Verfahrensgang
LG Wuppertal (Urteil vom 20.04.2016) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 20. April 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, der die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet. Das Rechtsmittel hat bereits mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die Verfahrensrügen nicht ankommt.
I.
Rz. 2
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen waren die Zeugen W., N., S. und R. (im Folgenden: die Zeugen) auf der Suche nach einem Geschäftspartner, der sie bei der Gründung und dem Betrieb eines Unternehmens unterstützen sollte, das einer Vielzahl von Kleininvestoren über das Internet die Möglichkeit eröffnete, Geld gewinnbringend bei diesem anzulegen. Das Unternehmen selbst sollte die den Kleinanlegern versprochene Rendite von monatlich fünf Prozent dadurch erwirtschaften, dass es die eingezahlten Beträge in größeren Summen in noch renditereichere Projekte investierte.
Rz. 3
Nachdem die Zeugen den Angeklagten bei einem ersten Treffen im … T. kennengelernt und sich über seine Geschäftstätigkeit als Kapitalanleger informiert hatten, beschlossen sie, ihn für die Umsetzung ihrer Geschäftsidee zu gewinnen. So kam es im Mai/Juni 2005 zu zwei weiteren Treffen auf M., im Rahmen derer die Einzelheiten der Zusammenarbeit besprochen wurden. Dabei bot der Angeklagte den Zeugen zum einen an, sie bei der Gründung einer spanischen Gesellschaft, die als Träger des geplanten Unternehmens dienen sollte, zu unterstützen. Zum anderen machte er ihnen das Angebot, das bei dieser Gesellschaft eingegangene Geld der Kleinanleger bei einer monatlichen Rendite von zwölf Prozent in sehr sichere Projekte zu investieren; er sicherte die vollständige Rückzahlung der Einlage und die Auszahlung der Rendite nach Ablauf des vereinbarten Anlagezeitraums von mindestens drei Monaten zu.
Rz. 4
Die Zeugen schenkten den Angaben des Angeklagten Glauben und beauftragten ihn daher im Rahmen des zweiten Treffens auf M. nicht nur mit der Gründung der Gesellschaft, sondern auch mit der Anlage des Geldes. Tatsächlich hatte der Angeklagte aber nicht vor, das Geld wie zugesagt gewinnbringend anzulegen und vollständig zurückzuzahlen. Vielmehr hatte er die Absicht, anfangs aus den ihm zur Anlage weitergeleiteten Summen vermeintliche Renditen an die Gesellschaft der Zeugen zu zahlen, um den scheinbaren Erfolg seiner Anlagestrategie zu belegen und dadurch den Zufluss weiterer Einlagen sicherzustellen. Im Übrigen wollte er das Geld abredewidrig verwenden und nicht „(komplett)” zurückzahlen.
Rz. 5
Nachdem der Angeklagte die Zeugen noch im Juni 2005 bei der Gründung der spanischen Gesellschaft, der A. (im Folgenden: A.), deren Gesellschafter die Zeugen wurden, unterstützt hatte, nahm diese den Geschäftsbetrieb auf und gewann binnen kurzer Zeit eine Vielzahl von Kleinanlegern als Kunden. Im Zeitraum vom 21. Juli 2005 bis zum 19. Juni 2006 überwies sie entsprechend der Anlagevereinbarung 2.587.326,51 Euro, die die Kleinanleger bei ihr eingezahlt hatten, an den Angeklagten.
Rz. 6
Dieser zahlte bis zum 10. Juli 2006 in mehreren Tranchen 1.044.419,10 Euro als scheinbare Rendite an die A. zurück. Die verbliebenen 1.542.907,41 Euro nutzte er zum Teil zur Finanzierung seines eigenen Lebensunterhaltes; zum Teil investierte er das Geld in nicht der getroffenen Anlagevereinbarung entsprechende, unsichere Projekte, die nicht geeignet waren, einen „nennenswerten Gewinn” zu erwirtschaften und „allesamt scheiterten”, so dass es letztlich „zu einem Verlust des investierten Geldes” kam.
Rz. 7
2. Nachdem die Staatsanwaltschaft den Angeklagten zunächst wegen Betruges in mittelbarer Täterschaft gegenüber und zu Lasten der Kleinanleger in 130 tateinheitlichen Fällen angeklagt hatte, hat das Landgericht das Verfahren durch Beschluss vom 4. März 2016 nach § 154a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StPO auf den Vorwurf der Untreue gegenüber der A. beschränkt und den Angeklagten wie eingangs ausgeführt verurteilt.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 8
Diese Verurteilung hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
Rz. 9
1. Das Landgericht ist zwar im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass – obwohl im Verhalten des Angeklagten ein Betrug gegenüber den Zeugen zu Lasten der A. liegen könnte – nach Beschränkung des Verfahrens auf den Vorwurf der abredewidrigen Verwendung des an ihn weitergeleiteten Geldes eine Strafbarkeit nach § 266 Abs. 1 StGB in Betracht kommt. Dem stünde nicht entgegen, dass es sich bei dieser Untreue ursprünglich um eine mitbestrafte Nachtat des aus dem Verfahren ausgeschiedenen Betruges handeln könnte (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 1970 – 3 StR 237/69, GA 1971, 83 f.; ferner BGH, Beschluss vom 20. Mai 1994 – 2 StR 202/94, NStZ 1994, 586; vom 26. Mai 1993 – 5 StR 190/93, BGHSt 39, 233, 235; vom 17. Oktober 1992 – 5 StR 517/92, BGHSt 38, 366, 368 f.; LK/Rissing-van Saan, StGB, 12. Aufl., Vor § 52 Rn. 163 f. mwN auch zur Gegenansicht).
Rz. 10
2. Eine Verurteilung wegen Untreue kommt hier indes nicht in Betracht, weil deren tatbestandliche Voraussetzungen nicht erfüllt sind; denn ein – weiterer – Vermögensnachteil ist der A. durch die abredewidrige Verwendung der Gelder nicht entstanden.
Rz. 11
a) Eine Verurteilung wegen Untreue setzt auch dann, wenn es sich bei ihr an sich um eine nicht gesondert ahndbare (mitbestrafte) Nachtat zu einem anderen vorangegangenen Vermögensdelikt handeln würde, die nur aufgrund besonderer (hier: verfahrensrechtlicher) Umstände ausnahmsweise abgeurteilt werden könnte, voraus, dass sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 266 Abs. 1 StGB erfüllt sind. Wenn daher ein weiterer Vermögensnachteil durch eine einem Betrug nachfolgende Untreuehandlung, die der Verwertung des betrügerisch Erlangten dient, nicht eintritt, weil es nicht zu einer Vertiefung des Betrugsschadens kommt, scheidet eine Strafbarkeit nach § 266 Abs. 1 StGB aus (vgl. Senat, Urteil vom 23. Januar 1991 – 3 StR 365/90, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Konkurrenzen 5 unter Verweis auf die Rechtsprechung zur „Tatbestandslösung” bei wiederholter Zueignung im Rahmen der Unterschlagung [BGH, Urteil vom 7. Dezember 1959 – GSSt 1/59, BGHSt 14, 38]; skeptisch hinsichtlich des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen der Untreue in solchen Fällen wohl auch OLG Hamm, Urteil vom 2. Februar 1968 – 1 Ss 1566/67, MDR 1968, 779).
Rz. 12
b) So liegt es hier.
Rz. 13
Der Vermögensnachteil als Taterfolg der Untreue ist durch einen Vergleich des gesamten Vermögens des Geschädigten vor und nach der pflichtwidrigen Handlung des Vermögensbetreuungspflichtigen unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu prüfen (BGH, Beschluss vom 26. November 2015 – 3 StR 17/15, NJW 2016, 2585, 2592 [in BGHSt 61, 48 nicht abgedruckt]; vom 17. August 2006 – 4 StR 117/06, NStZ-RR 2006, 378, 379).
Rz. 14
Gemessen hieran ist dem Vermögen der A. durch keine der als Verletzung der getroffenen Anlagevereinbarung in Betracht kommenden Handlungen des Angeklagten (Rückzahlung der Einlage im Gewand einer scheinbaren Rendite, Verbrauch für den eigenen Lebensunterhalt bzw. Investition in nicht der Anlagevereinbarung entsprechende Projekte) ein zusätzlicher Nachteil zugefügt worden. Denn die veruntreuten Gelder waren bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise bereits vor ihrer zweckwidrigen Verwendung nicht mehr im Vermögen der A. vorhanden, weil es bei dieser schon durch die täuschungsbedingte Überweisung der von den Kleininvestoren angelegten Beträge an den Angeklagten zu einem vollständigen Vermögensverlust gekommen war, der durch die sich anschließende abredewidrige Verwendung im schadensrechtlichen Sinne nicht mehr vertieft wurde.
Rz. 15
Der von der Gesellschaft im Zeitpunkt der Überweisung erlangte Gegenanspruch auf Rückzahlung des Kapitals und Auszahlung der versprochenen Renditen war im Zeitpunkt der Verfügung wirtschaftlich wertlos, denn die Täuschung über das „Anlagemodell”, über dessen tatsächliche Nichtexistenz, begründete von vornherein einen Schaden im Umfang der gesamten Leistung. Dies bedarf, soweit der Angeklagte das Geld zur Finanzierung seines eigenen Lebensunterhaltes einsetzen wollte, keiner weiteren Darlegung (vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 263 Rn. 129). Dasselbe gilt, soweit der Angeklagte Teile der an ihn weitergeleiteten Geldbeträge als scheinbare Rendite wieder an die A. zurückzahlte. Zwar bestand damit eine gewisse Chance, die versprochene Rendite und das investierte Kapital zurückzuerhalten. Dies beruhte aber nicht auf der Umsetzung des vom Angeklagten vorgetäuschten Anlagemodells. Vielmehr hing alles vom weiteren „Erfolg” des allein auf Täuschung aufgebauten Systems und vom Eingang weiterer betrügerisch erlangter Gelder ab. Die hierauf basierende Aussicht auf Erfüllung der vom Angeklagten eingegangenen Verpflichtung war nicht die versprochene Gegenleistung, sondern ein „aliud” ohne wirtschaftlichen Wert, denn eine auf die Begehung von Straftaten aufgebaute Aussicht auf Vertragserfüllung ist an sich schon wertlos (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2009 – 1 StR 731/08, BGHSt 53, 199, 204; vom 27. März 2012 – 3 StR 447/11, juris Rn. 16).
Rz. 16
Nichts anderes würde gelten, wenn der Angeklagte – wozu sich die Urteilsfeststellungen nicht ausdrücklich verhalten – bereits im Zeitpunkt der Überweisungen die Absicht gehabt hätte, Teile des Geldes in unsichere Projekte zu investieren, die in keiner Weise der Anlagevereinbarung entsprachen und nicht geeignet waren, überhaupt einen „nennenswerten Gewinn” zu erwirtschaften. Auch in diesem Fall wäre die insoweit betroffene Leistung der A., der eine sichere und hochrentable Anlage versprochen worden war, in voller Höhe als Schaden anzusehen, da dieses Anlagekonzept von dem von ihr verfolgten Zweck derart abwich, dass sie hieraus keinen Nutzen ziehen konnte („aliud”), die empfangene Leistung also in vollem Umfang unbrauchbar gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 2006 – 1 StR 379/05, BGHSt 51, 10, 15 ff. mwN; Beschluss vom 27. März 2012 – 3 StR 447/11, juris Rn. 16).
Rz. 17
c) Soweit Entscheidungen des Senats, die sich mit der Abgrenzung zwischen der tateinheitlichen Verwirklichung von Betrug und Untreue (bei Vertiefung des durch den Betrug entstandenen Schadens) und Untreue als mitbestrafter Nachtat zu einem vorangegangenen Betrug (bei bloßer Sicherung und Verwertung der durch den Betrug erlangten Stellung) beschäftigen, demgegenüber so verstanden werden könnten, das Vorliegen eines eigenen, durch die Untreuehandlung hervorgerufenen Vermögensnachteils sei in Fällen der Untreue als mitbestrafter Nachtat zum Betrug nicht erforderlich (vgl. Senat, Urteil vom 22. Juli 1970 – 3 StR 237/69, GA 1971, 83, 84 f.: grundsätzlich mitbestrafte Nachtat, wenn nicht „Hinzufügung eines besonderen Schadens”; vom 26. Mai 1999 – 3 StR 97/99, juris Rn. 4: Untreue als mitbestrafte Nachtat, „falls sie sich ohne Zufügung eines neuen Nachteils lediglich als die Weiterführung des Betruges darstellt”; Beschluss vom 20. September 2000 – 3 StR 19/00, NStZ 2001, 195, 196: mitbestrafte Untreue, wenn diese „nur zur Sicherung oder Verwertung der durch den Betrug erlangten Stellung” – im Gegensatz zur „Hinzufügung eines besonderen Schadens” – dient), würde der Senat hieran nicht festhalten (vgl. zum Erfordernis der Erfüllung sämtlicher Tatbestandsmerkmale auch bei der mitbestraften Nachtat LK/Rissing-van Saan, StPO, 12. Aufl., Vorb. §§ 52 ff. Rn. 151; MüKoStGB/Heintschel-Heinegg, 3. Aufl., Vorb. § 52 Rn. 56).
Rz. 18
Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs, die ebenfalls so verstanden werden könnte, als sei in Fällen wie dem vorstehend beschriebenen ein durch die Untreuehandlung verursachter Vermögensnachteil zur Begründung der Strafbarkeit nach § 266 Abs. 1 StGB nicht erforderlich, steht der Entscheidung nicht entgegen (vgl. hierzu LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 132 GVG Rn. 6 mwN). Denn entweder käme der Senat bei hier vertretener Rechtsauffassung zum gleichen Ergebnis wie die anderen Senate (4. Strafsenat, Urteil vom 22. April 1954 – 4 StR 807/53, BGHSt 6, 67 f.: Wegfall der tateinheitlich zum Betrug verurteilten Untreue, die dem durch die Vortat eingetretenen Nachteil keinen „neuen Rechtsschaden” hinzufügt, als lediglich mitbestrafte Nachtat; 1. Strafsenat, Urteil vom 24. Februar 1976 – 1 StR 602/75, juris Rn. 13, 15: Wegfall der tateinheitlich zum Betrug verurteilten Untreue bei fehlender Schadensvertiefung, weil „allenfalls” mitbestrafte Nachtat) oder es handelt sich um Konstellationen, in denen die Frage nicht entscheidungserheblich war, weil durch die Untreuehandlung ein eigener Vermögensnachteil eingetreten ist (1. Strafsenat, Urteil vom 8. Mai 1984 – 1 StR 835/83, StV 1984, 513 f.).
III.
Rz. 19
Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt auch die für sich genommen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht – etwa mit Blick auf eine eventuelle rechtliche Bewertung des Geschehens als Betrug zu Lasten der A. – insgesamt einheitliche neue Feststellungen zu ermöglichen.
Unterschriften
Becker, Schäfer, Spaniol, Berg, Hoch
Fundstellen
Haufe-Index 11246114 |
wistra 2018, 125 |
NStZ-RR 2017, 382 |
RÜ 2017, 787 |
StV 2018, 34 |