senats vom 27. Mai 1998 (2 StR 233/98, NStZ-RR 1999, 267) dargestellt hat, „die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf jedoch nur dann unterbleiben, wenn der Erfolg der Therapie zweifelsfrei ausgeschlossen ist, nicht aber, wenn das Ergebnis nur ungewiss ist.“ Dabei hat das Landgericht übersehen, dass die zitierte Entscheidung die Vorschrift des § 64 StGB in einer nicht mehr gültigen Fassung betraf.
Rz. 6
c) Die Anordnung der Maßregel beruht auf diesem Rechtsfehler. Den Urteilsgründen ist auch in ihrer Gesamtheit nicht zu entnehmen, dass das Landgericht eine hinreichend konkrete Aussicht für einen Behandlungserfolg mit einer tragfähigen Begründung angenommen hat.
Rz. 7
aa) Es hat, von seinem Standpunkt konsequent, die konkrete Erfolgsaussicht damit gerechtfertigt, dass sich der Angeklagte noch nie einer stationären therapeutischen Behandlung unterzogen habe. Er sei in Ansätzen krankheitseinsichtig und behandlungswillig, ein Erfolg der Entwöhnungstherapie sei daher „nicht zweifelsfrei ausgeschlossen.“
Rz. 8
bb) Dies genügt den gesetzlichen Erfordernissen nicht.
Rz. 9
(1) Zwar handelt es sich bei den angeführten Gesichtspunkten um prognosegünstige Umstände. Diese vermögen aber die Annahme einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht nicht zu belegen, wenn nach den Feststellungen - wie hier - auch gewichtige prognoseungünstige Faktoren bestehen. In einem solchen Fall bedarf es einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen prognoserelevanten Umstände (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2019 - 4 StR 421/19, juris Rn. 19 mwN).
Rz. 10
(2) Daran fehlt es. Das Landgericht hat sich nicht damit auseinandergesetzt, dass der im Urteilszeitpunkt 27-jährige Angeklagte an langjähriger Polytoxikomanie leidet und bei ihm dissoziale Persönlichkeitsakzente erkennbar sind. Der über mehrere Jahre in Kombination mit Alkohol praktizierte Crack-Konsum von bis zu fünf Gramm täglich hat massive Auswirkungen auf seine geistige Gesundheit; er hat Probleme, Ereignisse in seinem Leben zeitlich einzuordnen. Einer im April 2022 anlässlich einer Strafaussetzung zur Bewährung erteilten Weisung zu einer Gesprächstherapie folgte er nur unzureichend. Die erstrebte Therapiemotivation konnte bei ihm nicht geweckt werden; drei begleitende Drogenscreenings führten zu positiven Betäubungsmittelbefunden. Der Angeklagte selbst „wünscht“ keine stationäre Therapie. All diese prognoseungünstigen Faktoren hätten im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung einer näheren Erörterung bedurft.
Rz. 11
d) Die Sache bedarf insoweit - wiederum unter Hinzuziehung sachverständiger Beratung (§ 246a Abs. 1 StPO) - neuer Verhandlung und Entscheidung.
Franke |
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Krehl |
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Eschelbach |
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Meyberg |
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Schmidt |
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Fundstellen
Haufe-Index 15705722 |
RPsych 2023, 188 |